Saaner Chronik – vor 100 Jahren

  23.02.2018 Saanen, Schweiz

Zusammengestellt aus dem «Anzeiger von Saanen» von 1918 von Dr. R. Marti-Wehren.

Zweite und letzte Folge

Juli
1. Die Verteuerung der Lebensmittel seit dem 1. Juli 1914 beträgt 121 %.
7. In der kantonalen Volksabstimmung werden die Steuergesetzinitiative, das Zivilprozessgesetz und das Armenkonkordat angenommen.
Die Heuernte wird durch schlechtes Wetter behindert. Auf den höheren Alpweiden ist bisher noch wenig Gras gewachsen.
In ganz Europa breitet sich eine bösartige Grippeepidemie aus; auch die Truppen im Felde werden davon betroffen. Der Gemeinderat Saanen untersagt Gottesdienst, Kinderlehre und öffentliche Leichengänge.
13. Ein Schadenfeuer vernichtet das Haus Adolf Steffen auf dem Dorfflüehli und zerstört den Dachstock des Gefängnisturms.
Der bernische Regierungsrat untersagt wegen der zunehmenden Grippe alle Theateraufführungen, Kinovorstellungen, Tanzanlässe, Volksfeste, öffentliche Leichenfeiern usw.
Viehhändler Pulver kauft den holzreichen, 20 Kuhrechte haltenden Aegertenberg in Gsteig für Fr. 200 000.–; vor 15 Jahren wurde diese Liegenschaft für Fr. 50 000.– verkauft.
Höchstpreis für Honig Fr. 6.50 das Kilo.

August
1. Der angedrohte Generalstreik in der Schweiz kann verhütet werden. Die Milchrationierung wird auch in Saanen eingeführt. Schönes, warmes Sommerwetter.
17. In Rougemont wird ein erfolgreicher Bazar zugunsten der Kirchenrenovation veranstaltet.
18. In Saanen wird die Abhaltung der Gottesdienste wieder gestattet.
Der Bundesrat ernennt Oberst Ed. von Goumoëns zum Chef des eidg. Ernährungsamtes.
Der Verwaltungsrat der Lötschbergbahn und der mitbetriebenen Linien beschliesst die Elektrifizierung der Strecken Spiez–Interlaken, Spiez–Zweisimmen, der Gürbetal- und der Schwarzenburgbahn.
25. Mozart-Beethoven-Abend im Landhaus.

September
Bis jetzt sind rationiert: Zucker, Reis, Teigwaren, Mais, Brot, Mehl, Butter Käse, Milch, Hafer, Gerste, Öl, Fett, Kartoffeln, Kohlen, Petrol.
Der Bundesrat verbietet den Trödelhandel mit getragenen Kleidern. Diese dürfen nur in amtlichen Sammelstellen verkauft und gekauft werden.
Am 1. Herbstmarkt werden trotz der misslichen Futterverhältnisse noch befriedigende Preise gelöst.
Neuer Pächter des Grossen Landhauses wird Fritz Häsler, Sohn.
11. Starke Regenfälle lassen Flüsse anschwellen. Der Kauflisbach droht bei der Farb durchzubrechen.
11./12. Zum erstenmal wird die Viehschau getrennt in Saanen und in Gstaad durchgeführt.
Gummisauger für Säuglingsflaschen dürfen wegen Gummimangel nur noch gegen Ausweise abgegeben werden.
Man spricht allgemein von einem baldigen Friedensschluss. Reichliche, gute Herbstweide. Die Ziegenausfuhr hat in erfreulichem Masse eingesetzt. Es sind hier 400 bis 500 Stück zum Verkauf bereit. An der Unterklasse in der Bissen haben sich 23 Lehrerinnen angemeldet.

Oktober
Heupreise für Stöcke bis zu 10 Klafter Fr. 70.–, bis zu 25 Klafter Fr. 80.– das Klafter. 4. Die Zentralmächte machen den Alliierten ein Waffenstillstandsangebot. 9. Schneefall 4 cm. 13. In der eidg. Volksabstimmung wird die Nationalratsproporzinitiative (!) mit 297 149 Ja gegen 147 139 Nein angenommen. Die Grippe fordert immer noch ihre Opfer, deshalb findet der Krämermarkt nicht statt. Eine Heukommission sorgt für gerechte Verteilung der Heuvorräte. Die Explosion einer Munitionsfabrik bei Lyon verursacht eine starke Erderschütterung, die auch hier deutlich verspürt wird. Der Wirtschaftsschluss wird für das ganze Kantonsgebiet auf 22 Uhr festgelegt.

November
1. Höchstpreis für Speiseöl und Fett Fr. 6.90 pro kg oder Liter. Die tägliche Milchration beträgt für eine Person ½ Liter, Kinder und Alte erhalten Zusatz. Monatliche Mehlration 333 g. Auf dem Textilienmarkt erscheint das schweizerische Einheitstuch: 1 m wollenes Tuch Fr. 26.–, halbwollenes Fr. 12.–. 11. Kriegsende, Waffenstillstand, der deutsche Kaiser dankt ab.
12. Ausbruch des allgemeinen Generalstreiks in der Schweiz, der zwei Tage dauert. Zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Lande erlässt der Bundesrat ein Truppenaufgebot. Die Grippe nimmt neuerdings besonders unter den Soldaten stark zu.
Die Besitzer von Milchtieren werden dringend aufgefordert, mehr Milch abzuliefern, damit jedermann seine Ration bekomme.
23. Aus einer freiwilligen Sammlung erhalten die heimkehrenden saanerischen Soldaten einen Ehrensold von fünf Franken.

Dezember
Wegen Kohlenmangel wird auf allen mit Dampf betriebenen Bahnlinien der Personenverkehr an Sonn- und Feiertagen eingestellt.
Die Freiburger Kraftwerke können infolge der aussergewöhnlichen Trockenheit nicht mehr genügend elektrischen Strom abgeben.
Die SBB benötigen 300 000 Ster Buchenholz für die Heizung ihrer Dampflokomotiven in den nächsten sechs Monaten.
1. In der kant. Volksabstimmung wird die Vorlage über die Kriegsteuerungszulage an die Lehrerschaft angenommen.
20. Gemeindewahlen Saanen. Neue Gemeinderäte: Gottfr. Hauswirth, Möser; Alb. von Grünigen, Gstaad; Arn. Raaflaub, Moosfang; Johannes Zumstein, Turbach; Gemeindegutsverwalter: Fritz Christeller.
– Lehrerwahlen: Grund, Alfred von Grünigen, Sohn; Bissen, Frl. Berta Gautschi; Gstaad, Frl. Aline Steffen.

20. Die Gemeindeversammlung Saanen beschliesst, zur Verbesserung der Wasserversorgung Gstaad eine Quelle im Jaggenerbergli für Fr. 2000.– abzukaufen.
Bestandesaufnahme der Vorräte an Baumwolle und Wolle.
Starke Regengüsse vor Weihnachten verursachen Rutschungen, die an verschiedenen Stellen den Bahnverkehr stören.
29. Gründungsversammlung d. landwirtschaftlichen Genossenschaft des Amtes Saanen im Gstaadschulhaus.
1908–1917 starben in der Gemeinde Saanen jährlich durchschnittlich 57 Menschen. Das Grippejahr 1918 verzeichnet 94 Todesfälle, davon 32 infolge Grippe mit Lungenentzündung.


Folge 1 siehe AvS vom Dienstag, 23. Februar


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