Ein Heimspiel für Manuschak Karnusian

  24.11.2017 Gstaad, Gesellschaft, Kultur, Musik

Die Gstaaderin und Armenierin Manuschak Karnusian kam für eine Lesung zurück ins Saanenland und brachte ihre Geschwister mit. In familiärer Atmosphäre erzählte sie von der Entstehung ihres Buches «Unsere Wurzeln, unser Leben – Armenierinnen und Armenier in der Schweiz». Der Anlass wurde vom armenischen Chor «Nairi» musikalisch umrahmt.

MELANIE GERBER
Die Geschwister Karnusian kehrten am vergangenen Sonntag nach Gstaad zurück. Einzig Stefan Karnusian lebt noch in Saanenmöser und hat viel zur Organisation des Anlasses beigetragen. Und so war es auch beinahe ein Familienanlass, wie Manuschak Karnusian immer wieder betonte. «Es ist ein Heimspiel», sagte sie, «und Heimspiele sind immer die schwierigsten.» Davon liess sie sich aber nichts anmerken, als sie mit ruhiger Stimme von den Grausamkeiten erzählte, die ihren Grosseltern vor über 100 Jahren zugestossen waren.

Geschichte eines Genozids
Manuschak Karnusian begann den Abend mit der Geschichte ihrer Grosseltern, die gleichzeitig auch die Geschichte eines Genozids ist. «Meine – unsere – Geschichte begann vor etwas mehr als 100 Jahren», mit diesen Worten eröffnete sie den Abend. 1915 musste ihre Grossmutter mitansehen, wie ihre gesamte Familie umgebracht wurde. Gleichzeitig verteidigte ihr Grossvater als Widerstandkämpfer die umliegenden Dörfer. Die beiden überlebten und lernten sich in einem Flüchtlingslager kennen. Ihr Sohn James kam Jahre später als Stipendiat in die Schweiz und blieb.

Ein Buch über heutige Armenier
Vor zwei Jahren erschien das Buch von Manuschak Karnusian, das heutige Armenier und Armenierinnen in der Schweiz porträtiert. Die Journalistin leistete damit einen Beitrag zu den Publikationen, die in den letzten Jahren über Armenien entstanden sind. Davor habe es kaum Informationen gegeben, erklärte sie, aber inzwischen sei Armenien ein Thema und werde in vielen Büchern, wissenschaftlichen Arbeiten und Filmen behandelt.

Aber nicht nur das Interesse an der armenischen Frage im Allgemeinen war der Grund für das Buch von Manuschak Karnusian. Vielmehr erlaubte ihr dieses Projekt, der Frage nach der eigene Geschichte nachzugehen. Ihre armenischen Wurzeln haben sie nie ganz in Ruhe gelassen und mit dem Tod ihre Vaters James Karnusian seien diese Wurzeln schlagartig abgeschnitten worden.

Von Sprachlosigkeit geprägt
Plötzlich habe sie es bereut, nicht mehr Fragen gestellt zu haben. Schliesslich war ihr Vater James Karnusian sehr aktiv in der Armenienfrage. Der Genozid sei ein Dauerthema gewesen und Manuschak Karnusian habe bereits mit etwa acht Jahren Fotos auf dem Schreibtisch ihres Vaters entdeckt, Fotos von abgeschlagenen Köpfen und baumelnden Körpern, nicht für ein Kind ihres Alters gedacht.

«Wir waren in einer Art Sprachlosigkeit gefangen, die für Überlebende eines Genozids typisch ist», erklärte Manuschak Karnusian. Sie habe nichts damit zu tun haben wollen, wollte Schweizerin sein wie ihre Freundinnen und sich weder mit Genozid noch mit Terrororganisationen beschäftigen.

Auf den Spuren der Vergangenheit
Erst nach dem Tod ihres Vaters ist Manuschak Karnusian ihrer Familiengeschichte nachgegangen. Sie hat Kontakt mit armenischen Vereinen in der Schweiz aufgenommen und an Anlässen teilgenommen und dabei herausgefunden, dass sie nicht die Einzige war, die kein armenisch gelernt hatte, die dem Wunsch ihres Vaters nach Integration nachgekommen war, einem Wunsch, der für Armenier typisch sei. Sie seien anpassungsfähig und könnten an jedem neuen Ort aus nichts etwas machen.

Über ihre eigene Familie habe sie letztendlich nicht viel erfahren. Dafür habe der Patriotismus, den sie als Kind abgelehnt hatte, eine neue Bedeutung für sie bekommen. «Die Armenier sind stolz, dass ihre Grosseltern nicht nur überlebt haben, sondern ein neues Leben aufbauen konnten», erklärte sie.

Auch ein Lebensgefühl
Manuschak Karnusian sprach mit einer Ruhe und Klarheit über ein Thema, das genau so berührte wie die Musik des Chors «Nairi». Die Geschwister Talita, Araxi und Philip Karnusian umrahmten den Abend mit dem armenischen Chor. Mal traurig, mal fröhlich erfüllte die Musik den Saal und vermittelte ein Lebensgefühl, das wohl, genauso wie der Genozid, zum armenischen Volk gehört.

Die Ausführungen von Jürg Steiner, dem Lebenspartner von Manuschak Karnusian, brachten ebenfalls Lockerheit in das sonst sehr ernsthafte Thema. Er erklärte, wie er als Schweizer zum übereifrigen Armenier wurde und deren typischen Eigenheiten übernommen habe. So habe auch er jetzt immer recht, denn Armenier hätten immer recht.


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