«Keine weiteren Zentralisierungen zu Lasten der Bevölkerung»

  17.11.2017 Saanenland

Zahlreiche Oberländer Gemeinden, darunter auch die drei Gemeinden aus dem Saanenland, appellieren mit einem Brief an den bernischen Grossen Rat und die Kantonsregierung, der Motion «Regierungsstatthalter und Grundbuchämter nicht weiter schwächen» zuzustimmen.

Mit der Motion, eingereicht von verschiedenen Grossräten, darunter Thomas Knutti, Anne Speiser und Christian von Känel (alle SVP), wird der Regierungsrat beauftragt, «bei künftigen Reformen die regionalen Grundbuchämter nicht weiter zu zentralisieren und in sämtlichen Verwaltungskreisen zu belassen und zu stärken, insbesondere auch die zwei Dienststellen in Interlaken und Frutigen» sowie «bei künftigen Reformen die Regierungsstatthalterämter nicht weiter zu zentralisieren und in sämtlichen Verwaltungskreisen zu belassen und zu stärken.

Seit der Einführung der Bezirksreform 2010, als die bisherigen 26 Amtsbezirke in fünf Verwaltungsregionen und zehn Verwaltungskreise geändert worden seien, habe sich nur wenig Positives ergeben, heisst es in der Begründung. Ebenfalls seien die 13 Kreisgrundbuchämter von 13 Standorten auf fünf regionale Ämter und zwei Aussenstellen (Frutigen und Interlaken) reduziert worden.

Die Aufgabe der Verwaltungskreise sei die Aufsicht über die erstinstanzliche Verwaltungsjustiz gegenüber den Gemeinden, Koordination bei Katastrophen, Baubewilligung und Baupolizei und Ombudsfunktionen. «Die Grundbuchämter leisten vor Ort umfangreiche Dienstleistungen in Bezug auf Grundstücke und Gebäude und nehmen viele in diesem Zusammenhang stehende Arbeiten wahr. Täglich kommen viele Leute mit Fragen zum Grundbuchamt und ersuchen um Einblick in Pläne und Grundbuchauszüge. Viele Nachbarschaftsstreitereien können so niederschwellig geklärt werden.» Im Zusammenhang mit der Positionierung von Städten und Gemeinden im Standortwettbewerb stelle sich immer wieder die Frage, ob die existierenden kommunalen Verwaltungsstrukturen der damit verbundenen Anforderung gerecht werden könnten. Die Theorie der Zentralisierungen lasse keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Vorteilhaftigkeit zu. Die oben genannten Aufgaben seien für den Kanton weiterhin von grosser Bedeutung und sollten beibehalten werden. Mit der Reform seien die versprochenen Einsparungen nicht erreicht und der sogenannte «Service public» sei abgebaut worden.

Dem Vernehmen nach sei im Anschluss an die Direktionsreform eine weitere Reform zur Zentralisierung der Regierungsstatthalter- und Grundbuchämter geplant, schreiben die Motionäre. «Aus unserer Sicht darf bei den genannten Ämtern kein weiterer Abbau vorgenommen werden. Bei der Bezirksreform 2010 wurden grosse Investitionen getätigt und Einsparungen können keine vorgelegt werden. Eine weitere Zentralisierung würde in kurzer Zeit wieder weitere Arbeitsplätze in der Landregion kosten.» Ebenfalls sei für die Bevölkerung die Schmerzgrenze von Zentralisierungen erreicht worden, und ein weiterer Abbau nur wenige Jahre nach der letzten Reform werde kaum verstanden,

Zentralisierung derzeit nicht geplant
Eine Zentralisierung oder Zusammenlegung von Regierungsstatthalterämtern oder Grundbuchämtern sei derzeit (auch im Rahmen des Entlastungspakets 2018) nicht geplant, schreibt der Regierungsrat in seiner Antwort. Der Regierungsrat erachte es als seine Daueraufgabe, die staatliche Aufgabenerfüllung sparsam und wirtschaftlich zu organisieren. Es gehöre ebenfalls zu den permanenten Aufgaben der Regierung und der Verwaltung (dies auch im Sinne diverser politischer Vorstösse aus dem Grossen Rat), kontinuierlich zu prüfen, wie die Aufgabenerfüllung betriebswirtschaftlich optimiert und allfällige Sparpotenziale genutzt werden könnten.

Aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen und aus Gründen der rechtlichen und organisatorischen Umsetzbarkeit biete es sich an, die Schliessung der Dienststellen Interlaken und Frutigen und damit die Zentralisierung des Grundbuchamtes Oberland in Thun zu prüfen. Durch die Schliessung von insgesamt zwei oder mehr Standorten würde eine moderate Konzentration der bernischen Grundbuchführung an den verbleibenden Standorten stattfinden, schreibt der Regierungsrat. So müssten z.B. Tagebuch, Buchhaltung sowie Auskunftsdienste (Schalter und Telefon) an weniger Standorten geführt bzw. gewährleistet werden. Stellvertretungsregelungen, die Schaffung von Kompetenzzentren für Spezialaufgaben und die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung würden erleichtert. Die Führung der Grundbuchregionen durch die Geschäftsleitung der Grundbuchämter würde vereinfacht, da die Regionen in Bezug auf Grösse und Organisation vergleichbarer würden. Dadurch könnten die verbleibenden Grundbuchämter auch gestärkt werden, heisst es in der regierungsrätlichen Antwort. «Der mit der Vergrösserung von Organisationseinheiten einhergehende zunehmende Organisationsaufwand, der Verlust von Arbeitsplätzen in Randregionen und die damit verbundenen Ängste beim Personal sowie die tendenziell kleinere Flexibilität der grösseren Organisationseinheiten müssten in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden; ebenso die Kosten einer Reorganisation, insbesondere für die Vergrösserung der zusammengelegten Standorte.»

In Anbetracht des heutigen Standes der Digitalisierung und lnformatisierung der Grundbuchführung dürfte der mit der moderaten Zentralisierung zusammenhängende Verlust an Bürgernähe objektiv vertretbar sein, so der Regierungsrat. Deshalb habe der Regierungsrat im Rahmen des Entlastungspaktes EP 2018 verschiedene Aufgabenbereiche identifiziert, die möglicherweise über Optimierungspotenzial verfügten. «Dabei hat der Regierungsrat auch eine mögliche Reorganisation des Grundbuchamtes und des Betreibungs- und Konkursamtes nicht ausgeschlossen und will in diesen Bereichen konkrete Projekte starten zur Eruierung des vermuteten Optimierungspotenzials.» Betriebswirtschaftlich ähnliche Überlegungen wie bei den Grundbuchämtern könnten durchaus auch für die Regierungsstatthalterämter geltend gemacht werden. So seien kleinere Regierungsstatthalterämter schon heute stark gefordert, die zahlreichen und komplexen Aufgaben mit einem kleinen Personalkörper zu bewältigen. Durch interne Massnahmen gelinge es der Geschäftsleitung der Regierungsstatthalter heute gut, solche Belastungsspitzen durch gegenseitigeHilfe unter den zehn Regierungsstatthalterämtern abzufedern. Es entspreche aber auch in diesem Zusammenhang einer kontinuierlichen Aufgabe der Geschäftsleitung der Regierungsstatthalter und der Regierung, Standortfragen, organisatorische Rahmenbedingungen, Kosten sowie regionalpolitische Bedürfnisse in regelmässigen Abständen zu überprüfen und – wo möglich und sinnvoll – Verbesserungsmassnahmen einzuleiten. Der Regierungsrat gehe davon aus, dass es auch in Zukunft weiterhin zehn Regierungsstatthalterämter in ihrer wichtigen Rolle als «Scharnier» und Bindeglied zwischen der Bevölkerung, den gemeinderechtlichen Körperschaften und dem Kanton in den zehn Verwaltungskreisen geben werde. «Es kann jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass in Zukunft die heutigen Verwaltungsregionen und -kreise und damit die Anzahl der Regierungsstatthalterämter wieder überdacht werden könnten.» Derartige Überlegungen wären bei einer Annahme der Motion bei künftigen Reformen sozusagen ausgeschlossen. Die Annahme der Motion käme sozusagen einem «Denkverbot» gleich, schreibt der Regierungsrat. Aus all diesen Gründen beantragt der Regierungsrat die Ablehnung der Motion. Unterstützt wird die Motion vom Oberländerrat. Dieser setzt sich aus allen Grossrätinnen und Grossräten aus dem Berner Oberland zusammen. Die Führung des Rates obliegt derzeit EVP-Grossrat Marc Jost.

PD/ANITA MOSER


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote