Grossartiger kleinster Scherenschnitt

  30.01.2018 Kunst

Am Sonntag wurde mit einer Vernissage die erste Einzelausstellung des jungen Scherenschnittkünstlers Marc Schweizer eröffnet. Rund dreissig Scherenschnitte sind noch bis Anfang April im Restaurant Hüsy in Blankenburg zu bestaunen.

JENNY STERCHI
Mit dem Titel seiner Ausstellung «Papierschnitte und Collagen – Tradition neu interpretiert» macht Marc Schweizer schon im Vorfeld deutlich, dass seine Scherenschnitte ein bisschen anders sind. Neben traditionellen Motiven wie Kühen, Ziegen, Häusern und Bäumen sind auch eigenwillige Wolkenformationen, Engelsgestalten und Silhouetten modern anmutender Menschen zu entdecken.

Mit Schweizers Kombination aus Symmetrie gespiegelter Schnitte und individuellen Formen und Motiven aus einem Stück vermag er das Auge des Betrachters beim ersten Hinsehen zu verwirren. Während Häuser und Tiere in beiden Bildhälften zwar gespiegelt, aber identisch sind, entfaltet sich darüber ein ganz und gar nicht symmetrisches Wolkenbild. Den Rand des Bildes zieren menschliche Gestalten, von denen keine der anderen gleicht.

Ein Weltrekord so gross wie ein «Füfi»
Es ist kaum vorstellbar, wie man aus einem kreisrunden Stück Papier – gerade so gross wie eine Fünf-Rappen-Münze – einen Baum mit 1161 Ästen ausschneiden kann. Und auch ein Fuchs hat in dieser Miniatur noch seinen Platz gefunden. Die Inspiration zu diesem Miniatur-Weltrekord holte er sich als 16-jähriger Scherenschnittkünstler bei Engelhardt Schmidt. Damals – Schweizer hatte sich mit drei seiner Arbeiten an einer Gemeinschaftsausstellung beteiligt – betrachtete er Schmidts kleinsten Scherenschnitt der Welt mit leuchtenden Augen. Sein Ehrgeiz, den Baum mit seinen 1083 geschnittenen Ästen noch verfeinerter darzustellen, war geweckt und 15 Jahre später ist es ihm mit seinem Miniaturschnitt gelungen. In seiner Laudatio verriet Hans-Jürgen Glatz, Inhaber des Restaurants Hüsy und selber passionierter Scherenschnittkünstler, dass auch Ueli Hofer ein Scherenschnittkünstler sei, an dem sich Marc Schweizer gern orientiert. Und doch hat er seinen ganz eigenen Charakter in den Scherenschnitten entwickelt. Traditionelles der Region findet ebenso Platz in seinen Arbeiten wie moderne Formen und Motive.

Die übrigen Werke in dieser Ausstellung bestechen ebenso durch aussergewöhnlich feine und filigrane Formen. Die Präzision in den Schnitten lässt den Betrachter mitunter daran zweifeln, dass sie von Hand gemacht sind.

Mit acht Jahren zum Scherenschnitt
Marc Schweizer, in Zweisimmen geboren und aufgewachsen, war acht Jahre alt, als er mit dem Scherenschnitt in Kontakt kam. Es war seine Mutter, die einen Kurs besuchte, um diese Schnitttechnik zu erlernen und das frisch erworbene Wissen an den interessierten Sohn daheim weitergab. Während sie einige Zeit später die Schere zur Seite legte, war bei ihrem Sohn Marc die Leidenschaft geweckt.

Eine Lehre zum Hochbauzeichner und ein Architekturstudium drängten das Hobby immer mal wieder in den Hintergrund, doch fand der junge Mann immer wieder zu dieser Kunst des Papierschnittes zurück. «Es ist für mich ein Ausgleich», erklärt Marc Schweizer seine Faszination. «Wenn ich an einem Schnitt arbeite, schalte ich komplett ab, bin in einer anderen Welt.» Die Genauigkeit und Detailtreue würden auch in seiner Arbeit verlangt, das komme ihm sehr entgegen. Marc Schweizer hat im Scherenschnitt eine Möglichkeit gefunden, seiner Wahrnehmung der Welt ein Bild zu geben. Andere schreiben Bücher oder malen Bilder, Schweizer verarbeitet Gesehenes und Erlebtes in Papierschnitten. Und so hat er eine Wanderung durch Schweden anstatt in einem Tagebuch in einem atemberaubenden Scherenschnitt festgehalten.

«Wir brauchen Nachwuchskünstler»
Regina Martin, Präsidentin des Vereins «Scherenschnitt Schweiz», war ebenfalls zu Gast an der Vernissage und bescheinigte Marc Schweizer grosses Können und einen individuellen Stil. «Auch unseren Verein plagen Nachwuchssorgen», so Martin. «Umso schöner ist es, einen so jungen, innovativen Künstler in unserem Verein zu haben und zu beobachten, dass der Wiedererkennungswert der Scherenschnitte von Marc Schweizer schon heute sehr beachtlich ist.» In der korrekten Darstellung der Bauernhäuser und Chalets wird seine Tätigkeit als Architekt deutlich.

Im Verein wird Marc Schweizer als zukünftiges Vorstandsmitglied und Archivar die Verantwortung übernehmen für den in naher Zukunft anstehenden Umzug des umfangreichen Scherenschnittarchives aus dem Restaurant Hüsy in das neu errichtete Scherenschnittmuseum in Château-d’Oex.

Die Ausstellung ist noch bis 8. April jeweils von Mittwoch bis Sonntag von 9 bis 23 Uhr offen.

Weitere Fotos unter https://tinyurl.com/y9c89utm


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