Warme Betten dank Airbnb?

  05.01.2018 Tourismus, Gstaad, Saanenland, Region, Destination, Berner Oberland

Das Schweizer Berggebiet habe schon lange mit schwachem Wachstum und Abwanderung zu kämpfen, so Daniel Müller-Jentsch, Autor von «Strukturwandel im Schweizer Berggebiet». Dem könne aber mit entsprechenden Rahmenbedingungen entgegengewirkt werden. Die amerikanische Firma Airbnb macht es vor, indem sie sogenannt «kalte Betten» in warme umwandelt. Die Präsenz der Online-Sharing-Plattform hat in der Tourismusregion Gstaad in den letzten Jahren stark zugenommen.

MELANIE GERBER
Knapp 60 aktive Inserate sind es, mit denen über die Airbnb-Plattform Unterkünfte in Gstaad angeboten werden, in der Region mehr als 300 und im gesamten Berner Oberland sogar 950. In den vergangenen zwölf Monaten ist die Anzahl der Unterkünfte im Berner Oberland um 67 % gewachsen, wie Airbnb mitteilt. Die Anzahl der Gastankünfte sei sogar um über 70 % gestiegen im Vergleich zum Vorjahrszeitraum. Im März 2016 wurden die Schweizer Wohnungsinserate der Plattform Airbnb von der Firma Datahouse AG erfasst und im Immo Monitoring von Wüest und Partner analysiert. Fazit: Es sei durchaus wahrscheinlich, dass die Zahlen weitersteigen werden. Ausserdem diene die Plattform in den touristischen Alpendestinationen als Vermarktungskanal für Zweitwohnungen. So ist es nicht erstaunlich, dass der Anbieter aus Kalifornien auch die Tourismusregion Gstaad erobert.

Unkomplizierte Vermietung
Die Vermietung über Airbnb sei sehr einfach, erzählt Hedwige Bingham, die ihre Zweitwohnung in Gstaad über die Online-Plattform anbietet. Sie ist seit ihrer Kindheit mit dem Saanenland verbunden, lebt und arbeitet aber in New York. Mit der Vermietung über Airbnb möchte sie auch Durchschnittsreisenden einen Aufenthalt in der Ferienregion Gstaad bieten können. Finanziell lohne sich der Aufwand nämlich nicht, sie brauche eine Putzfrau, jemanden für den Garten und zahle Kurtaxen für die Gäste. Was sie an Airbnb fasziniere, sei letztendlich der unkomplizierte Kontakt mit Menschen aus aller Welt. Alles laufe online, sie bekomme bei einer Buchung sofort eine Nachricht und habe dann oft intensiven Kontakt mit den Gästen, über WhatsApp oder wenn sie selber in Gstaad sei sogar persönlich. Sie empfindet die Menschen, die über Airbnb buchen, als unkompliziert, offen und dankbar – manche würden sogar Geschenke mitbringen.

Einer von vielen Kanälen
Für Tourismusdirektor Sébastien Epiney ist Airbnb einer von vielen Kanälen, auf denen freie Betten in Tourismusregionen angeboten werden können. Airbnb stelle somit ein Angebot dar, das seit Jahren vor allem in Schweizer Bergregionen wachse und eine neue Chance sei. Auch bei Gstaad Saanenland Tourismus können Ferienwohnungen zur Vermietung ausgeschrieben werden. Über 200 Objekte sind im Buchungssystem gemeldet und werden auf weiteren Plattformen wie Interhome, E-Domizil und Schweiz Tourismus angeboten. Mit im Angebot sind eine kostenlose Besichtigung des Objekts, Fotos, eine mehrsprachige Beschreibung und ganz besonders wichtig: eine Klassifizierung nach den Richtlinien des Schweizer Tourismusverbands. Damit wird die Qualität der Objekte garantiert. «Wir sind da, wir stehen zur Verfügung», betont Sébastien Epiney und weist darauf hin, dass Gstaad Saanenland Tourismus den Vermietern von Ferienwohnungen beratend zur Seite stehe und sich auch um Kurtaxe und Tourismusförderungsabgabe kümmere.

Tangiert auch Hotellerie
Airbnb als Anbieter tangiere auch automatisch die Hotelleriebranche, so Christian Hoefliger, Präsident des Hoteliervereins Gstaad-Saanenland. «Es tangiert uns, weil mit Airbnb Angebote auf dem Markt sind.» Primär spreche Airbnb eine andere, tendenziell jüngere Klientel an. Aber der Gast sei heutzutage sehr hybrid. Reisende, die urban leben und sich gewohnt sind, für Städtetrips über die Online-Plattform eine Unterkunft zu buchen, würden dies auch in einer Feriendestination wie Gstaad tun. «Die Reisegewohnheiten verändern sich», fügt Christian Hoefliger hinzu. Auch einzelne Hotels aus der Ferienregion Gstaad sind auf Airbnb zu finden. Es sei ein Versuch, den Markt zu testen und sich den veränderten Reisegewohnheiten anzupassen. «Man soll die Präsenz von Airbnb nicht werten», erklärt der Präsident des Hoteliervereins. «Jemand hatte diese Idee, jetzt ist sie auf dem Markt.» Einzig aus touristischer Sicht gäbe es einen Haken: Die Kurtaxen und Abgaben. Auch Anbieter, die über Airbnb vermieten, sollen ihren Obulus an die Infrastruktur leisten und die entsprechenden Taxen zahlen.

Mehr Verbindlichkeit für Kurtaxen
Die Airbnb-Plattform sei auch eine Herausforderung für Gemeinden und Tourismusorganisationen, wie Sébastien Epiney mitteilt, gerade wegen den Kurtaxen. Airbnb ist nicht alleine da und es ist deshalb schwierig,Tausende von Objekten auf Hunderten von Plattformen zu kontrollieren. Kurtaxen bezahlen alle Vermieter von Gästebetten, egal ob Hotelier, Campingplatz, Berghütte oder Vermieter von Ferienwohnungen. Gemäss Kurtaxen-Reglement der Einwohnergemeinde Saanen dienen die Kurtaxen ausschliesslich zur Finanzierung des Informationsdienstes, touristischer Einrichtungen und Veranstaltungen, die vor allem im Interesse der Gäste liegen. «Kurtaxen nicht zu bezahlen, ist unfair gegenüber denen, die bezahlen», erklärt Tourismusdirektor Epiney. Es brauche eine Lösung, so dass auch für Anbieter wie Airbnb eine stärkere Verbindlichkeit bestehe. «Ich wünsche mir eine schweizweite Regulierung.»

In Dialog treten
Trotz starkem Wachstum des Anbieters Airbnb sieht Tourismusdirektor Sébastien Epiney die Problematik der «kalten Betten» an einem ganz anderen Ort. Ungefähr 2500 Objekte im Saanenland seien Zweitwohnungen und nur 20 % davon werden aktiv vermietet. Somit stehen viele Objekte während längerer Zeit im Jahr leer und deren Betten bleiben kalt. Die Zweitwohnungsbesitzer möchten flexibel bleiben oder ihr eigenes Objekt nicht teilen, insbesondere gut betuchte Chaletbesitzer, erklärt Sébastien Epiney. «Wir brauchen ausgelastete Betten», fügt er hinzu. Dafür gebe es nur zwei mögliche Varianten: Die Objekte werden vermietet oder die Besitzer kommen selber. Die Lösung sieht der Tourismusdirektor darin, dass Gstaad als attraktive Destination vermarktet werden muss, sodass treue Kunden wiederkommen, dass unvermietete Ferienchalets durch ihre Besitzer, deren Angehörige oder Freunde auch ausserhalb der Hauptsaison besetzt werden, weil das Angebot in der Ferienregion Gstaad stimmt. Genau deshalb setzt er auf eine bessere Kommunikation und den Dialog mit den Zweitwohnungsbesitzern. «Wir haben noch viel Potenzial», meint Sébastien Epiney, aber man sei auf einem guten Weg. So wurde beispielsweise die Kurtaxe pauschalisiert und mit dem Brief eine Beilage mit Informationen zu Neuigkeiten und Events mitgeschickt. Ausserdem werde eine Kontaktdatenbank aufgebaut, sodass Zweitwohnungsbesitzer zukünftig per Newsletter an Informationen gelangen und man im Dialog mit ihnen sein könne. Generell gilt es, Zweitwohnungsbesitzer besser zu informieren und sie wertzuschätzen.

Ein Strukturwandel für neue Wertschöpfungsquellen
Mit dieser Strategie entspricht Gstaad Saanenland Tourismus dem Trend der Zeit. Daniel Müller-Jentsch zeigt in seinem 2017 veröffentlichten Werk, wie Zweitwohnungsbesitzer mit schlanken Strukturen eingebunden werden können. Laut dem Autor von «Strukturwandel im Schweizer Berggebiet» können Zweitwohnungsbesitzer den Strukturwandel nämlich positiv begünstigen und seien dem Berggebiet emotional verbunden. Mit ihnen in Dialog zu treten, sie gezielt anzusprechen und für Projekte vor Ort zu gewinnen, sei ein Weg zur Lösung. Andererseits sollen ihnen aber auch Vermietungsanreize geboten werden und gerade Online-Vermietungsplattformen wie Airbnb senken, laut Daniel Müller-Jentsch, die Hemmnis für die Vermietung einer Ferienwohnung, da der Organisationsaufwand relativ klein sei. Die Firma Wüest und Partner sieht das Erfolgsrezept der Online-Sharing-Plattform Airbnb in der Schaffung einer neuen, flexiblen Übernachtungsform in den Städten sowie der Etablierung eines neuen Vermarktungskanals für bestehende Zweitwohnungen in touristischen Alpendestinationen.


Wie viele Angebote gibt es?

In Gstaad sind es knapp 60 Anbieter, in der Region über 300.

Wie stark war das Wachstum?

In den letzten zwölf Monaten sind die Anzahl Unterkünfte im Berner Oberland um 67 % gewachsen.

Wen spricht das Angebot an?

Eine urbane Klientel, die unkompliziert und weltoffen ist, deren Reisegewohnheiten sich in den letzten Jahren verändert haben und die es gewohnt ist, online zu buchen.


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