Sind sie übergeschnappt?

  20.03.2018 Kultur, Saanenland

Lachen, schreien, weinen, schweigen. Im Minutentakt fielen fünf Schauspieler des Freilichttheaters «Der Schwarz Steff» von einer Gefühlslage in die nächste. Übergeschnappt sind sie aber nicht, die Premiere wird also nicht verschoben oder abgesagt, denn die Emotionsschwankungen gehören zur Rollenfindung.

BLANCA BURRI
Lautes Parlieren auf der Piazza. Schnitt. Leises «Zibberle» auf dem Glatteis. Schnitt. Waten durch den hohen Neuschnee. Schnitt. Spielende Kinder im Quartier. Schnitt. Heimtückische Diebe auf Raubzug. So und ähnlich sehen die Szenen aus, die sich momentan in der Aula des Schulhauses Saanen abspielen. In kleinen Gruppen versammeln sich die Schauspieler des Freilichttheaters «Der Scharz Steff» und arbeiten gemeinsam an ihren Rollen. Der «Anzeiger von Saanen» begleitete Matthias Moser dabei.

Rollen wechseln
Matthias Moser schreitet breitschultrig und sicher durch den Raum. Dann aber gibt die Bewegungsschauspielerin Miriam Oehrli eine neue Anweisung. Der stolze Krieger Matthias Moser verwandelt sich in einen alten Mann. Er versucht sich in ein paar Bewegungen. Dann hat er eine Idee. Er nimmt einen Stuhl und benutzt ihn wie einen Rollator, den er vor sich herschiebt. Sein Rücken ist nun gekrümmt, seine Beine gehorchen ihm mehr schlecht als recht. Auch Ruth Domke, Miriam Oehrli, Ivo Paroni und Alexander Raaflaub haben sich innerhalb von Sekunden in alte Leute verwandelt und wegen der grotesken Situation lachen sie laut heraus.

In Emotionen schlüpfen
Nachdem die Schauspieler innerhalb von wenigen Minuten in unterschiedliche Rollen geschlüpft waren, mussten sie Emotionen auszudrücken. In einem Kreis stehend warfen sie sich einen Ball zu. Dem Empfänger des Balls trugen sie eine kurze Passage aus ihrem Text vor. Erst so, wie er gerade geriet. Später aber sollte der Text – der Moment – traurig wirken. Matthias Mosers Aussage «Bisch iverstange?» erhielt plötzlich eine Schwere. Auch seine Körperhaltung veränderte sich. Seine Schultern hingen und die ursprüngliche Frage formulierte er als die traurigste Tatsache der Welt. Zwischendurch diskutierte die Gruppe darüber, was Mimik, Gestik und Rhythmus des Schauspiels für eine Wirkung auf das Publikum haben. «Augenkontakt lässt das Stück echt wirken», verriet Miriam Oehrli beispielsweise. Auch Pausen, im richtigen Moment eingesetzt, bewirken Wunder, wusste sie.

Übergeschnappt
Was erst harmlos wirkte, nahm eine skurrile Form an, als die fünf Schauspieler vor dem Ganzkörperspiegel standen. Dort mussten sie ein Wort in einer entsprechenden Emotion erst ihrem Spiegelbild und dann ihrem Nachbarn weitergeben. Sie behielten die Emotion so lange bei, bis Miriam Oehrli oder Ruth Domke (Regie) ein neues Wort in einer neuen Emotion weitergaben. Das ergab irrwitzige Situationen, wo drei Menschen lauthals oder sogar hysterisch lachten und immer wieder «Erbsensuppe» wiederholten und zwei zutiefst betrübt «Schneckenschleim» von sich gaben, dabei den Kopf hängen liessen und den Tränen nah waren. Ein Gefühlschaos sondergleichen. «Es war eine grosse Herausforderung, so schnell in die verschiedenen Emotionen zu schlüpfen», sagte Matthias Moser nach der Übung. Damit die Gefühle echt wirkten, müsse man versuchen, sie zu spüren. «Das finde ich am Theaterspielen sehr spannend.» Damit er die Gefühle widerspiegeln kann, versucht er sich an Situationen zu erinnern, die er selbst erlebt hat. «Einem Schauspieler die Mimik abzuschauen, würde bei mir nicht funktionieren», betonte er.

Auch Theorie muss sein
Viel ruhiger wurde es, als alle im Kreis sassen und die effektiven Rollen besprachen. Matthias Moser spielt im aktuellen Stück den reformierten Pfarrer Beat Härdi, eine facettenreiche Figur, die hin- und hergerissen ist. Einerseits will Beat Härdi zu seinen Schäfchen schauen, andererseits kann er für sie keine Partei ergreifen, weil er sich den Vorgesetzten unterordnen muss. Nur so kann er seinen Arbeitsplatz und seine Kirche erhalten. Dadurch wird er eine scheinheilige Figur, die einen Anstrich von Feigheit besitzt. Miriam Oehrli ordnet jeder Rolle ein Tier zu, anhand derer sich die Schauspieler orientieren können. In Pfarrer Härdi sieht sie die Elster, die blitzgescheit ist und oft Goldmünzen und andere glitzernde Wertsachen stibitzt. Andererseits sieht sie in ihm auch den Geier, welcher für Sauberkeit und die Entsorgung der toten Tiere sorgt. Sie riet Matthias Moser, seine Bewegungen wohldosiert einzusetzten, wie es die Vögel machen. Er solle Akzente mit dem Hals, dem Kopf und dem Augenkontakt setzen. Wie dies dem Turbacher gelingt, wird sich im Juli zeigen, wenn «Der Schwarz Steff» vom Freilichttheaterverein Saanenland zur Aufführung kommt.

www.freilichttheater-saanenland.ch


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote