Pedro Lenz höchst zufrieden mit seiner «coolen» Vorgruppe

  19.09.2017 Gstaad, Kultur

Der diesjährige Literarische Herbst begann mit einem Eröffnungsevent der ganz besonderen Art. Der beliebte Schweizer Mundart-Autor Pedro Lenz zog die Zuschauer mit einer ganzheitlichen Darbietung in Bann. Und als Novum in der Tradition des Literaturfestivals präsentierten sich erstmals Schüler aus dem Gymnasium mit selbst geschriebenen Texten in der Art eines Poetry Slams.

Für die Ausgabe 2017 des Literarischen Herbstes hatten sich die Organisatoren etwas ganz Besonderes ausgedacht: Die viertägige Lesungsreihe begann am Donnerstag in der Jugendherberge von Saanen mit dem Auftritt einer engagierten jungen Autorengruppe aus der Prima des hiesigen Gymnasiums. Nicola Buchs, Solomon Ganter, Larissa Masaad und Dea Müller präsentierten vor voll besetzten Reihen ihre selbst geschriebenen Texte.

Traditionell enge Zusammenarbeit mit dem Gymnasium
Schon seit mehreren Jahren existiert eine enge Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Gstaad: Traditionell werden schon im Vorfeld des Literarischen Herbstes im Unterricht die Werke der präsentierenden Autoren gelesen und kommentiert, ausserdem kommen die Autoren in die Klassen zum Austausch mit den Schülern in Workshops, und schliesslich besuchen die Klassen die abendliche Lesung «ihrer» Schriftsteller im Rahmen des Literaturfestivals. Auf diese Weise lesen die Schüler nicht nur eine durch den gymnasialen Literaturkanon «aufgezwungene» Literatur, sondern bekommen einen ganz persönlichen Zugang zu einem Autor und seinem Werk.

Das Novum
Die erfrischende Idee zum diesjährigen Auftritt der Gymnasiasten im offiziellen Programm des Festivals − neben den ganz «Grossen» wie Pedro Lenz − kam von den beiden Deutschlehrerinnen Martina Josi und Ursula Moulin. Diese hatten 2015 zum 10-Jahr-Jubiläum des Gymnasiums Interlaken, Abteilung Gstaad, einen sehr erfolgreichen Poetry Slam, also einen literarischen Vortragswettbewerb, durchgeführt und dabei gesehen: Die Jugendlichen haben Spass an Literatur und können auch selbst sehr kreative Texte produzieren!

Einige ganz besondere dieser Texte bekam das Publikum des Literarischen Herbstes also am Donnerstag zu Gehör, zwar nicht in Form eines Wettbewerbs, aber wer weiss: Nach dem gelungenen Auftritt der jungen Autoren in diesem Jahr wird es vielleicht in der Ausgabe 2018 des Festivals einen klassischen Poetry Slam mit Zuschauerbewertungen geben? So zumindest die Idee zur weiteren Projektentwicklung von Ursula Moulin.

Die Jugendlichen trugen in ausdrucksstarken Bildern, teils ironischamüsant, teils nachdenklich und mit allen rhetorischen Mitteln der Kunst ihre Texte über Liebeskummer und Tütensuppe, das Tagebuch einer diätbesessenen Frau oder die Welt aus der Sichtweise eines Neugeborenen vor. Ein echtes erstes Highlight und würdiger Auftakt für die Veranstaltung.

Pedro Lenz zeigte sich beeindruckt von der «Bühnenpräsenz» seiner «coolen» Vorgruppe. Auch für ihn war es ein Novum, dass bei einer seiner Lesungen eine engagierte Schülertruppe die Einleitung gestaltete.

Pedro Lenz´ Gesamtkunstwerk
Dann übernahm der Meister selbst das Steuer und präsentierte Auszüge aus seinem aktuellen Buch «Die schöni Fanny». Hierbei geht es um den erfolglosen Schriftsteller Jackpot und die Liebe zu einer schönen Frau, Fanny, wie schon der Titel vermuten lässt. Es ist aber auch ein Buch über eine Männerfreundschaft, das Verständnis von Kunst, über das Älterwerden, über Beständigkeit und Vertrautes, geschrieben in Mundart.

Lenz performte im Stehen, auch er mit einer beachtlichen Bühnenpräsenz, und das sicher nicht nur aufgrund seiner bemerkenswerten Körpergrösse. Er las in Mundart, er las auf Hochdeutsch, er las auf Französisch. Mit vollem Körpereinsatz veranschaulichte er die verschiedenen Passagen des Romans, die er ausgewählt hatte und zum Besten gab. Er gestikulierte, er tanzte, er sang «Ne me quitte pas» von Jacques Brel – ein Gesamtkunstwerk, ein Augen- und Ohrenschmaus.

Musikalische Untermalung
Seine bemerkenswerte Bühnenpräsentation verdankte er nicht zuletzt auch den Schwestern Evelyn und Kristina Brunner aus Thun, die ihn auf dem Kontrabass, dem Cello und dem Schwyzerörgeli begleiteten. Besonders an Stellen, wo die schöne Fanny vor dem geistigen Auge jeweils ihren Auftritt hatte, setzten die Schwestern mit einer fast filmreifen Untermalungsmusik ein, die immer genau die Stimmung im Roman traf: Ob Spannung, Dramatik, Freude, Begehren – alles setzten die Musikerinnen perfekt um. Dabei waren die Einsätze und die Tonart zwar abgesprochen, die Ausführung jedoch grösstenteils improvisiert. Eine beachtliche spontane Leistung, die höchste Konzentration erforderte.

Pedro Lenz, der seine Lesungs-Tournee der «schönen Fanny» bisher mit dem Pianisten Christian Brantschen bestritten hatte und nun das Programm am Donnerstag zum ersten Mal mit den Schwestern Brunner umsetzte, bezeichnete das Zusammenspiel als «sehr inspirierend». Bei anderen Projekten hatten die Künstler aber bereits zusammengearbeitet. Ob wir den tanzenden Pedro Lenz also der Improvisationsleistung der Brunner-Schwestern zu verdanken haben?

Positive Resonanz
Dem Publikum schien der abwechslungsreiche Abend bestens gefallen zu haben. Noch lange nach Schluss der Lesung wurde beim Apéro über die Impressionen des Abends diskutiert, auch die Künstler nahmen an den Diskussionen rege teil und Pedro Lenz signierte noch «Die schöni Fanny» in zahlreichen Büchern und Hörbüchern.

Auch die jüngsten Zuschauer des Abends, die 14-jährigen Quartaner, die mit ihrer Lehrerin Frau Josi «Die schöni Fanny» in Ausschnitten gelesen hatten, urteilten durchwegs positiv. Dann dürfte das Ziel der Lehrerin ja erreicht sein: «Mir ist schon auch wichtig am Anfang von so einer Schülerkarriere, dass die Jugendlichen einen lustvollen Zugang zur Literatur entwickeln», der dann im besten Fall oft auch ein Leben lang erhalten bleibt. Das Lesepublikum kann sich die Region ohne den Literarischen Herbst jedenfalls nicht mehr vorstellen!

SONJA WOLF

 


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