Vollendeter Seelentanz

  10.08.2016 Kultur

Am vergangenen Mittwoch Abend luden Maxim Vengerov, die Menuhin Academy Soloists und das International Menuhin Music Academy Orchestra zum Streicherabend in der Kirche Saanen: ein Hochgenuss für die Seele.

Etwas hart, schwer und melancholisch begann der Abend in der Kirche Saanen, der ganz den Streichinstrumenten gewidmet war. Der russisch-israelische Geiger Maxim Vengerov interpretierte zusammen mit Anna Orlik die ersten beiden Sätze der «Sonate für zwei Violinen» C-Dur op. 56 von Sergei Prokofjew. Das Werk begann mit dem Andante cantabile, das die Solisten mit Innigkeit spielten, sie erzeugten eine Atmosphäre von herzzerreissender Sehnsucht. Im folgenden Allegro disputierten die zwei Violinen, produzierten Dissonanzen, die Zweifel, Anschuldigungen und eine laute Diskussion zweier Liebender erahnen liessen, bis sich die Tonlage schliesslich wieder in einer versöhnlicheren Nuance präsentierte.
Beim dritten und vierten Satz nahm Patrick Joseph Rafter den Platz von Maxima Sitarz ein. Nicht weniger virtuos wie seine Vorgängerin setzte er die Liebesgeschichte fort, welche in der Sonate erahnt werden kann. Im Commodo, quasi allegro umschmeichelten, umgarnten sich die Streichinstrumente und suchten nach dem Streit im zweiten Satz eine gemeinsame Basis für ein künftiges Miteinander. Einmal laut und beherrschend, dann wieder leise und mit vibrierendem Farbton gelang es den Solisten, ein Fundament für das Allegro con brio zu schaffen, ein lebhafter, leidenschaftlicher, manchmal aber auch hart interpretierter Satz, der ein Wechselspiel zwischen verspielten und ernst-tragischen Elementen erzeugte. Ob es um einen Abschied zweier Liebender ging?
Getragen vom Orchester
Nun begaben sich alle Studenten des International Menuhin Music Academy Orchestra unter der Leitung von Oleg Kaskiv auf die Bühne. Sie trugen den hervorragenden Solisten Ricardo Gaspar durch die «Romance für Viola und Orchester» F-Dur op. 85 von Max Bruch.
Die musikalische Reise ging nun ebenso romantisch, feinfühlig und behutsam mit Peter Tschaikowskys «Pezzo Capriccioso» weiter, bei dem Daniel Mitnitsky (Cello) brillant, emotional und mit kleinen verspielten Ausreissern leuchtete. Das Publikum, das erst etwas in die behutsame, feinfühlige Interpretation der IMMA eintauchen musste, konnte sich nach dem Capriccioso kaum mehr still halten: Es applaudierte, jubelte und erste Stampfgeräusche aus den hölzernen Kirchenbänken waren zu vernehmen.
Für die folgenden Werke strichen und zupften die Solisten Maxima Sitarz und Vasyl Zatsikha die Violinen. Während Henryk Wieniawskis «Legende für Violine und Orchester» g-Moll op. 17 (Maxima Sitarz) ganz romantisch, melancholisch und nur in kurzen Augenblicken tänzerisch daherkam, erinnerten Pablo de Sarasates «Zigeunerweisen» (Vasyl Zatsikha) an eine singende Säge. Aber nicht nur an die singende Säge, denn das Stück vereinigte zupfende Elemente ebenso wie gestrichene und bestach durch den dynamischen Wechsel zwischen pianissimo bis fortissimo, was dem Werk Kraft und Ausdruck verlieh.
Spannender Höhepunkt
Schon die vorangehenden Stücke waren voller Spannung, Präzision und Emotionen. Dies toppten die Musiker jedoch bei der Kammersinfonie c-Moll op. 110a von Dmitri Schostakowitsch noch einmal. Maxim Vengerov, der nur beim ersten Werk auf der Bühne stand, übernahm nun die Leitung des Orchesters. Ohne Noten führte er durch die fünf Sätze. Und wie er führte. Er gab mit minimalistischen Bewegungen seiner Unterarme präziseste runde, manchmal auch sehr eckige Anweisungen, spielte mit den Fingern, wenn er ein bisschen mehr Volumen hören wollte, gab sich total der Musik dieses höchst spannenden Werkes hin. Er gestaltete die Übergänge vom Largo, Allegro molto, Allegretto zu den zwei Largi fliessend, ohne dass man diese bewusst wahrnahm. Manchmal hörte er den Solo-Instrumenten mit einer Innigkeit zu, dass man glaubte, er sei in Trance. Nach den verschiedenen Soli schenkte er den Studenten ein warmes anerkennendes Lächeln. Die Spannung, die dieses einem Krimi ähnelnde Werk auszeichnet, hielt Vengerov nicht nur körperlich, sondern übertrug sie ganz und gar auf das Orchester, das brillant spielte. Das Publikum applaudierte nicht nur, nein es stampfte vor Begeisterung und entlockte so eine Zugabe. Ein Wohlfühlabend sondergleichen.

 


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