Wie und wo die Politik für Wirtschaft und Finanzmärkte relevant ist

  05.09.2017 Wirtschaft

Trotz der vielen politischen Erschütterungen und Unsicherheiten der vergangenen 18 Monate haben die internationalen Aktienmärkte ihren Marsch nach oben scheinbar unbeirrt fortgesetzt. Die Folgerung, dass (geo)politische Veränderungen für Wirtschaft und Finanzmärkte irrelevant seien, wäre aber verfehlt.

An politischen Überraschungen hat es in den vergangenen 18 Monaten wahrlich nicht gefehlt. Die 2015 einsetzende Flüchtlingswelle drohte noch letztes Jahr insbesondere die deutsche politische Landschaft umzukrempeln. Am 23. Juni 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Briten – nicht zuletzt als Folge von Ängsten über Einwanderung – für den Austritt aus der Europäischen Union. Am 8. November gewann entgegen aller Erwartungen der extreme Aussenseiter Donald Trump die US-Präsidentschaft und am 4. Dezember verwarfen die italienischen Stimmbürger mit grossem Mehr eine Verfassungsänderung, welche vielerorts als zentral für die Reform des Landes angesehen wurde.

Auch dieses Jahr setzte sich der Reigen der Überraschungen fort, zuerst mit dem Sieg des jungen Emmanuel Macron in den französischen Präsidentschaftswahlen. Er setzte sich gegen die Kandidaten der traditionellen Regierungsparteien sowie des Front National durch. Viel beängstigender schliesslich erscheint der jüngste dramatische Anstieg der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Trotz alledem gibt es bisher kaum Anzeichen eines baldigen Einbruchs an den Aktienmärkten, auch wenn der Aufwärtstrend in jüngster Zeit etwas an Fahrt verloren hat. Insbesondere bleiben die Kosten für eine Kursabsicherung, welche ein wichtiges Mass für Finanzmarktrisiken darstellen, auf historisch tiefen Niveaus. Sind Finanzmärkte tatsächlich gegenüber politischen Ereignissen immun geworden?

Ein zweiter Blick zeigt eine grössere Sensitivität der Märkte
Ein genauerer Blick auf die Marktreaktionen zeigt, dass dem nicht so ist. Erstens haben die Aktienmärkte jeweils im Vorfeld der oben aufgezählten Abtimmungen und Wahlen immer leicht nachgegeben, d.h. offensichtlich einen gewissen Abschlag für den Fall eines wirtschaftsunfreundlichen Ausgangs eingebaut. Nach dem Eintreffen der Resultate wurde dieser Abschlag dann jeweils ausgeglichen, da die Marktteilnehmer offensichtlich zum Schluss kamen, dass die Bedrohung für die Wirtschaft klein sei, oder sogar positive Impulse resultieren könnten. Im Fall der französischen Präsidentschaftswahlen ist dies vollkommen nachvollziehbar, da sich mit der Wahl von Herrn Macron die Chancen auf Reformen in Frankreich tatsächlich verbessert haben – bei einem Sieg von Marine Le Pen wäre die Reaktion wohl fast sicher anders ausgefallen.

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump haben zuerst die US-Aktien, vor allem auch jene kleiner Unternehmen, positiv reagiert, weil davon ausgegangen wurde, dass verschiedene Bereiche der Wirtschaft dereguliert würden. Dieser Optimismus hat in der Zwischenzeit etwas nachgelassen. Negativer reagierten anfangs die Aktien und Währungen aus Schwellenländern, da die Angst vor protektionistischen Massnahmen der USA gegenüber diesen Ländern aufkam. Es zeigte sich jedoch bald, dass die Regierung Trump vor radikalen Massnahmen Abstand nehmen würde, da diese ja vor allem die US-Konsumenten und damit Herrn Trumps eigene Wähler treffen würden. Im Fall der Brexit-Abstimmung erholten sich die internationalen Aktienmärkte ebenfalls innert weniger Tagen. Da Grossbritannien nur gerade 2,5 % des globalen Wirtschaftsvolumens erbringt war auch dies eine logische Reaktion. Zudem wurden die Märkte durch die Gegenreaktionen der Notenbanken gestützt – die Bank of England senkte gar nach der Abstimmung die Zinsen. Hingegen hat sich das britische Pfund vom Brexit-Schock kaum erholt, was zeigt, dass der recht wahrscheinliche Verlust des EU-Marktzugangs Grossbritanniens seine Wettbewerbsfähigkeit und damit den Wohlstand des Landes schmälern würde.

Es zeigt sich also insgesamt, dass Finanzmärkte nach politischen Schocks recht rasch zu kalkulieren versuchen, inwieweit politische Entscheide die Gesamtwirtschaft und damit Unternehmen beeinträchtigen oder stützen werden. Interessant ist es festzustellen, dass die Märkte und vor allem der US-Dollar seit einigen Wochen sensitiver auf Konflikte zwischen dem US-Präsidenten und seiner Partei reagieren. Die grundsätzliche Robustheit der US-Verfassung limitiert aber negative Reaktionen. Um verstärkten Optimismus aufkommen zu lassen, müsste es aber klarer werden, dass die angesagten Reformen – zum Beispiel bei der Steuerpolitik – tatsächlich umgesetzt werden. Im Fall der Koreakrise haben die Märkte jeweils mit Kursrückschlägen auf einen Anstieg der Spannungen reagiert, sich nach einigen Tagen oder gar Stunden aber wieder erholt. Offensichtlich lautet ihr Urteil, dass die Hauptakteure in diesem Konflikt schliesslich rational handeln werden. Es ist sehr zu hoffen, dass dieses Urteil akkurat ist.
DR. OLIVER ADLER, CHEFÖKONOM, CREDIT SUISSE (*)

(*) Dr. Adler hat am 15. August im Gstaad Yachtclub im Rahmen einer Veranstaltung von Credit Suisse Invest zu diesen und anderen Themen referiert.


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