Die Bedeutung von Symbolen und Farben in der Maltherapie

  12.12.2017 Leserbeitrag

STEFAN GURTNER
Das Thema «Maltherapie», das ich in der letzten Bolivienspalte vorgestellt habe (AvS vom 14. November), soll heute fortgesetzt werden. Während ich bisher über die Entstehungsgeschichte und das Konzept der Maltherapie nachgedacht habe, werde ich mich nun mit den Symbolen und Farben befassen. Der Unterschied bei der Maltherapie zu anderen Beschäftigungstherapien besteht darin, dass man ein gemaltes Bild psychoanalytisch deuten kann. Besonders den Symbolen kommt eine grosse Bedeutung zu, die das Unterbewusstsein erst hervor- und dann zu Papier bringt. Auf den Zeichnungen, die in «Tres Soles» in der Kartenwerkstatt und innerhalb anderer Aktivitäten entstehen, sind seit mehr als 20 Jahren immer wieder dieselben oder ähnliche Symbole und Motive zu sehen.

Obwohl ich kein Psychoanalyst oder Maltherapeut bin, wurde in mir die Neugierde zur Entschlüsselung geweckt und ich begann, mich mit Texten über dieses Thema zu beschäftigen. Die Interpretationsbeispiele, die ich in diesem Artikel vorstellen möchte, stammen aus den Büchern «Heilkraft des Malens» (Werner Kraus), «Heilen durch Malen» (Gregg M. Furth) und «Maltherapie» (Ingrid Riedel und Christa Henzler). Von Anfang an war mir aufgefallen, dass auf vielen Bildern der Kinder und Jugendlichen von «Tres Soles» dunkle, blätterlose Bäume gemalt wurden. Es ging so weit, dass wir ihnen verbieten mussten, solche Baumskelette auf Karten zu malen. In der kleinen, projekteigenen Kartenwerkstatt werden die handgemalten Karten an unsere Gönner – vor allem im Ausland – verkauft. Nur lassen sich solche Baumskelette auf Glückwunsch- und Weihnachtskarten eben schlecht verkaufen. Wenn man einen der Jungen oder eines der Mädchen nach dem Grund dieser trostlosen Bäume fragte, schüttelten sie nur den Kopf und sagten: «Ich weiss es nicht.»

Wie wertvoll wäre es gewesen, in solchen Fällen einen Maltherapeuten zur Verfügung gehabt zu haben, denn Bäume spielen in der Maltherapie eine äusserst wichtige Rolle. Schon Carl Gustav Jung, der Begründer der Maltherapie, verglich den Baum in seinem Wachsen mit dem Menschen. Es ist der «arbor vitae», der Lebensbaum, der praktisch in allen Kulturen der Welt als Lebenssymbol vorkommt. In der Psychoanalyse kann der gemalte Baum in verschiedene Abschnitte unterteilt werden und an den Wurzeln, am Stamm, an den Ästen und an der Krone kann man erkennen, was in welchem Lebensabschnitt des Malenden passiert ist. Verletzungen, Aststümpfe und blätterlose Äste sprechen da eine deutliche Sprache, «verdunkelt von all dem, was die Lebensgeschichte bisher gebracht hat, dargestellt in dem abgestorbenen Baum», wie die Maltherapeutin Ingrid Riedel im Buch «Maltherapie» schreibt.

Ein anderes Motiv, das oft auftaucht und in der Kartenwerkstatt im Gegensatz zum Baumskelett durchaus erwünscht ist, ist das Haus, meistens ein Häuschen, hübsch gestaltet mit einem Garten und umgeben von Bäumen. «In einem solchen Häuschen möchte ich einmal wohnen», äusserte sich Teresa, ein 15-jähriges Mädchen, das als Kleinkind auf den Treppenstufen vor der Dorfkirche aufgefunden worden war und nie ein wirkliches Zuhause gekannt hatte.

«Das Haus ist das Bild für den Menschen selbst schlechthin. Seine Selbsteinschätzung, sein Selbstbild drückt sich in der Art und Weise aus, wie er in der Imagination sein Haus gestaltet», wird von einer anderen Maltherapeutin, Christa Henzler, erklärt. In unserem Beispiel drückt es wohl auch die Sehnsucht nach einem stabilen und ordentlichen Zuhause aus, wo die Familie geeint und harmonisch zusammenlebt.

Das dritte Symbol, das ich in diesem Artikel kurz vorstellen möchte und das ebenfalls auf vielen Zeichnungen und Karten erscheint, ist der Fluss oder in seiner kleineren Form der Bach. Im Gegensatz zum statischen Baum oder Haus ist der Fluss in Bewegung und stellt die mehr oder weniger fliessende, seelische Energie dar, die trotz der traurigen und erdrückenden Lebensgeschichten noch in diesen Kindern und Jugendlichen steckt. Es ist wirklich erstaunlich, wie breit und blau diese Flüsse oder Bäche hier durch üppige und grüne Landschaften fliessen. Das Wasser steht aus psychischer Sicht für das lebensspendende Element, das erfrischt und belebt. Wenn die Schleusen doch nur aufgemacht werden könnten …

In der Maltherapie sind es jedoch nicht nur die Symbole und Formen, die eine Bedeutung haben, sondern auch die Farben. Im Gegensatz zur eigentlichen Maltherapie, die erst vor gut hundert Jahren entstanden ist, hat man sich schon viel früher mit der Farbensymbolik auseinandergesetzt. Schon Goethe sprach in seiner Farbenlehre den Gelb-Orange- und Rottönen ein warmes, nach aussen gerichtetes Wirken zu, während die Farbskala Grün-Blau-Violett eher eine kühle und nach innen gerichtete Einstellung ausdrückt. Rot als Einzelfarbe ist zum Beispiel eindeutig die Lieblingsfarbe der Kinder und ohne Zweifel die lebendigste aller Farben. Rot kann jedoch gegensätzliche Dinge darstellen: Liebe, Freude, Leidenschaft, Blut, Hass, Feuer, Verbrennen … Wir wurden von Psychologen gewarnt, diese Farbe grossflächig für die Zimmer zu verwenden, da Rot aggressiv machen kann, wie es auch sprichwörtlich heisst: «Ich sehe rot.»

Blau ist eine andere Farbe mit zwiespältigem Wirken. Einerseits ist Blau die Farbe des Himmels und des Meeres, der Stille, der Ruhe und des Friedens. Andererseits wird sie mit der Formulierung «blau sein» mit einem Rauschzustand in Verbindung gebracht. Im Französischen gibt es einen Ausdruck, den man als «peur bleue», die «blaue Angst», bezeichnet. Wir haben früher oft mit Jugendlichen, die von Alkohol und Schnüffeldrogen abhängig waren, gearbeitet und konnten tatsächlich beobachten, dass diese Farbe oft besonders in ihren dunklen Tönen und vor allem in düsteren Landschaftsbildern verwendet wurde.

Eine besondere Rolle spielt, wie wir ebenfalls in «Tres Soles» feststellen mussten, das Schwarz, das häufig als Grundfarbe und in breiten Schatten aufgetragen wird. Bernabé, der sich als junger Mann das Leben nahm, malte als 14- oder 15-jähriger Jugendlicher sogar einmal sein ganzes Zimmer schwarz an, die Wände, die Decke, alles. «Warum machst du das?», fragte ich ihn. «Me gusta», anwortete er, was «mir gefällt es» bedeutet. Nun drückt aber die schwarze Farbe laut einiger Psychologen vor allem Protest und Trauer, Abschirmung gegenüber der Aussenwelt und Verweigerung aus. Andere wiederum erklären, dass Schwarz gerade auch ein Befreiungsschlag bedeuten kann, indem man diesen Protest und diese Trauer auf ein Papier oder an die Wand bringt. Wäre Bernabé vielleicht durch einen guten Maltherapeuten zu retten gewesen?

Stefan Gurtner ist im Saanenland aufgewachsen und lebt seit 1987 in Bolivien in Südamerika, wo er mit Strassenkindern arbeitet. In loser Folge schreibt er im «Anzeiger von Saanen» über das Leben mit den Jugendlichen. Wer mehr über seine Arbeit erfahren oder diese finanziell unterstützen möchte, der kann sich beim Verein «Tres Soles», Walter Köhli, Seeblickstrasse 29, 9037 Speicherschwendi, E-Mail: walterkoehli@ bluewin.ch erkundigen. Spenden: Tres Soles, 1660 Château-d’Oex, Kto.-Nr. 17-16727-4. www.tres-soles.de


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