Jeder ist Experte für seine Sprache

  23.02.2018 Region, Gesellschaft, Kultur, Saanenland

Im Alpenraum werden unterschiedliche Sprachen und Dialekte gesprochen. Auch das Saanendeutsch gehört dazu. In einem Forschungsprojekt werden nun die verschiedenen Begriffe aus dem Alpenraum rund um Alpwirtschaft, Milchverarbeitung, Flora, Fauna und Landschaftsformationen untersucht. In der dazugehörigen Crowdsourcing-Aktion kann jeder «Experte» seiner Muttersprache mitmachen.

MELANIE GERBER
VerbaAlpina heisst das Projekt – Wörter der Alpen. Unter diesem Titel wird an der Ludwig-Maximilian-Universität in München seit 2014 unter der Leitung von Thomas Krefeld und Stephan Lücke geforscht. Ziel des Projekts ist es, länderübergreifend den Sprach- und Kulturraum des Alpengebiets zu untersuchen. Die Wissenschaftler untersuchen die Sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch, Slowenisch und Rätoromanisch und erfassen Dialektwörter in der jeweiligen Sprache aus den Bereichen der Alpwirtschaft, Milchverarbeitung, Flora, Fauna und Landschaftsformationen. Die Daten dazu stammen mehrheitlich aus Wörterbüchern der letzten hundert Jahre. Um aktuelle Daten direkt von den Sprechenden der jeweiligen Sprachen und Dialekte sammeln zu können, haben die Forscher ein Crowdsourcing ins Leben gerufen.

Jeder kann mitmachen
Bei einem Crowdsourcing wird das Fachwissen einer Menge von Menschen zusammengetragen, basierend auf der Annahme, dass jeder Mensch Experte für seine Sprache ist. So kann jeder Bewohner des Alpenraums über ein Internetportal an der Crowdsourcing-Aktion von VerbaAlpina teilnehmen und damit wichtige Daten zur aktuellen Sprachund Kulturforschung beitragen. Wie sagt man «Käse» auf Saanendeutsch? Sagt man dazu in Lauenen anders als in Gsteig? Die Antworten darauf interessieren die Münchner Forscher, denn sie möchten die bestehenden Daten mit aktuellen Dialektwörtern ergänzen. Die gesammelten Daten sollen letztendlich aufbereitet und zugänglich gemacht werden. «Leider liegen uns bislang aus dem Saanenland noch keine Crowddaten vor», so Christina Mutter von VerbaAlpina. Es seien hingegen 150 Sprachbelege aus den Gemeinden des Saanenlands erfasst, Belege, die aus dem Sprachatlas der deutschen Schweiz stammen. Darunter seien auch Wörter wie «Süüstall», «Staafel», «Gaschtere» oder «Stoossankechübel».

Mehrere Dialekte im Saanenland
Es gebe aber nicht nur ein Saanendeutsch, sagt Walter von Siebenthal. Mindestens drei, eher noch mehr Dialekte könne man im Saanenland finden. Eigentlich habe sogar jede Familie ihren ganz eigenen Sprachgebrauch. Durch sprachliche Mischehen würden jedoch originelle Wörter verschwinden, so der ehemalige Lehrer.

Eine Besonderheit des Saanendeutsch sind die französischen Ausdrücke, die Eingang in den Dialekt gefunden haben. Walter von Siebenthal erklärt, dass es früher fast ein ungeschriebenes Gesetz war, nach der Schulzeit ein Jahr im Welschland zu verbringen. «Gewisse welsche Wörter hat man einfach automatisch übernommen», berichtet er. Ausserdem seien Händler über Savièse ins Saanenland gekommen und auch zwischen Saanen und Rougemont habe es keinen Röstigraben gegeben. Im Lauener Dialekt sieht Walter von Siebenthal hingegen auch einen Einfluss der englischen Sprache. «Käse» werde «Chees» geschrieben und «Chies» ausgesprochen, da sei der englische «Cheese» nicht mehr weit weg.

Jedoch lebt das Saanendeutsch nicht nur von seinem Wortschatz, sondern auch von grammatikalischen Eigenheiten. So werden beispielsweise Adjektive dekliniert, was wieder an die französische Sprache erinnert. Da es jedoch keine geschriebene Referenzgrammatik gebe, sei es sehr schwer, korrektes Saanendeutsch zu schreiben. So erkennen beispielsweise viele Saaner den Unterschied zwischen «wo» und «wa» gar nicht, wie Walter von Siebenthal berichtet. Beide Wörter können in der Schriftsprache mit «als» übersetzt werden, «wo» sei jedoch zeitlich zu gebrauchen, während man «wa» in Vergleichen vorfinde.

Obwohl es sich beim Saanendeutsch um keine eigentliche Schriftsprache handle, sollten laut Walter von Siebenthal beim schriftlichen Gebrauch davon dennoch ein paar Regeln befolgt werden. «Die wenigsten können das», sagt er, es sei nämlich sehr schwierig. Schon sein Deutschlehrer am Seminar habe ihm beigebracht, sich so oft wie möglich der Schriftsprache anzupassen. So sei «z Saane» gar nicht das gleiche wie «ds Dorf Saane», werde bei ersterem die Präposition «zu» verwendet, bei zweiterem jedoch der Artikel «das».

Projekt läuft weiter
Das Projekt der Münchner Forscher ist im November 2017 in eine zweite Phase gestartet, die noch bis Oktober 2020 andauern wird. Aktuell werden Sprachdaten aus den Bereichen Flora, Fauna und Landschaftsformation erfasst, sodass ab diesem Frühling auch Crowddaten dazu gesammelt werden können. Das oft unvollständige und uneinheitliche Datenmaterial aus Sprachatlanten und Wörterbüchern soll damit ausgeglichen, ergänzt und korrigiert werden, wie Christina Mutter mitteilt.

VerbaAlpina gehe es mehr darum, den Wortschatz zu erkunden als um die Beschäftigung mit grammatikalischen Strukturen. Im Vordergrund stehe dabei, Zusammenhänge in der Wortgeschichte der einzelnen Dialektwörter zu erkennen. «Es gibt viele Wörter im Alpenraum, die den gleichen Wortursprung haben», so Christina Mutter. Durch das aufbereitete Material der Forschungsgruppe können dem Nutzer Karten nach verschiedenen Kategorien angezeigt werden.

www.verba-alpina.gwi-uni-muenchen.de


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