Die Finissage: ganz Bruno Ganz

  19.09.2017 Gstaad, Kultur

Im Hotel Le Grand Bellevue Gstaad nahm der geglückte literarische Herbstanlass mit einer Lesung von Jonas Lüscher und einem erfrischenden Auftritt des Schauspielers Bruno Ganz, der aus dem Büchlein «Liebesgeschichten» von Robert Walser las, ein eindrückliches Ende.

LOTTE BRENNER
Zuerst war da «ein böser Roman, den man gerne liest …», wie Reto Sorg Jonas Lüschers «Kraft» umschrieb. Lüscher sei ein Erzähler von etwas, das allen bekannt sei, ein «allwissender Erzähler». Lüscher erklärte, als «allwissender Erzähler» schaffe er Distanz, aus welcher er sich an die Protagonisten herantaste. Sorg führte weiter aus, das Buch von Lüscher sei «dramaturgisch ausgeklügelt». Der Autor zeige «diabolische Freude am Vorführen der Personen». Tatsächlich wird sogar die eingebaute Liebesgeschichte von beiden Seiten ironisch hinterfragt. Im Mittelpunkt seines Romans steht die Frage, warum alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können. Buch-Kritiker sprechen von «vor fast nichts zurückschreckender Ironie» und «furios, komisch und böse».

Ganz anders, liebevoll ironisch, mit Schalk in den Augen und einem Schmunzeln, liest der Schauspieler Bruno Ganz aus dem Büchlein «Liebesgeschichten» von Robert Walser. In Kurzschilderungen von Walsers Zeitgenossen, wie zum Beispiel Karl Selig, liest Ganz Episoden aus der Zeit, als Robert Walser in der Klinik in Herisau weilte. Erinnerungen an gemeinsame Wanderungen oder die Einkehr in eine Bierhalle werfen ein Licht auf einen schüchternen, schrulligen Mann, der sich seinen grossen Sehnsüchten hingebungsvoll, aber mit nüchternem Humor hingibt. Walser betont das Schweizerische, er liebt das Helvetische in der Sprache und bringt es nicht selten in seine Schriftsprache ein.

Mit einem verheissungsvollen Lächeln liest Bruno Ganz «Briefe an einen Ehemann», in welchen der Schreiber dem fehlerfreien Gatten seine Tugend tadelt, mit welcher er seine flatterhafte Gattin erst so richtig flatterbar gemacht hätte. Oder der Kuss: Wer ausser Walser hätte einen Kuss wohl inbrünstiger und doch so beinahe unschuldig schildern können? Walser, der sich Frauen kaum körperlich näherte, doch stets voller Gefühle von ihnen schwärmte. Was das Schaffen anbelangte, so zierte den Schriftsteller eine ironische Bescheidenheit. Auf die Frage, was er von Mörike halte, habe er einmal gesagt: «Auf Klassiker war ich nie eifersüchtig», dies sei eher bei Raabe oder Storm der Fall. Und auch auf Keller? Auf diese Frage habe Walser geantwortet: «Nein, das war ja nur ein Zürcher.»

Dies und ganz viel Liebenswertes mehr zitierte Bruno Ganz einfühlsam und mit viel Gemüt. Den Bart, den er sich seit seiner Rolle als «Alpöhi» wieder angeeignet hat, trug zu dieser humorgespickten Gemütlichkeit bei. Ganz war ganz Ganz: eins zu eins mit seinem Protagonisten Robert Walser.

Weitere Fotos unter http://tinyurl.com/yc93xe9x


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