«In Neuseeland erlebe ich ein anderes Verständnis von Zeit»

  08.09.2017 Landwirtschaft, Saanenland

Stephan Walliser, ehemaliger Direktor des Wellness & Spa-Hotels Ermitage, Schönried, verlegte seinen Wohnsitz im letzten Jahr nach Neuseeland. Wie sein Leben am anderen Ende der Welt aussieht, verriet er diesen Sommer während eines kurzen Aufenthaltes im Saanenland.

JENNY STERCHI

Herr Walliser, wie lange ist es jetzt her, dass Sie der Schweiz den Rücken gekehrt und Ihr Leben nach Neuseeland verlegt haben?
Im Februar dieses Jahres habe ich den Dienst als Geschäftsführer des Weingutes «FROMM Winery» im neuseeländischen Blenheim übernommen.

Warum ausgerechnet Neuseeland, es gibt ja kaum ein Land, das weiter entfernt ist?
Das war wirklich ein Zufall. Mein Cousin ist mit einem weiteren Schweizer Partner Besitzer des Unternehmens. Sie waren auf der Suche nach einem neuen Manager, da sie die Performance des Betriebes nicht zufriedenstellte. Das Problem lag vor allem in der Vermarktung und Führung des Betriebes, die Qualität der Weine war immer sehr gut. Da ich mich schon länger für Wein und die Winzerei interessierte, fragte er mich, ob ich nicht diese Herausforderung annehmen möchte. Es hätte also überall auf der Welt, auch in der Schweiz, einen Platz für mich geben können.

Was hat Sie dazu bewogen, die Zelte in der sicheren Schweiz abzubrechen und auszuwandern?
Ich wollte nicht länger in der Hotellerie bleiben, war nach vielen Jahren in dieser Branche «gesättigt». Ich verbrachte bis dahin über 25 Jahre im Saanenland und habe die Lebensqualität und die Sorgfalt der Einheimischen in ihrem Tun sehr geschätzt. Auch mein soziales Umfeld in der Region, vor allem die Zusammenarbeit mit den Hoteliers und dem Gewerbe, empfand ich als sehr angenehm.

Sowohl Australien als auch Neuseeland arbeiten daran, die Aufenthaltsbewilligungen nur noch an einzelne Zuwanderer zu vergeben. Welchen Status haben Sie als Ausländer in Neuseeland? War es schwierig, die notwendigen Papiere zu bekommen?
Nein, ich hatte keine Schwierigkeiten. Es liegt wohl daran, dass ich als Teilhaber des Weingutes ein gewisses Kapital nachweisen konnte und demnach keine Kosten verursache. Begünstigt wurde die Ausstellung der Aufenthaltsbewilligung für 30 Monate durch die Tatsache, dass der Wein, der auf unserem Weingut produziert wird, auch nach Europa verkauft wird. Die Verbindung zum europäischen Markt sehen die neuseeländischen Behörden als eine Ressource, die der Wirtschaft des Landes nützt. Natürlich sollten auch Sprachkenntnisse vorhanden sein. Aber das ist ja überall die Voraussetzung für Integration und Austausch.

Was ist ganz anders an Neuseeland als in der Schweiz?
Ich erlebe in Neuseeland ein anderes Verständnis von Zeit. Es geht viel weniger hektisch zu, man jagt weniger den Dingen des Alltags nach und lebt irgendwie gemütlicher. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass es ein Inselstaat ist. Die Menschen in Neuseeland sind in vielem auf sich selber angewiesen. Man nutzt die eigenen Ressourcen und lebt daher wohl einfacher, aber auch natürlicher. Die Wertschätzung dessen, was man macht und hat, scheint mir grösser, als ich es in der Schweiz erlebt habe.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden Nationen?
Ganz sicher ist die Lebensqualität in beiden Ländern vergleichbar. Das Qualitätsverständnis und der Anspruch an ein Produkt in der Schweiz ähneln denen in Neuseeland. Und im Verständnis als Wintersportdestination sind sich beide Länder auch sehr ähnlich.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit in der neuen Wahlheimat?
Ich habe neben der Arbeit auf dem Weingut auch Zeit zum Leben. Anders als im Hotel, wo Vierzehn-Stunden-Tage normal waren, habe ich heute normale Arbeitstage. Freie Wochenenden und hier und da ein freier Tag bieten mir Möglichkeiten, Freizeit zu gestalten und Land und Leute kennenzulernen.

Hatten Sie mal Heimweh?
Nein. Ich bin dort daheim, wo ich gerade bin.

Fehlt Ihnen die Arbeit im Hotelbetrieb und der Kontakt mit den vielen Gästen hin und wieder?
Gästekontakt habe ich ja nach wie vor. In meiner neuen Rolle als Lieferant würde ich es als Kundenkontakt bezeichnen. Während ich im Hotel Gastgeber war, agiere ich nun als Ansprechpartner. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den anderen Hoteliers fehlt mir schon, da man als Boutique-Weingut in Neuseeland relativ alleine dasteht.

Behalten Sie sich die Rückkehr nach Europa offen?
Im Moment ist das kein Thema. Ich bin sehr zufrieden dort, wo ich jetzt bin. Vielleicht wird es aktuell, wenn ich mich ins Pensionsalter begebe.

Sie sind Teilhaber des Weingutes auf der «grünen Insel». Von welcher Grösse sprechen wir?
Mit achteinhalb Hektaren Weinanbaugebiet ist unser Weingut eines der kleinen. Nicht selten werden auf den grossen Weingütern Neuseelands 1000 Hektaren bearbeitet. Für uns spielt die Menge eine weniger grosse Rolle als die Qualität des Ertrages. Unser Ziel ist es, möglichst erstklassigen Wein unter natürlichen Bedingungen zu produzieren. Als Biobetrieb verzichten wir auf chemische Produkte im Rebberg sowie im Weinkeller. Wir setzen weder Zucker noch Fruchtsäuren zu, denn wir nutzen die traubeneigenen, wilden Hefen für die Gärung. Um die Oxidation zu verhindern, nutzen wir oft Trockeneis.

Gibt es Unterschiede im Weinkeller zwischen der Schweiz und Neuseeland?
In Neuseeland sollten aus Sicherheitsgründen keine Keller unter die Häuser gebaut werden, keine Versicherung geht dieses Risiko ein. Die vielen Erdbeben, die es gibt, würden in Kellerräumen grosse Schäden anrichten. Daher sind wir auf technische Klimatisierung angewiesen. Unser grosses Ziel ist es, in den nächsten Jahren die von uns genutzte Energie selber zu produzieren. Mit der Nutzung erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne könnten wir unabhängig von den öffentlichen Stromproduzenten arbeiten. Strom ist in Neuseeland sehr teuer. Um Kosten zu sparen, wird hier vermehrt auf individuelle Stromproduktion, auch ohne die in der Schweiz gängigen Subventionen, umgestellt. Für die Nachhaltigkeit unseres Betriebes wäre das von grossem Vorteil.

Machen Ihnen die Erdbeben keine Angst?
Ich hätte es nicht gedacht, aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran, dass die Erde relativ häufig bebt. Ich würde es heute mit einem Gewitter in der Schweiz vergleichen.

Zurück zum Weingut: Haben Sie einen Winzer angestellt oder erledigen Sie alle anfallenden Aufgaben selber?
Nein. Wir sind ein kleines Team mit flexiblen Mitarbeitern, die zwar ihre Spezialgebiete haben, aber dennoch überall einsetzbar sind. Während der Ernte bekommen wir Unterstützung von temporär angestellten Erntehelfern. Nicht selten kommen sie aus dem Ausland. Das Programm «Work&Holiday-Visa» organisiert für Interessierte einen Arbeitsaufenthalt und die «FROMM Winery» bietet neben anderen Unternehmen Stellen dafür.

Daneben bieten wir Praktikumsstellen für fertig ausgebildete Önologen an. Sie kommen von November bis Mai zu uns, werden auch bei uns beherbergt und erledigen ihre Aufgaben im Rebberg und Weinkeller. Es ergibt sich eine Win-win-Situation. Sie liefern uns dank ihrer Ausbildung Informationen auf dem neuesten Stand im Weinanbau und in der Verarbeitung. Sie haben dagegen die Möglichkeit, erste Erfahrungen in der Praxis zu sammeln und vom immensen Wissensschatz unseres Önologen Hätsch Kalberer, der bereits seit 26 Jahren Wein in der «FROMM Winery» herstellt, zu profitieren.

Und welches ist Ihr Aufgabengebiet?
Meine Aufgabe auf dem Weingut besteht darin, das Weingut zu führen und den Wein zu vermarkten. Ich trage die wirtschaftliche Verantwortung, dass wir uns mit unserem Wein auf diversen Märkten positionieren können.

Einmal im Jahr begebe ich mich in die Schweiz, so wie jetzt gerade. Dann lege ich die Termine für Verkaufsverhandlungen in ganz Europa möglichst dicht nebeneinander und nutze die übrige Zeit, um meine Kontakte, auch im Saanenland, zu pflegen. Auch das lässt sich mit Aufträgen verbinden. So möchte ich in diesem Sommer in einem Kurs das Service-Personal in den Gastrobetrieben des Saanenlandes für den Umgang mit Wein sensibilisieren.

Wohin liefern Sie Ihren eigenen Wein?
Wir vertreiben unsere Weine, den roten und den weissen, hauptsächlich in Neuseeland und Australien, in Asien, den USA und in Europa, wobei Australien unser wichtigster Exportpartner ist. Im europäischen Handel beschränken wir uns auf den Verkauf in der Gastronomie und den Online-Handel. Auf dem Weingut haben wir einen Degustationsraum und verkaufen unsere Weine auch direkt.

Und wenn jemand im Saanenland Ihren Wein kaufen möchte, ohne den weiten Weg nach Neuseeland zurückzulegen?
Im Saanenland kann unser Wein in einigen Hotels und Restaurants genossen werden. Dies macht mich natürlich sehr stolz.

Die grossen Distanzen beim Export erfordern einen sicheren Weintransport. «Sicher» heisst im Weinhandel vor allem bei konstanten Temperaturen. Daher wird unser Wein in klimatisierten Containern verschickt. Für uns als Lieferant ist es ebenso schwierig wie für den Kunden, die Temperaturen während des Transportes zu kontrollieren. Wir wollten sichergehen, dass der Wein in gleicher Qualität ankommt wie er unseren Betrieb verlässt. Aus diesem Grund legen wir jeder Lieferung eine Tafel Schokolade – leider keine Schweizer Schokolade – bei. Kommt die Schokolade in Form und Farbe unverändert beim Kunden an, kann er sie geniessen und wir haben die Sicherheit, dass der Wein schadlos transportiert wurde.


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