«Unsere Schüler kommen aus 70 Ländern»

  12.01.2018 Bildung, Gstaad, Schweiz, Schule

Le Rosey ist eine der erfolgreichsten, aber auch teuersten Privatschulen in Europa. Während andere Schweizer Privatschulen mit sinkenden Schülerzahlen zu kämpfen haben, stehen die Schüler bei Le Rosey weiter Schlange. Christophe Gudin, Direktor und Mitbesitzer, sagt im Interview wieso.

BLANCA BURRI

Christophe Gudin, was macht den Erfolg Ihrer Schule aus?
Ich glaube, es sind drei Faktoren. Bestimmt ist es die Diversität unserer Schüler, welche aus 70 Ländern kommen. Das heisst auch, dass es im Le Rosey 70 unterschiedliche Geisteshaltungen und kulturelle Hintergründe gibt. Wir sind eine Schule, wo es keine Mehrheiten, sondern nur Minderheiten gibt, denn wir lassen höchstens 10 % Schüler aus demselben Land zu. Eine weitere Komponente ist, dass wir zwei Campusse haben. Den regulären Campus in Rolle und den Wintercampus in Gstaad, wohin die gesamte Schule für zwei Monate zieht.

Weshalb ist das so speziell?
Sicherlich, weil Gstaad ein wunderschöner Ort ist, wo man fantastisch Wintersport treiben kann. Aber nicht nur, sondern weil es die gesamten Schulstruktur für ein Quartal auf den Kopf stellt. Ich kenne keine andere Schule, die das macht. Der Wechsel erzeugt einen veränderten Geist und einen anderen Schulablauf, was die Routine der Schule unterbricht. Das macht Le Rosey für die Schüler viel aufregender als vergleichbare Schulen.

Merkt man das den Schülern an?
Ja, man sieht es ihren Gesichtern an, wenn sie nach den Weihnachtsferien wieder ins Internat zurückkehren. Denn eigentlich ist es nach Weihnachten im Familienkreis etwas vom Schwierigsten, wieder zur Schule zu gehen – überall auf der Welt. Bei uns aber kommen viele der Schüler wegen der Vorfreude auf Gstaad ein paar Tage vor dem offiziellen Semesterbeginn zurück. Der Umzug kreiert eine ganz eigene, spezielle und schöne Atmosphäre. Deswegen glaube ich, dass der Wintercampus in Gstaad ein wichtiger Teil unseres Erfolges ist, obwohl einige der Rahmenbedingungen in Gstaad für uns als Organisatoren nicht einfach zu handhaben sind.

Gibt es weitere Aspekte für den Erfolg des Le Rosey?
Der dritte Punkt sind die Alumni. Die ehemaligen Schüler haben sich in der «Association Internationale des Anciens Roséens» organisiert und leben diese Gemeinschaft bewusst. Zum Beispiel nutzen sie auch Gelegenheiten, zurück zum Rosey zu kommen. Vor allem in Gstaad ist dieser Austausch ausgeprägt. Es gibt jährlich ein Ehemaligenwochenende, wo aktuelle und ehemalige Schüler gemeinsam ein Skirennen bestreiten. Aber nicht nur in Gstaad, sondern in der ganzen Welt sind die Alumni vernetzt, es gibt je nach Region gemeinsame Abendessen oder andere Events. Man unterstützt sich gegenseitig.

Können Sie das ein bisschen genauer erklären?
Ja, klar. Vor kurzem bin ich von einer Reise ins Silicon Valley in Kalifornien zurückgekommen. Zusammen mit einigen Schülern und Lehrern haben wir verschiedene Start-up-Firmen und andere Unternehmen besucht. Wir wollten erfahren, was das Silicon Valley ist und wieso die Unternehmen dort so erfolgreich sind. Die gesamte Reise wurde mit der grossen Unterstützung von ehemaligen Roseyanern organisiert. Es war genial, weil sie Treffen mit unglaublich spannenden und erfolgreichen Leuten organisiert haben. Das Kraftvolle dieses Netzwerks ist sehr wichtig für uns.

In welcher Lage befinden sich die Privatschulen im Moment im Allgemeinen? Boomen sie oder haben sie es eher schwierig?
Es gibt drei verschiedene Arten von Privatschulen: lokal verankerte, private Tagesschulen, private internationale Tagesschulen und Internate. Die internationalen Tagesschulen haben eine etwas schwierige Zeit hinter sich, vor allem in der Romandie.

Warum?
Weil internationale Firmen weggezogen sind und die UNO die Anzahl ihrer Expats verringert hat. Es gab deswegen sogar internationale Tagesschulen, welche ihre Türen schliessen mussten – andere müssen kämpfen. Weil das Geschäft in den 2000er-Jahren geboomt hat, wurden in den letzten Jahren neue Schulen gebaut und vor kurzem eröffnet, auch sie müssen für eine angemessene Auslastung kämpfen. Das heisst, der Tagesschulmarkt in der Schweiz war und ist noch heute unter Druck, vor allem auch, weil das Angebot gestiegen ist. Ein Faktor verringert den Druck etwas: Es besuchen zurzeit mehr Schweizer Kinder internationale Tagesschulen.

Aus welchem Grund schicken Schweizer ihre Kinder öfter in Privatschulen?
Ich bin nicht sicher, ob sie ihre Kinder vermehrt in Privatschulen schicken, aber sie schicken sie aufgrund der Globalisierung häufiger in internationale Schulen. Diese Aussage unterstützt die Tatsache, dass sich einige Privatschulen in Richtung Internationalität verändern. Vielen Jugendlichen passt die angelsächsische Unterrichtsart gut, darin blühen sie auf, das unterstützt diesen Trend.

Wie seiht die Situation bei internationalen Internatsschulen wie Ihre aus?
Die Situation ist komplett anders.

Wieso?
Weil wir nicht von den Expats abhängig sind. Vielmehr kommen die Schüler aus der ganzen Welt, und zwar nicht nur zu uns, sondern auch zu den anderen internationalen Internatsschulen in der Schweiz, die sich ebenfalls auf höchstem Niveau bewegen.

Weshalb sind Sie trotz Ihres Standorts in der Hochpreisinsel Schweiz so erfolgreich?
Es gibt kein anderes Land auf der Welt, in dem so viele verschiedene Nationalitäten dieselbe Schule besuchen. Eltern fast aller Nationalitäten rund um den Globus fühlen sich gut dabei, ihre Kinder in die Schweiz zu schicken.

Wie ist das zum Beispiel in England oder in den USA?
Dort sind bis zu 70 % der Schüler aus dem jeweiligen Land – also aus England oder den USA – und die Minderheit aus dem Ausland. Die Vielfalt in der Schweiz ist einzigartig. Dies gibt uns auch Sicherheit.

Sicherheit in welchem Sinn?
Wir sind finanziell gesehen nicht von einzelnen Nationen abhängig. Sollte also ein Land in politische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, würde es unsere Schule nicht oder nur marginal treffen, und zwar, weil es genug andere Nationen gibt, die unsere Schulen aussuchen würden. Dadurch ist der Markt der internationalen Internatsschulen der Schweiz stabil.

Welchen Herausforderungen müssen Sie sich stellen?
Wir sind sehr froh, dass es uns grundsätzlich sehr gut geht. Angesichts der Terroraktivitäten in Europa beschäftigt uns die Sicherheit unserer Schüler im Moment mehr als vor 30 Jahren. Ich habe vorhin erwähnt, dass bei uns Schüler aus der ganzen Welt leben, dies auch, weil die Schweiz bisher als sehr sicher galt. Ich glaube, dass sie das auch heute noch ist. Aber wir können nicht wissen, ob plötzlich nicht doch eine verrückte Person ein ähnliches Szenario anrichtet wie in unseren Nachbarländern. Deswegen haben wir die Sicherheitsmassnahmen in den letzten 15 Jahren stetig ausgebaut, in der Hoffnung, dass diese nie ausgereizt werden müssen. Zum Glück dreht sich die Welt in der Schweiz etwas weniger schnell als andernorts.

Wie gehen Sie mit dem starken Franken um?
Wir sind offensichtlich teuer, viel teurer als vergleichbare Schulen in England oder in den USA. Das ist in diesem Sinne eine Herausforderung, weil wir durch den hohen Preis die Familien begrenzen, die sich Le Rosey leisten können. Aber es gibt glücklicherweise genug Familien, welche die Vorteile der Schweiz sehen und gewillt sind, diesen Preis zu bezahlen. Das heisst aber auch, dass wir ihn rechtfertigen müssen. Dafür haben wir viele Argumente: das breite Aktivitätenprogramm, das breite Angebot an schulischen Fächern und der Aufenthalt in Gstaad sind nur wenige davon. Lustigerweise gibt es sogar Eltern, die sagen, Le Rosey sei nicht teuer genug, es sei mehr wert (lacht). Aber natürlich müssen wir die Höhe der Schulgelder immer im Auge behalten und garantieren, dass sie es wert sind. Zum Beispiel dadurch, dass wir 98 % des Gewinns reinvestieren und uns stetig weiterentwickeln. Das ist in den angelsächsischen Schulen anders, dort ist es üblich, dass neue Projekte, Infrastrukturbauten etc. durch Spendeaktionen finanziert werden.

Welche sind Ihre grössten Konkurrenten?
Das sind hauptsächlich Top-Institutionen in Grossbritannien und in den USA. In der Schweiz ist es eher eine Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen im gleichen Segment. Wir promoten unsere Schulen im Ausland gemeinsam.

Wie sieht es mit Schulketten aus?
Diese sind für uns keine Konkurrenten, weil sie ganz anders funktionieren. In einer privat geführten Schule wie der unsrigen ist so viel Herzblut aller Beteiligten drin, dass sie eine ganz andere Atmosphäre ausstrahlt, als das einer Schulkette je gelingen könnte. Unsere Lehrer zum Beispiel sind sehr verbunden mit der Schule, sodass sie lange bleiben und sehr viel in den Unterricht, aber auch in die Beziehung mit den Kindern stecken. Aber natürlich beobachten wir diese wachsenden Mitbewerber immer.

Was sich verändert hat, ist dass die Eltern und Kinder viel öfter die Schule bewusst auswählen, um eine für sie geeignete Ausbildung zu erhalten. Früher, als es weniger etablierte Schulen gegeben hat, zum Beispiel gerade auch in ländlichen Gegenden armer Länder, mussten die Eltern ihre Kinder in Internate schicken, damit sie überhaupt eine angemessene Bildung erhielten. Dadurch, dass Bildung inzwischen in vielen Ländern hochgeschrieben wird, haben wir heute mehr Schüler, deren bewusste Entscheidung es war, ins Le Rosey zu kommen. Dadurch sind sie wirklich motiviert. Das empfinden wir als positive Entwicklung, aber es heisst auch, dass es die Menge der möglichen Schüler beschränkt.

Wie schaffen Sie es, alle 400 Studenten immer beim Namen zu kennen?
(Lacht herzhaft) Ich habe kein System und natürlich ist es für mich weniger einfach wie für die Lehrer, die täglich mit den Schülern zu tun haben. Aber in der Regel kenne ich Sie am Ende des Herbstsemesters …

Welche Rolle wird Gstaad in Le Roseys Zukunft spielen?
Das ist eine gute Frage, die ich noch nicht abschliessend beantworten kann. Gstaad ist ein Teil der Identität von Le Rosey und wird das auch bleiben. Die Frage ist nur, wie wir diese Identität beibehalten und vereinbaren können mit der veränderten Form des Unterrichtens und unsere Anforderungen an die Infrastruktur. Es kommt auch darauf an, wie sich die Schneekonditionen verändern. Diese grosse Frage diskutieren wir auch mit der Gemeinde.

Wie wird sich Le Rosey in Zukunft entwickeln?
Ich denke, das Unternehmertum wird in Zukunft für die Schule sehr wichtig werden. Deswegen planen wir ein Zentrum, in dem etwas hergestellt wird und wo sich Start-ups ansiedeln können. In diesem Zusammenhang haben wir zusammen mit Schülern letzthin einen Ausflug nach Silicon Valley gemacht, um zu sehen, wie es funktioniert. Natürlich wird im Le Rosey kein Facebook entwickelt werden. Aber: Wenn man sich mit dem Unternehmertum beschäftigt, kann man viele Fähigkeiten erwerben und entwickeln. Wenn unsere Schüler dereinst einen Prototypen herstellen, müssen sie sich vorher das Grundwissen dazu aneignen und dieses in verschiedenen Dimensionen beherrschen. Zum Beispiel werden Mathematik und Physik gefragt sein. Aber nicht nur, denn auch die Betriebswirtschaft und das Marketing zählen, wenn es darum geht, die Finanzen für das Produkt zu berechnen oder um den Verkauf anzukurbeln. Und nicht zuletzt der Kunstbereich, um ein Produkt oder die Werbung dazu ästhetisch zu gestalten.

Wollen Sie die Anzahl der Schüler steigern?
Nein, das ist nicht primäres Ziel, weil 400 Schüler eine überschaubare Grösse ist, die eine Einheit bilden. Wenn wir uns vergrössern, dann nur marginal.

Wo wird die Schule in 10 Jahren stehen?
Die Identität von Le Rosey ist genug gut, dass die essenziellen Werte auch in Zukunft dieselben bleiben werden. Es geht darum, respektvoll zusammenzuleben. Was ändern wird, ist die Art, wie wir die Schüler unterrichten, wie die Schüler lernen werden. Wir werden uns immer weiterentwickeln, zum Beispiel mit dem neuen Projekt, von dem ich vorhin gesprochen habe. Die Schüler werden mehr praktisch lernen, aber es braucht auch eine Ausgewogenheit zwischen Fleissarbeit – zu dem gehört auch Auswendiglernen – und Anwenden.

Wird Le Rosey expandieren?
Das glaube ich nicht, denn wir sind hier sehr verwurzelt. Aber ich glaube, dass wir in Gruppen und Klassen mehr Ausflüge an Orte des Geschehens machen, wo die Schüler direkt beim Schauplatz lernen können. Als Beispiel möchte ich einen Ausflug nach Griechenland erwähnen, wo die Antike behandelt wird, wo aber auch der Sprach-, der Biologie- und der Mathlehrer dabei sind. Man erklärt an den vorhandenen Beispielen den goldenen Schnitt und lernt gleichzeitig die Sprache sowie die Natur kennen.

https://www.rosey.ch


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