«Es gibt Potenzial»

  24.04.2018 Saanenmöser

Dr. Daniel Müller-Jentsch von der Denkfabrik Avenir Suisse zeigte in seinem Referat mögliche Quellen künftigen Wachstums auf.

ANITA MOSER
Avenir Suisse habe eine sehr liberale marktwirtschaftliche Sichtweise», leitete der Vorsitzende über zum zweiten Teil. «Ich habe manchmal den Eindruck, das Berggebiet sei für Avenir Suisse eine Last, Landwirtschaft überflüssig – billiger wäre es, die Lebensmittel im Ausland zu beziehen – und die dezentrale Besiedelung nicht besonders sinnvoll. Viel günstiger wäre es doch, die Leute in den Zentren effizient zu versorgen», so Toni von Grünigen. Dr. Müller-Jentsch befasse sich mit räumlicher Entwicklung, Standortfragen und Verkehrspolitik. «Ich gehe davon aus, dass für ihn der Strukturwandel im Berggebiet Abbau heisst und Strategie für die regionale Entwicklung Rückbau», sagte von Grünigen und mit einem Augenzwinkern: Wenn dem so sei, könne man umgehend zum Schlummertrunk übergehen … Um es vorweg zu nehmen: Der Schlummertrunk musste warten.

Strukturwandel ist eine Tatsache
Der Alpenraum habe traditionell aufgrund seiner Geografie und Topografie schon immer mit strukturellen Nachteilen zu kämpfen gehabt, betonte Müller-Jentsch. «Wegen der peripheren Lage und den hohen Infrastrukturkosten.» Hinzu komme der demografische Wandel, der in vielen ländlichen Räumen in ganz Europa verstärkt zu spüren sei. Mit dem Strukturwandel im Bergtourismus, im Zweitwohnungssektor und dem Energiesektor seien drei wichtige Quellen der Wertschöpfung unter Druck.

Zweitwohnungsbesitzer einbinden
Nach seiner Stärken-Schwächen-Analyse zeigte Müller-Jentsch mögliche Quellen künftigen Wachstums auf. «Es gibt Potenzial», schlussfolgerte Müller-Jentsch. In einer Walliser Gemeinde habe ein Hotelier beispielsweise Erfolg mit einer hybriden Form von Tourismus. «Er arbeitet mit IT-Unternehmen aus dem Mittelland zusammen.» Während der Woche würden die Angestellten in Ruhe an ihren Computern arbeiten, in ihrer Freizeit die Infrastruktur der Region nutzen und am Wochenende ihre Familien nachholen.

«Als grosse Chance sehen wir die Rolle der Zweitwohnungsbesitzer», erklärte Müller-Jentsch weiter. Sie seien in der Regel mit ihrer Zweitwohnungs-Region emotional stark verbunden, oft über Generationen hinweg. «Man muss mit ihnen in Dialog treten.»Viele Zweitwohnungsbesitzer verfügten auch oft über ein grosses nationales und internationales Netzwerk. Dieses gelte es zu nutzen.

Regionale Holzbaustrategie entwickeln
Das Berner Oberland und insbesondere die Gemeinde Saanen verfüge über eine hochentwickelte Holzbaukultur. «Sie ist eine Visitenkarte der Region», betonte der Referent. Gegen aussen könnte man dies aber noch viel besser vermarkten. Vorarlberg sei in dieser Hinsicht vorbildlich, werde international in dieser Branche als Leuchtturm wahrgenommen. «Es gibt ein Vorarlberger Architektur-Institut mit Ausstellungen, Symposien und Weiterbildungen.» Jährlich würde in elf Kategorien ein Holzbaupreis verliehen und der jährliche «Tag der offenen Holzbau-Türen» sowie Themenwanderwege seien ein Touristenmagnet. «Und bei öffentlichen Bauten gilt ein hoher Qualitätsanspruch mit Architekturwettbewerben usw.» Als Auftakt für die Entwicklung einer regionalen Holzbaustrategie in unserer Region riet Daniel Müller-Jentsch den Gemeindebehörden und Holzbauvertretern zu einer Studienreise in den Bregenzer Wald. «Viele Qualitäten sind nach aussen noch zu wenig sichtbar. Es geht darum, diese Qualitäten sicht- und erlebbar zu machen und die Akteure auch zu animieren, weiterhin hohe Wertschöpfung und innovative Technologien zu entwickeln.» Das sei Vorarlberg in vorbildlicher Weise gelungen.

«Nicht alles lässt sich eins zu eins umsetzen, aber Beispiele zeigen, dass viele Regionen ihre eigenen Strategien entwickelt haben und erfolgreich am Weltmarkt oder an überregionalen Märkten partizipieren und das teilweise auch in sehr traditionellen Low-Tech-Branchen wie der Forstwirtschaft oder der Landwirtschaft.»

Neubürger statt temporäre Arbeitskräfte
Eine Herausforderung für die Berggebiete ist die Überalterung. «Das Berggebiet vergreist, junge Familien werden rar und im Gegenzug gibt es viele auswärtige Arbeitskräfte mit temporären Verträgen – die Folge ist eine hohe Fluktuation», sagte Müller-Jentsch. Man müsste Wege finden, auswärtige Fachkräfte zu integrieren. Gefordert wären sowohl die Arbeitgeber – dauerhafte Arbeitsverträge anbieten, Hilfe bei der Stellensuche für nachziehende Ehepartner – als auch der Kanton und die Gemeinden. Diese müssten Hilfe anbieten bei der Wohnungs- und Schulsuche sowie bei den Formalitäten. « ‹Ihr seid willkommen und wir bauen euch Brücken› wäre ein wichtiges Signal», sagte der Referent und betonte zum Schluss: «Es gibt aber keine Wunderlösungen.»

www.avenir-suisse.ch/publication/strukturwandelim-berggebiet


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