Der Krieg war einst ein «Auslaufmodell» …

  29.09.2017 Saanenland, Kolumne

Vor 25 Jahren wurde das «Ende der Geschichte» ausgerufen, etwas später dann auch noch das «Ende des klassischen Krieges». Die erste These setzte 1992 der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama kurz nach dem Mauerfall und den demokratischen Umbrüchen in Osteuropa in die Welt. Demokratie, Liberalismus und Marktwirtschaft, so lautete kurz zusammengefasst die These, hätten gewonnen und seien alternativlos; politische Ideologien, Autoritarismus und Totalitarismus dagegen befänden sich endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte. Das erwies sich als falsch, aber der Autor wurde berühmt.

Etwas komplizierter verhält es sich mit der zweiten These. Gegen Ende des vergangenen und zu Beginn des neuen Jahrhunderts machte die These vom «Ende des ‹klassischen› Krieges» die Runde. So lautete beispielsweise der Titel eines Artikels des deutschen Politologen Herfried Münkler. Der zwischenstaatliche Krieg sei «ein historisches Auslaufmodell.» Die klassischen, konventionellen, symmetrischen Kriege zwischen Staaten seien von asymmetrischen Kriegen abgelöst worden, also von Bürgerkriegen, innerstaatlichen Konflikten, Terrorattacken, Guerillakriegen, Kriegen von Warlords als Folge eines Staatszerfalls etc. Angesprochen sind auch Kriege zwischen Gegnern, die strategisch und waffentechnisch völlig unterschiedlich und ungleichgewichtig ausgerichtet sind. Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld schrieb in seinem 1991 erschienenen Buch «Die Zukunft des Krieges»: «Konventionelle militärische Organisationen der wichtigsten Mächte haben für die überwiegende Form des heutigen Krieges so gut wie keine Bedeutung.» Und: «Falls es nicht zum atomaren Holocaust kommt, steckt der konventionelle Krieg offenbar in der letzten Phase seiner Abschaffung.» Van Creveld ging gar so weit zu behaupten, dass «in der Kubakrise im Oktober 1962 wohl letztmals jemand ernsthaft mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte.» Nun müssen wir erleben, dass das so leider nicht stimmt: Nordkoreas Kim Jong-un wie Amerikas Donald Trump drohen einander mit Atomwaffen; die Frage ist höchstens wie «ernsthaft».

Diese Analysen waren vielleicht doch etwas voreilig. Es ist zwar unbestritten, dass derzeit praktisch keine klassischen, zwischenstaatlichen Kriege geführt, dafür sehr viele asymmetrische kriegerische Konflikte ausgetragen werden. Ob der konventionelle Krieg jedoch wirklich ein «historisches Auslaufmodell» (Münkler) ist, muss bezweifelt werden. Zumindest in den Köpfen und Planungen der Militärs nimmt er nach wie vor einen prominenten Platz ein. Im Fernen Osten ist zudem die Gefahr eines grösseren zwischenstaatlichen Krieges gestiegen. Aber auch in Europa kommen sich russische Truppen und Nato-Verbände bedrohlich nahe. Russland sieht sich von der Nato umzingelt, der Westen befürchtet nach der Annexion der Krim weitere russische Expansionsversuche. Man schaukelt sich gegenseitig hoch: Die Nato hat mehrere Bataillone in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert. Militärmanöver auf beiden Seiten finden immer häufiger statt. Mitte September haben Russland und Weiss russland an der Nato-Ostflanke eine grosse Truppenübung durchgeführt.

Es kommen wieder alte Taktiken in Mode. An der russischen Grenze im Osten Europas stehen sich erneut hoch gerüstete, offen operierende staatliche Armeen gegenüber. Nicht mehr nur kleinere, verdeckte und schnell operierende Einheiten kommen zum Einsatz, sondern wieder, wie im konventionellen Krieg, schweres Gerät und eine grosse Anzahl an Soldaten.

Die vorherrschenden asymmetrischen Konflikte verschwinden deswegen natürlich nicht. Es kommen einfach vermehrt wieder konventionelle Kriegsszenarien dazu, zusätzlich auch noch die heute kaum abschätzbaren Risiken aus den neuen Technologien mit unterschiedlichen Szenarien des Cyberkriegs. Neuere Formen militärischer Bedrohung verdrängen offensichtlich nicht die älteren. Die Voraussagen der Zeit um die Jahrtausendwende über die Zukunft des Krieges markierten bloss Trends. Aber das ist ja nun wirklich nicht neu: Trends lassen sich feststellen, aber ob sich die Wirklichkeit dann auch längerfristig in diese Richtung bewegt, ist eine andere Frage.

JÜRG MÜLLER
[email protected]


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