Kraftvolle Filme aus einem darniederliegenden Land

  06.10.2017 Gstaad, Kultur, Vorschau

Das Filmpodium Saanenland zeigt am Montag, 9. Oktober um 20.30 Uhr im Kino Gstaad den rumänischen Film «Graduation» von Cristian Mungiu (Rumänien 2016).

Als angesehener Arzt lebt Romeo mit seiner Frau und seiner Tochter Eliza in einer rumänischen Kleinstadt. Als 49-Jähriger gehört Romeo zur Generation, die nach dem Sturz Ceausescus und dem Ende der kommunistischen Diktatur angetreten ist, «Berge zu versetzen» – und gescheitert ist. Die Hoffnungen auf Veränderung und ein besseres Leben haben sich zerschlagen; auch Romeo hat sich in Bequemlichkeit und Resignation eingerichtet, in den schäbigen kleinen Freiheiten des Alltags. Er unterhält eine Liebschaft mit der Lehrerin der Tochter, seine Frau versinkt in Depressionen. Alle Hoffnungen setzt Romeo auf die Tochter. Sie steht kurz vor den letzten Matura-Prüfungen und soll aufgrund ihrer guten Schulnoten ein Stipendium für ein Studium an einer Elite-Universität in England erhalten. Eliza soll all die Chancen haben und all die Hoffnungen erfüllen, mit denen die Eltern längst gescheitert sind.

Kurz vor der letzten, entscheidenden Prüfung wird Eliza bei einem Überfall mit versuchter Vergewaltigung so traumatisiert, dass sie versagt; das Stipendium ist in Gefahr. Romeo versucht mit allen Mitteln, Eliza zu helfen. Er aktiviert seine Seil- und Freundschaften, um einen Vorteil für die Tochter herauszuschlagen. Dabei führen all die kleinen Schritte, die er in seiner Verzweiflung tut, zum allmählichen Zusammenbruch all der moralischen Prinzipien von ihm und seiner Frau, die sie auch der Tochter haben vermitteln wollen. Als Zuschauer wünscht man Romeo Glück bei seinen Bemühungen, der Tochter helfen zu wollen, erkennt aber schon bald, dass er sich mit dem Verrat seiner moralischen Überzeugungen immer tiefer verstrickt und grossen Schaden anrichtet.

Cristian Mungiu gehört zu den Regisseuren, die in den letzten zehn Jahren mit den Filmen der «neuen rumänischen Welle» Furore gemacht haben. 2007 gewann er mit dem Abtreibungsdrama «4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage» die Goldene Palme von Cannes. Mit kraftvollen und vitalen Filmen zeigen sie nicht nur die Realität im darniederliegenden Rumänien, sondern sie setzen auch in formaler Hinsicht neue Standards im Filmschaffen. Während Mungiu mit seinen realistischen, auf verschiedenen Ebenen durchkomponierten Filmen überzeugt, schafft Cristi Puiu, ein anderer Vertreter des rumänischen Films, neue Bilder für die Gesellschaft in der Stagnation zwischen Etabliertheit und fehlender Zukunftperspektive: In seinem neuesten Film raucht, trinkt, streitet und weint eine Festgesellschaft in einem lähmenden Gefühl der Ausweglosigkeit, das sich am Ende in einem wenig freudvollen Lachen auflöst.

Wie in seinen früheren Filmen analysiert der Regisseur auch in «Graduation» radikal und schonungslos die politische Befindlichkeit seines Heimatlandes. Schnell wird jedoch klar, dass das gezeigte Eine-Hand-wäscht-die andere-Prinzip nicht nur in Rumänien gilt. «Graduation» verkommt nicht zur simplen Rumänien-Kritik, sondern ist eine kraftvolle und auch schmerzhafte Bestandesaufnahme menschlicher Bosheit und Schwächen. Welchen unvergleichlichen Kraftakt es bedeutet, dem Gewirr der Gefälligkeiten zu entkommen, zeigt Eliza mit einer Entschlossenheit, die aus der schüchternen Schülerin innerhalb weniger Tage eine erwachsene Frau werden lässt – ein Hoffnungsschimmer für eine neue Generation, die antritt, um «Berge zu versetzen» …

Wir freuen uns auf Ihren Besuch – wie immer am zweiten Montag des Monats im Kino Gstaad!

FILMPODIUM SAANENLAND


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote