«Die Gämsblindheit ist nicht besiegt»

  05.07.2016 Gesellschaft

JAGD Die Jagdstrecke* 2015 ist ausgewertet: Im Wildraum 13, zu dem auch das Saanenland gehört, wurden die Abschussvorgaben des Kantons mit minimalen Abweichungen eingehalten. Weiterhin bleibt aber der Bestand von Fuchs und Dachs hoch, dies wegen der verminderten Jagd und wegen des grossen Futterangebotes im Siedlungsgebiet. Niklaus Blatter, Jagdinspektor des Kantons Bern, geht im Interview auf die wichtigsten Wildthemen wie Wildschäden, Gämsblindheit und Luchsproblematik ein.

BLANCA BURRI

Niklaus Blatter, was zeichnet den Wildraum 13 aus?
Er ist wie der ganze Kanton Bern recht vielseitig. Gebiete mit wenig Störungen und guten Einständen, die Ruhe und entsprechende Äsungsgrundlagen bieten, sind günstige Lebensräume. Der Wildraum 13 bietet allen einheimischen Wildtieren zu den entsprechenden Jahreszeiten gute Lebensräume.

Laut Jahresrückblick gab es viel Fallwild bei Fuchs und Dachs. Was sind die Gründe? Die Bestände von Dachs und Fuchs sind in den letzten Jahren angestiegen. Dies zeigen nicht nur die Fallwildzahlen, sondern auch die Feststellungen des örtlichen Wildhüters. Die Gründe dafür sind nicht immer klar ersichtlich. Tatsache aber ist, dass die Jagd auf Dachs und Fuchs nicht mehr in gleichem Ausmass wie früher betrieben wird. Die dem Wildhüter gemeldeten Wildschäden sind aber seit Jahren immer etwa gleich hoch geblieben. Was sich geändert hat, ist das Verhalten der Bevölkerung: Kehricht, Hunde und Katzenfutter etc. werden draussen hingestellt, was Wildtieren eine Nahrungsgrundlage im Siedlungsgebiet bietet und auch zu deren Vermehrung beiträgt. Weiter sind sich Kleintierhalter mit Freigehegen oder Aussenstallungen oft nicht bewusst, dass Fuchs, Dachs und Marder auch im Siedlungsbereich leben. Oft reicht es bereits, wenn sich die Bevölkerung der Präsenz dieser Tiere bewusst wird und ihr Verhalten anpasst, vorsichtiger wird.

Muss man wegen des hohen Bestandes eingreifen?
Die Bestände regulieren sich nach unseren Beobachtungen mit kleineren Reproduktionen und Nachwuchsraten oder durch äussere Einflüsse wie Krankheiten oft selber.

Der Gämsbestand scheint sich nach einem absoluten Tief von letztem Jahr leicht zu erholen.
In den letzten Jahren ist der Bestand der Gämsen in der Region insgesamt stabil geblieben. Aber bereits ein nasskaltes Frühjahr, wie es in diesem Jahr der Fall war, kann zu Ausfällen beim Nachwuchs führen und damit den Bestand negativ beeinflussen. Ob dies im laufenden Jahr der Fall ist, werden wir anhand der Zählungen im Herbst und in den nächsten Jahren aufgrund der Jagdstrecke sehen.

Ist die Krankheit Gämsblindheit besiegt? Die Gämsblindheit kann nicht als besiegt bezeichnet werden. Auch wenn es um die Krankheit gegenwärtig ruhig ist, kann sie jederzeit wieder auftreten. Um sie auszumerzen, müsste der Ansteckungskreislauf der Infektionskrankheit unterbrochen werden. Dies ist aber schwierig, da beide Übertragungsrichtungen, also sowohl von den Haustieren auf die Wildtiere als auch umgekehrt, für die Verbreitung der Krankheit verantwortlich sind. Ob Haus- für Wildtiere als Ansteckungsquelle gelten, ist zudem Gegenstand der Forschung.

Bei der aktuellen Zählung gab es weniger Rotwild als in den Vorjahren. Wieso? Die Rotwildzählung zeigte tatsächlich tiefere Zahlen. In diesem Jahr erfolgten die Einwanderungen der Hirsche aus den Nachbarkantonen aufgrund der Wetterlage erst nach den offiziellen Zählungen. Die inzwischen erfolgte Einwanderung zeigte aber, dass der Bestand insgesamt nicht abgenommen hat.

Wie haben sich die Wildschäden in den letzten Jahren verändert?
Die Region Obersimmental-Saanenland ist in Bezug auf Wildschäden konstant tief. Waldschäden, verursacht durch Hirsche und Gämsen, kommen höchstens vereinzelt vor, im letzten Jahr gar nicht. Am ehesten treten Schäden an Nutztieren, verursacht durch Luchs oder Wolf, auf.
Im letzten Jahr mussten in der ganzen Region Obersimmental-Saanenland lediglich sechs Gesuche bearbeitet werden. Die geleisteten Entschädigungen betrugen gut 4000 Franken. Im Vergleich dazu wurden im Kanton Bern im letzten Jahr gut 200 000 Franken für die gesamten Wildschäden (hauptsächlich durch Rehwild und Rotwild verursacht) ausbezahlt.

Sie sind mit verschiedenen Gruppen im stetigen Austausch betreffend Raubtiere. Wie ist die Situation im Saanenland?
Der Luchs kommt seit 1974 im Saanenland vor und der Bestand ist seither mit kleinen Schwankungen mal kleiner, mal grösser. Da diese Wildtierart ein recht grosses Gebiet nutzt, lassen sich die genauen Zahlen nur schwer abschätzen. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass der Luchs bis heute zu keinen Problemen führte, die man mit Abschüssen hätte regulieren müssen. Die Wildtierbestände wie auch die Jagdstrecke sind sogar höher als in der Zeit, in der es noch keinen Luchs im Saanenland gab. Zudem gibt es sporadisch auch Schäden durch Wölfe, welche einen Abstecher in den Wildraum 13 machen.

*Jagdstrecke: Die Jagdstrecke, oft auch einfach kurz Strecke genannt, bezeichnet das in der Jagd erlegte (in der Jägersprache: gestreckte) Wild. Sie bildet die Grundlage für die Jagdstatistik.

ZUR PERSON

Niklaus Blatter ist seit April 2016 neuer Jagdinspektor des Kantons Bern und löste Peter Juesy ab, welcher das Pensionsalter erreichte. Niklaus Blatter ist 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Söhne. Aufgewachsen ist er in Utzenstorf auf dem Gelände der ehemaligen kantonalen Wildschutzanlage. Das Studium der Rechtswissenschaften hat er in Bern absolviert. Seit 2003 ist er als bernischer Fürsprecher patentiert. Er war bei der Rechtsabteilung der Volkswirtschaftsdirektion tätig, zuletzt als deren stellvertretender Leiter.


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