Andreas Matti: in fiesen Rollen zu Hause

  12.12.2017 Kultur, Gstaad, Gsteig, Saanenland, Schweiz, Natur, Berner Oberland, Familie

Der Schauspieler Andreas Matti ist in Gstaad aufgewachsen und lebt heute in Zürich und Gsteig. Aktuell sieht man ihn in «Verdingbub» im Stadtheater Bern und bis heute Abend in der neuen Krimiserie «Wilder», die im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wird. In Interview sagt er, dass es für den Schweizer Film aber auch für die direkte Demokratie eine Katastrophe wäre, wenn die Billag abgeschaft würde.

Andreas Matti, am 4. März findet die No-Billag-Abstimmung statt.
Es wäre eine Katastrophe, wenn die No-Billag-Initiative angenommen würde! Und zwar nicht nur für uns Schweizer Schauspieler, sondern vor allem für die direkte Demokratie. Die SBB garantiert durch ihren öffentlichen Auftrag Verkehrsverbindungen in die abgelegensten Ecken der Schweiz, dasselbe müsste für die Kultur gelten. Die Schweiz wäre nach meinem Wissen das einzige Land Europas, das kein öffentlich-rechtliches Fernsehen mehr hätte. Das heisst, dass das ganze Angebot über private Sender abgedeckt würde.

Was würde das bedeuten?
Die politische Unabhängigkeit wäre nicht mehr gewährleistet und es gäbe viel mehr Werbung.

Was würde es für Sie als Schauspieler bedeuten?
Wir Schauspieler hätten viel weniger zu tun, weil weniger Schweizer Filme gedreht würden. «Wilder» zum Beispiel könnte nicht mehr umgesetzt werden, denn Fiktion kostet einfach sehr viel. Zudem denke ich, dass es viel weniger Schweizer Nachwuchsschauspieler geben würde, weil das Übungsfeld kleiner wäre. Es ist mir bewusst, dass man als Konsument nicht gerne Gebühren bezahlt, doch es ginge zu viel kaputt, wenn die Billag abgeschafft würde. (Wird leidenschaftlich) Es gäbe viel weniger Produktionen in unseren Landessprachen, es gäbe also weniger echte Schweizer Filme und dadurch ginge ein Stück Kulturgut verloren. Natürlich wäre es günstiger, amerikanische Serien einzukaufen. Doch was will das Schweizer Publikum sehen?

Der Schweizer Film hat sich in den letzten Jahren ja auch gemausert …
Ja, der Schweizer Film hat sich in den letzten Jahren von behäbigen, etwas schwerfälligen Produkten zu interessanten Projekten entwickelt, die beim Publikum eine grosse Akzeptanz erlangen. Ich finde halt auch, dass die Filmschaffenden etwas wagen dürfen, damit die Filme nicht in die Mittelmässigkeit abrutschen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Serie «Der Bestatter», der auch im Ausland Erfolg feiert. Das Potenzial in der Schweiz ist vorhanden. Etwas auszuprobieren heisst aber auch, dass zwischendurch etwas schiefgehen kann, dass ein Film bei den Zuschauern nicht ankommt und somit Defizit schreibt.

Haben Sie das Gefühl, dass «Wilder» auch so ein Exportschlager wird wie «Der Bestatter»?
Ich weiss es nicht, so etwas kann man nicht voraussagen.

Sind mehrere Staffeln geplant?
Grundsätzlich könnte man mehrere Staffeln drehen, dafür ist genügend Stoff vorhanden. Der Entscheid ist aber noch nicht gefällt. Nicht zuletzt braucht es dazu gute Zuschauerquoten. Bisher sehen diese fantastisch aus und es wäre toll, wenn es weitergehen würde. Nicht zuletzt hängt dies aber auch von der Abstimmung vom 4. März ab.

«Wilder» handelt im Berner Oberland, wurde aber hauptsächlich im Urnerboden gedreht. Wieso?
Der Film ist grundsätzlich Fiktion. Das Dorf Oberwies gibt zum Beispiel nicht. Die Crew hat ganz einfach einen armen, abgelegenen Ort gesucht, der den Vorgaben der Autoren entsprach. Natürlich wurden auch andere Plätze zum Beispiel im Berner Oberland oder im Jura besichtigt, die Wahl fiel dann aber auf den Urnerboden und auf Elm – die Hotelszenen spielen nämlich in Elm.

Die Serie scheint mir sehr gut gelungen.
Ja, die Aufnahmen sind fantastisch, wenn man bedenkt, mit welch kleinen Mitteln sie entstanden sind. Alle Schauspieler und die ganze Crew haben auf 20 % ihrer üblichen Gage verzichtet, damit das Budget für die Produktion reichte.

Sie spielen den Vater der ermittelnden Kriminalkommissarin Rosa Wilder. Wie sind Sie zu dieser begehrten Rolle gekommen?
Grundsätzlich gibt es in der Schweiz drei Castingagenturen. Die zwei involvierten Produktionsfirmen gaben einer dieser Castingagenturen den Auftrag, Vorschläge für die Besetzung zu machen. Danach wurde ich mit anderen Schauspielern an ein Casting eingeladen. Man hat aber keinen Einfluss auf die Wahl, man muss einfach hoffen, dass es funktioniert. Mir ist es immer wichtig, am Casting gute Arbeit abzuliefern. Ich habe Glück, dass ich dabei bin. Es hat einfach gepasst, mit Sarah Spale alias Rosa Wilder habe ich schon bei «Tag und Nacht» gespielt.

Der Charakter von Paul Wilder scheint ambivalent. Er ist ein Bergbauer, der sein Land nicht zugunsten eines Grossbauprojekts verkaufen will. Einer, der oft schweigt, aber auch toben kann.
Ich kann in dieser Rolle aus dem vollen schöpfen, weil ich die ländliche Gegend gut kenne. Diese Wortkargheit, die es in gewissen Haushalten gibt, habe ich selber auch erlebt. Es ist nicht böse gemeint, aber es gibt viele Familien, bei denen am Mittagstisch nicht gesprochen wird. Natürlich muss man nicht immer sprechen, aber in diesen Familien werden häufig auch die Probleme vor sich hingeschoben – sie werden weder angesprochen noch gelöst.

Ein für den Film zentrales Thema erinnert mich immer auch an das Saanenland: Soll man Eigentum verkaufen und wenn ja, an wen? An einen reichen Ausländer? Ich bedaure sehr, dass zum Beispiel das Pub in Gstaad für viel Geld verkauft wurde, dadurch verliert das Saanenland an Charakter. Aus meiner Sicht kommen die Touristen nach Gstaad, weil es Charakter hat, und genau das verliert es immer mehr. Diese Entwicklung ist gefährlich, es macht Gstaad seelenlos. Obwohl – es gibt schon noch ein paar Betriebe, vor allem familiengeführte, die dem Saanenland Leben einhauchen.

Würden Sie Ihr Chalet, wenn Sie eines hätten, also nicht verkaufen?
(Lacht und schaut etwas schelmisch) Das weiss ich nicht, das weiss ich ehrlich nicht … Vielleicht wäre ich so charakterschwach und würde es verkaufen (lacht herzhaft). Ich verstehe aber, wenn jemand sein Grundstück nicht verkauft, so wie es meine Figur in «Wilder» auch nicht tut. Das gibt es in Gstaad ja auch. Ich verstehe beide Seiten.

Das Ländliche gibt Ihnen Ruhe, aber was gibt es Ihnen sonst noch?
Die Natur und die frische Luft geben mir unheimlich viel Kraft. Zum Beispiel, wenn ich spaziere oder velofahre, so gibt mir das unglaublich viel Energie. Zürich ist sehr hektisch, man arbeitet sehr viel. Auch bei privaten Einladungen landet man früher oder später beim Thema Arbeit. In den Bergen kann ich das total auf die Seite legen. Nach einem Moment der Ruhe freue ich mich aber wieder auf das Gewusel der Stadt.

Viele Filmsterne können nicht unterscheiden zwischen der Kunstwelt ihres Berufes und der realen Welt. Wie ist das bei Ihnen?
Wenn ich arbeite und eine Rolle spiele, versuche ich möglichst ehrlich zu sein und meine Rolle nicht zu spielen, sondern zu leben. Das heisst auch, dass ich sie aus meinem Innersten holen muss. Natürlich habe ich noch nie jemanden umgebracht, deswegen weiss ich nicht, wie das ist – aber ich muss trotzdem alles aus mir herausholen, wenn ich in die Rolle eines Mörders schlüpfe. Das bedeutet auch, dass ich den privaten Andreas Matti ganz mit auf die Bühne hole. Ich bezeichne es als kontrollierte Schizophrenie. Aber man darf sich auch nicht in einer Rolle verlieren, das ist wichtig. Während der Schauspielschule habe ich einmal eine Übung gemacht, indem ich in einer Rolle in den Ausgang ging. Die Leute um mich herum haben das natürlich nicht gewusst.

In welche Rolle sind Sie geschlüpft?
Ich habe einen Fiesling gespielt. Die Situation ist fast eskaliert. Es ist deswegen sehr wichtig, dass man die Rolle von sich selber trennt, sonst kommt man nah an den Wahnsinn und dies ist gefährlich.

Sie spielen in einer guten Stunde im «Verdingbub» den fast ständig betrunkenen Bösiger, der den Hof Schattalp führt. Sind sie jetzt noch «Assi» Andreas Matti oder schon der Bösiger?
Jetzt bin ich noch Assi Matti. Wenn ich aber in die Maske gehe, nehme ich schon die Wesenszüge von Bösiger an. (Spricht wie der Bösiger und schaut mit leeren, bösen Augen. Eine Aura der Hoffnungslosigkeit und Aggression geht von ihm aus. Es wird einem «gschmuch». Dann nimmt er sich wieder zurück und verwandelt sich blitzschnell in Assi Matti zurück.) Es ist ein gnadenloses, hartes Stück! Das Thema ist dem ganzen Team auf dem Bauch gelegen. Mittlerweilen können wir besser damit umgehen, aber während der Proben ging es uns sehr nah.

Wann zum Beispiel?
Als wir erst eine Schlägerei inszenieren mussten und die nächste Szene eine Vergewaltigung war. Mittlerweilen können wir besser damit umgehen. Um uns zu distanzieren, haben wir dauernd Witze gemacht.

Warum spielen Sie im «Verdingbub» mit? Es ist wirklich keine leichte Kost!
Ich habe es mir nicht ausgesucht, sondern ich bin ausgesucht worden. Eigentlich war ich für eine andere Rolle im Stück vorgesehen. Doch Xavier Koller, der die Regie machen sollte, hatte bereits etwas anders und so übernahm Sabine Boss seinen Posten. Plötzlich kam ich in den Fokus für die Rolle des Bösigers und es hat sich so ergeben. Als Freischaffender kann man nicht wählen, sondern muss froh sein, wenn man Arbeit hat. Ich habe das Glück, dass ich regelmässig in den grossen Häusern arbeiten kann. Den Bösiger spiele ich inzwischen richtig gerne.

Gehen Sie gerne an die Arbeit?
Ja, meistens sehr. Auch heute abend freue ich mich unglaublich auf den Auftritt, obwohl es ein sehr schwieriges Stück ist.

Man sagt immer wieder, dass die bösen Charakter einfacher sind zu spielen als die lieben. Stimmt das?
Ja, ich finde schon. Obwohl ich mich als Person nicht als Fiesling bezeichne, kann ich in solchen Rollen aus dem Vollen schöpfen, nicht zuletzt weil diese Charaktere sehr vielfältig sind. Durch die etwas fiese Rolle des Rolf Aebersold in «Fascht e Familie» wurde ich auch schon früh immer wieder als Bösewicht oder eben Fiesling besetzt, das ist mir von der langjährigen Serie etwas haften geblieben. Mein Spektrum ist aber schon grösser …

Der Verdingbub wird bis im April gespielt und zwar «nur» etwa alle zwei Wochen. Können Sie da die Spannung halten?
Ja, das ist überhaupt kein Problem. Ich spiele ja im Moment zusätzlich noch in drei weitere Produktionen. Es ist wie ein Knopf, den ich drücken kann, dann befinde ich mich wieder mitten in der Thematik und im Stück. Das funktioniert immer und wenn es eine längere Pause vor der Wiederaufnahme eines Stückes gibt, üben wir es noch einmal.

Wie gross ist der Besucheransturm beim «Verdingbub»?
Weil es nicht leichte Kost ist, ist das Haus nicht komplett voll, aber das ist bei diesem schweren Thema nicht verwunderlich.

«Tag und Nacht» kam beim Publikum nicht so gut an, es gab keine Fortsetzung der Serie. Wie gehen Sie mit Misserfolgen um?
Ich versuche es wie im Sport zu handhaben: nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Bei «Tag und Nacht» haben auch die Sendezeit und diverse andere Komponenten mitgespielt, dass es kein Erfolg wurde. Das muss man einfach akzeptieren und versuchen, nicht persönlich zu nehmen. Ansonsten ist man im falschen Beruf, denn von zehn Castings erhalte ich in der Regel eine Rolle. In unserem Beruf braucht man also breite Schultern und Durchhaltewille. Aber natürlich ist man enttäuscht, wenn etwas nicht klappt. Nicht vergessen darf man den finanziellen Aspekt. Man muss immer damit rechnen, dass eine Serie nicht weitergeht, deswegen sollte man sich als Schauspieler keinen zu hohen Lebensstandard einrichten, denn es kann jederzeit wieder ändern.

Kann man vom Schweizer Film leben?
In der Schweiz kann man vom Film alleine nicht leben, ausser man hat eine grosse Hauptrolle in einer Serie oder beim «Tatort». Ich bin freischaffend, also in keinem Theaterensemble angestellt. Das heisst aber auch, dass ich kein geregeltes Einkommen habe, sondern immer von den Engagements abhängig bin. Aber das macht nichts. bisher hat es immer funktioniert. Ich kann es mir aber nicht erlauben, wählerisch zu sein und muss bei den meisten Rollen zusagen, die mir zugetragen werden. Es macht mir aber grosse Freude in diese hineinzuschlüpfen, auch nach so vielen Jahren im Business.

Ist es in der Schweiz selbstverständlich, dass man von Ihrem Beruf leben kann?
Nein, überhaupt nicht. Ich kenne viele, die neben der Schauspielerei noch einen Beruf ausüben oder unterrichten. Man hat grundsätzlich die Wahl, fix in einem Ensemble zu spielen, zum Beispiel am Stadttheater Bern, dann erhält man einen festen Lohn. Der ist zwar nicht sehr hoch, aber er reicht zum Leben. Die andere Möglichkeit ist, als freischaffender Schauspieler zu arbeiten. Dann kann man sich für gewisse Stücke verpflichten und erhält dafür einen Stückvertrag. Das erlaubt mir auch, Fernseh- oder Kinofilme zu machen. Wenn man in einem Ensemble mitwirkt, ist es weniger einfach, auch für diese zwei Medien zu arbeiten.

Werden Sie auf der Strasse erkannt?
Ja, in Zürich täglich. Die Leute erkennen mich auch nach 20 Jahren noch als Rolf Aebersold von «Fascht e Familie».

Das ist bestimmt schmeichelnd?
Ja und nein. Es ist schön, aber manchmal auch etwas lästig, denn die Leute haben das Gefühl, dass ich auch sie kenne, weil ich während fünf Jahren jeden Freitag in ihren Stuben weilte. Ich bin aber nicht so etabliert, dass die Leute meinen Namen kennen, das gibt manchmal etwas peinliche Situationen. Ich bin, was dies anbelangt, auch etwas faul und «promote» meinen Namen nicht genug …


ZUR PERSON

Nach der Handelsmittelschule in La Neuville besuchte Andreas Matti die Kunstgewerbeschule in Lausanne, merkte aber schon bald, dass er zwar ein guter Gestalter war, aber nicht so gut wie seine Mitschüler. Er brach den Lehrgang ab und schrieb sich an der Hochschule für Theater in Bern ein. Dort absolvierte er von 1983 bis 1987 die Schauspielausbildung. Seither kann er vom Beruf als Schauspieler leben. «Nicht immer gleich gut, aber – touch wood – es reichte bisher immer», sagt der charismatische 58-Jährige. Seit 1987 steht er auch in verschiedenen Filmen und Fernsehproduktionen (u.a. «Fascht e Familie», «Lüthi und Blanc», «Tag und Nacht», «Tatort») in Deutschland und der Schweiz vor der Kamera. Im Moment sieht man Matti in den Stücken «Verdingbub» (Stadttheater Bern), «Homo Faber» (Schauspielhaus Zürich) und «Die Bank-Räuber» (Theater am Hechtplatz). Er lebt in Zürich und Gsteig mit der Regisseurin Sabine Boss zusammen.


DREI FRAGEN AN ANDREAS MATTI
Gsteig oder Zürich?
Beides, und ich geniesse es. Ich habe im Saanenland meine Wurzeln und meine Ruhe, die mir erlaubt, mich auf neue Rollen vorzubereiten. Das liebe ich, aber ich brauche auch die Stadt, wo ein freier Geist herrscht, wo man am Puls der Zeit ist.

Raclette oder Zürcher Geschnetzeltes? Beides. Ich bin froh, wenn ich mich nicht entscheiden muss.

Film oder Theater?
Ich habe das Glück, dass ich in beiden Genres zu Hause bin. Im Theater erhält man die direkten Reaktionen des Publikums, das habe ich gerne. Am Set des Films ist es viel ruhiger. Auch bei lustigen Szenen muss es still bleiben, weil man die Szene sonst wiederholen müsste. Aber ich geniesse beide Formen des Schauspiels, ich mache beides wahnsinnig gerne.


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