Ein Baumstamm, der Geschichte schrieb

  12.01.2018 Natur

Bei Bauarbeiten neben Chaletbau Reuteler kam ein Stück einer Fichte zum Vorschein. Da sie mit Schlamm bedeckt gewesen war, konnte sie über lange Zeit gut erhalten bleiben. Eine Laboruntersuchung hat aufgezeigt, in welcher Zeit sie gewachsen ist: Vor rund 3000 Jahren.

MELANIE GERBER
Die ausgegrabene Fichte wäre an der Luft schon lange zu Humus geworden. Da sie in drei Metern Tiefe in Schlamm und Wasser gelegen war, hat sie die Zeit bis zur Ausgrabung gut überstanden. «Sonst wäre sie gar nie so alt geworden», sagt Arnold Reuteler, bei dem das Stück Holz jetzt in guten Händen ist. Nun gilt es darauf zu achten, dass die Fichte nicht zu trocken gelagert oder dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, da es sonst das Holz zu spalten vermag.

Dass sie überhaupt gefunden wurde, war den Bauarbeiten neben Chaletbau Reuteler zu verdanken. Fundstücke gab es aber bereits vor knapp 40 Jahren. Schon 1970, beim Aushub von Chaletbau Reuteler, waren Holzstücke in einem Meter Tiefe zum Vorschein gekommen. «Man hat sich gefragt, wie alt die wohl seien», erzählt Arnold Reuteler. Als er nun beim Aushub auf der Nachbarparzelle das grosse Stück Fichte mit ungefähr 36 Zentimetern Durchmesser entdeckte, war seine Neugierde geweckt.

Ein Stück Geschichte
An den Jahrringen könne man nicht nur das Alter der Fichte erkennen, sondern auch, wie die Jahre in jener Zeit waren, so Arnold Reuteler. Ungefähr 130 Jahre alt sei sie geworden. Ausserdem sehe man genau, dass die ersten Jahre sehr gut gewesen sein müssen, denn die Jahrringe stehen bis zu einem halben Zentimeter auseinander. Ganz plötzlich verringern sich diese Abstände auf einen halben Millimeter und das während ungefähr 80 Jahren. «Dem Baum ging es in dieser Zeit nicht gut. Es kann sein, dass eiszeitähnliche Momente gekommen waren. Interessanterweise springen die Abstände von einem Jahr aufs andere wieder auf die ursprüngliche Grösse zurück und die Fichte erlebte wieder gute Jahre.»

Aufwendige Untersuchungen
Der archäologische Dienst des Kantons Bern half Arnold Reuteler bei den Untersuchungen zur Fichte weiter. Anhand der Dendrochronologie, einer Untersuchung aufgrund der Jahrringe, kann Matthias Bolliger vom archäologischen Dienst herausfinden, in welcher Zeit der Baum gewachsen ist. «Die Wachstumsringe sind wie ein Code», erklärt Bolliger. Dieser Code werde mit vorhandenen Daten verglichen. Leider war es für die vorliegende Fichte dennoch nicht möglich, anhand der Dendrochronologie ihr Alter zu bestimmen. «Letztendlich ist jeder Baum ein Individuum», sagt Matthias Bolliger. Falls an seinem ursprünglichen Standort die Bedingungen anders waren, weil er beispielsweise an einem Schattenhang stand, können die Jahrringe bereits anders aussehen und nicht zu den Vergleichsdaten passen.

Also gingen die Untersuchungen weiter. Matthias Bolliger empfahl Arnold Reuteler die Radiokarbonmethode, anhand derer genauere Untersuchungen gemacht werden konnten. Dafür war nur eine kleine Probe von zehn Milligramm des Holzes nötig, die Arnold Reuteler an ein Büro in London schickte. Anhand der Zusammensetzung konnte festgestellt werden, dass die Fichte zwischen 1211 und 1020 vor Christus abgestorben war.

Dass jemand mit einem Holzstück zu Matthias Bolliger gelangt, ist nicht aussergewöhnlich. Gerade bei Hölzern aus archäologischem Zusammenhang sei es gängig, dass die Funde dem archäologischen Dienst gemeldet werden. «Viele kennen jedoch die Methode der Altersbestimmung bei Hölzern nicht», sagt Bolliger und erklärt, dass auch die Daten, die sie aus den natürlich abgelagerten Stämmen – wie im Falle der Fichte aus Grund – gewinnen, dem archäologischen Dienst wieder für deren Referenzkurven dienen. «Es wäre schön, wenn sich noch mehr melden würden.»

Ein Lebewesen
Pläne für das ehrwürdige Stück Holz gibt es jedoch noch keine. Auf jeden Fall wird ein Stück davon dem Heimatmuseum übergeben. Für die weitere Verarbeitung fehlen jedoch noch zündende Ideen. Bei der Verarbeitung müsse darauf geachtet werden, dass es das Holz nicht spalte, erzählt Arnold Reuteler. Das sei jedoch auch bei weniger altem Holz der Fall. «Für mich ist es unheimlich beeindruckend zu sehen, dass das Holz lebt, auch jetzt noch. Es reagiert noch auf die Umwelt. Über 1000 Jahre vor Christus ist es mit dem entstanden, das es zur Verfügung hatte: Es brauchte Sonnenlicht, Kohlensäure aus der Luft – diese wird in Kohlenstoff und Sauerstoff umgewandelt und der Sauerstoff wieder an die Luft abgegeben. Aus dem Boden brauchte es Nährsalze und Wasser. Und jetzt, 3000 Jahre später, reagiert das Holz noch genau gleich wie zu Lebzeiten.»


METHODEN ZUR ALTERSBESTIMMUNG

Mit der Radiokarbonmethode kann das Alter von Funden wie Pflanzen und Knochen bestimmt werden. Die Methode basiert darauf, dass lebende Organismen Kohlenstoff aufnehmen. Kohlenstoff gibt es in drei Formen: C12, C13 und C14. Stirbt der Organismus, so nimmt er keinen Kohlenstoff des Typs C14 mehr auf. Der Anteil an C14 nimmt ab jetzt ab, nach 5730 Jahren ist nur noch die Hälfte davon vorhanden. Der Anteil an C13 bleibt hingegen stabil. Aus dem Verhältnis vom Anteil an C14 zu jenem an C13 im Fundstück kann das Alter des Fundes im Optimalfall auf wenige Jahrzehnte genau bestimmt werden.
Die Dendrochronologie ist ebenfalls eine Methode zur Altersbestimmung. Jedes Jahr bildet ein Baum einen Wachstumsring, je nach Wettergeschehen schmal oder breit. Das führt zu ähnlichen Wachstumsmustern in derselben Region. Ausgehend von heutigen Bäumen wurden durch Überlappung der Jahrringabfolgen von immer früher gefällten oder umgefallenen Bäumen eine Standardchronologie der letzten Jahrtausende erstellt. Findet man ein altes Holz, wird seine Jahrringabfolge gemessen und auf der Standardchronologie nach dem entsprechenden Muster gesucht. So erhält man im Idealfall sogar ein jahrgenaues Fälldatum.

PD/MELANIE GERBER


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