«Verwobe u verchnüpft»

  17.11.2017 Saanen, Tradition, Gewerbe

Die Hausweberei – heute Heimatwerk Saanen – wird bald 90-jährig. «Traditionen zu leben, heisst nicht Asche des Vergangenen, sondern das Feuer weiterzugeben», sagte die Referentin Lisette Chevalier am «Abesitz» zur Hausweberei. Das gelang ihr ausserordentlich gut.

BLANCA BURRI
Aus der Not sei die Hausweberei einst entstanden, führte Lisette Chevalier am vergangenen Mittwochabend ins Thema ein. Die Referentin weiss dies, weil sie jahrelang Präsidentin des heutigen Heimatwerks war und im letzten Jahr viel recherchiert hat. «Bei der Gründung war Frau Pfarrer Maria Lauterburg die treibende Kraft, eine weitsichtige Frau, die sich sozial stark engagierte.» Der Grundgedanke sei gewesen, dass die Frauen zu Hause Arbeit verrichten konnten, bei der man etwas dazu verdiente. Das sei beim Weben, Schneiden, Nähen und Knüpfen möglich gewesen. Man habe zu Hause bleiben wollen, um den Haushalt, die Kindererziehung, den Garten und die Landwirtschaft nicht zu vernachlässigen. Aber nicht nur das, denn bei der Heimarbeit sei der Familienschutz gewährleistet gewesen. Ein dritter Gedanke begleitete die Frau Pfarrer: Der Warenhauskitsch habe in den Häusern Einzug gehalten und habe viel Echtes, Urchiges und Bodenständiges verträngt, wogegen Frau Lauterburg entgegenwirken wollte. Obwohl der Verein erst ein Jahr später gegründet wurde, wird das Jahr 1928 als Geburtsjahr betrachtet.

Den Puls der Zeit getroffen
Auslöser war schliesslich die Saffa-Ausstellung – die nationale Ausstellung für Frauenarbeit in Bern – gewesen, wo die Saanerinnen zwei Teppiche ausstellen konnten. «Während der Ausstellung sind hundert Bestellungen für die sogenannten Riementeppiche eingegangen und dies hat den Anstoss für das gemeinnützige Unternehmen Hausweberei gegeben», weiss Lisette Chevalier. Die ganzen Vorbereitungen für die Ausstellung seien es denn auch gewesen, die das Weben im Saanenland – es hatte nur noch sechs Weber – wieder in Schwung gebracht haben. Ursprung dafür waren die 25 Damen des Frauenvereins, welche an der obengenannten Ausstellung serviert hatten. Da sie ein einheitliches Erscheinungsbild wollten, webten sie sich den eigenen Trachtenstoff, was nach verschiedenen Versuchen auch klappte.

Platznot
Mit den Riementeppichen, welche aus alten Kleidern und Tüchern entstanden, hätten sie den Puls der Zeit getroffen, so die Referentin. Die Aufträge seien aus der ganzen Schweiz eingegangen. Im Pfarrhaus seien das Lager und der Vertrieb eingerichtet worden. Doch schon bald sei es aus allen Nähten geplatzt und so sei das Wäschhüsi, das heute noch am selben Ort steht, von der Gemeinde neu vertäfert und von den Angehörigen der Hausweberei-Kommissionsmitglieder ausgebaut worden. Das Wäschhüsi sei alsdann «Fergrum» genannt worden. «Das Wort ‹ferge› heisst umhertragen, vorwärtsbewegen», erklärte Lisette Chevalier. Also seien dort die Rohmaterialien abgegeben und die fertig gewobene Ware zurückgenommen worden.

«Auch im ‹Fergrum› stellte sich bald Platznot ein und so zügelte das Unternehmen 1931 ins Dorf Saanen, in die ehemalige Schmitte, wo die Hausweberei noch heute steht.» Bis zu diesem Zeitpunkt wurde alles in Fronarbeit erledigt, doch nun leistete man sich die erste Geschäftsführerin: Maria Schopfer, die Hauswirtschaftslehrerin der Gemeinde, übernahm den Posten. Schon bald wurden auch Lehrlinge ausgebildet. Inzwischen waren die Beschäftigten auf 47 angestiegen: 19 Webleute, davon zwei Männer, Riemenschneiderinnen, Fransenknüpferinnen und Frauen, welche Tischtücher und Handtücher säumten. Nicht selten hätten Kinder mitgeholfen, so die ehemalige Vereinspräsidentin.

Rohstoffknappheit
Durch die hohe Nachfrage sei den fleissigen Weberinnen das Rohmaterial im Saanenland knapp geworden. Deswegen seien sie beim Umzug des Bernfestes mitgelaufen und hätten mit folgendem Spruch um Rohmaterial gebeten: «Alts würd nüw, Hudligs guet und Leids würd schön!» Sogar im «Beobacher» wurde eine Anzeige im «Beobachter» geschaltet. Die Korrespondenz dazu enthielt Lisette Chevalier den vielen Anwesenden nicht vor. Sie erzählt von einem herzerfischenden Austausch zwischen Frau Pfarrer Lauterburg und dem Redaktor des «Beobachters», der dazu führte, dass die Anzeige gratis publiziert wurde. Anfang der Kriegsjahre habe man vorausschauend gehandelt und mit der finanziellen Unterstützung der Gemeinde viel Rohmaterial eingekauft. Durch die wirtschaftliche Textilverordnung sei der freie Austausch von Waren eingeschränkt worden. Zudem sei das Verwenden von Wolle, Baumwolle, Leine und Hanf für die Teppiche verboten worden, weswegen Alternativen gefunden werden mussten. «15 Landwirte versuchten im Saanenland Flachs anzubauen. Leider war der Erfolg aufgrund des Klimas bescheiden», so Chevalier. Glücklicherweise habe man eine Sonderbewilligung für den Austausch von Waren erhalten und man habe wiederum produzieren können.

Trachtenverein und Töpferei
Der Verein Hausweberei hatte immer schon nur drei Mitglieder, nämlich der Trachtenverein, der Frauenverein Saanen und die Gemeinde Saanen. Mit der Entstehung des Trachtenvereins in den 1930er-Jahren seien auch Anleitungen für die Herstellung und das Tragen der Trachten entwickelten worden. Der Trachtenverein sei für die Hausweberei insofern wichtig gewesen, weil diese die Trachtenstoffe herstellte. Heute ist der Trachtenverein nicht mehr aktiv.

Weil in den 1950er-Jahren die Umsätze der Weberei zurückgegangen seien, habe man ein weiteres Standbein aufgebaut: Die Töpferei im Oberdorf Saanen sei von der damaligen Präsidentin Sylvia Scherz-Bezzola ins Leben gerufen worden. Diese wurde 1999 von Christine Baumgartner in Eigenregie übernommen.

In den Glanzjahren gab es diverse Ablagestellen, quasi Depots, in der ganzen Schweiz, wo die Ware von der Hausweberei Saanen verkauft wurde. In den 70er-Jahren aber sind die Umsätze eingebrochen und diverse Ablagestellen eingegangen. 1987 gab es noch sechs Weberinnen, heute ist es noch eine: Vroni Bach, welche die einst so bekannten Riementeppiche herstellt.

Man habe das Augenmerk in den letzten Jahrzenten von den Stoffen genommen und habe im Laden des Heimatwerks diverse Schweizer Produkte verkauft. Regionale Produkte und Traditionen seien wichtig geblieben.

«Verwobe u verchnüpft»
«Die Hausweberei ist mit dem Saanendorf wortwörtlich ‹verwobe u verchnüpft›», sinnierte Lisette Chevalier, sie sei aus dem Dorf nicht mehr wegzudenken. Sie habe sich der Zeit anpassen müssen und verkaufe aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr nur Schweizer Produkte, vielmehr gehe es darum, dass die Ware nachhaltig hergestellt werde und man Produkte von geschützten Werkstätten ins Sortiment nehme. «Und weil man die Hausweberei nie mit leeren Händen verlässt, haben die Verantwortlichen um die aktuelle Präsidentin Christa Cairoli ein Geschenk am Ausgang bereitgestellt.»

Lisette Chevalier schloss mit den Worten: «Was verchurzt isch, verchlinet, verwäsche u tuet bisse, was Chlin u Gross dür ds Jahr het verschrisse, vo dr Sunne verbrennti u altfräntschi Sache – us dem tuet mu z Saane no Teppiche mache.» Langanhaltender Applaus belohnte die grosse Arbeit der Referentin.

Der Vortrag war passend bebildert, die Musikeinlagen von der Kapelle Rita Walker beschwingt und Lisette Chevalier wartete sogar mit einer Überraschung auf: Weil sie vom Trachtenverein erzählte, betrat sie das Podium nach der Pause in der Tracht. Das Publikum dankte es mit spontanem Applaus.

Weitere Fotos unter: http://tinyurl.com/yden7zws

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HAUSWEBEREI

Gründungsmitglieder
– Anna Reichenbach
– Ida Zumbrunnen
– Frieda Matti-Gasser
– Maria Schopfer
– Robert Würsten (Amtsschreiber)
– Nelly von Siebenthal
– Margrith Richard-Klingler
– Martha Zingre-von Siebenthal

Wichtige Daten
1928: Entstehung der Hauswebereibewegung um Initiantin Frau Pfarrer Maria Lauterburg im Pfarrhaus Saanen

1929: Gründung des Vereins

1931: Umzug ins Dorf Saanen

1936: Filiale in Gstaad

1980: Kauf des Hauses

1995: Brand, Beschädigung der ersten Etage

1995: Das Gebäude wurde an die neu gegründete Stiftung Heimatwerk und Museum der Landschaft Saanen abgetreten.

Lohn 1930

für Heimarbeit: 55 Rp./h, in anderen Berner Oberländer Regionen 35 Rp./h

Umsatz
1929: Fr. 27 444.–

1931: Fr. 38 577.–

1939: Fr. 113 785.–

1955: Fr. 227 004.–

1990: Fr. 583 360.–

Teppichproduktion
1939: 2 785 Laufmeter
1944: 7 498 Laufmeter
1947: 10 914 Laufmeter


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