«Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen»

  25.05.2018 Kirche

MARIANNE AEGERTER

«Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen – woher wird mir Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.» (Ps 121,1f)

Zeit, «z Bärg z gah»!
Jetzt kommt die schönste Zeit im Jahr. Es kribbelt zwischen den Fingern und unter den Füssen. Der Schnee verschwindet langsam, aber sicher. Die Natur erwacht … Der Bergfrühling naht.

Für uns Saanerinnen und Saaner bedeuten die Berge viel. Wie oft hört man von solchen, die im Unterland wohnen: «Weni de uber d Möser ii chume und d Bärge gseh, bini daheime.»

Sei’s im Frühsommer oder im Herbst: Wenn eine «Züglete» vorbeikommt, steht man am Fenster und freut sich über die schön geschmückten Kühe und die «gsunntigete» Menschen. Die Vorfreude auf Wanderungen und Besuche der Alpen steigt. Schon bald ist wieder Zeit für Schluck und Britsche und damit auch die Saison, wo wir an verschiedenen Suufsunntigen die Chüejersfamilien im Saanenland besuchen können. Die Zeit der Bergfeste und -gottesdienste.

Wissen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, warum man diese Feste auf den Alpen «Suufsunntig» nennt? Ich habe dazu ein altes Schriftstück gefunden. Es ist der Auszug aus einer am 21. November 1942 im Radio Bern gesendeten Plauderei von Robert Marti-Wehren (Redaktor des «Anzeigers von Saanen» und Oberlehrer). Der ganze Text ist in Saanendeutsch gehalten. Wenn es Ihnen schwerfällt, ihn zu verstehen, machen Sie es wie ich, als ich ihn das erste Mal gelesen habe: Laut lesen – dann hört man, was es heissen soll. Und sonst sprechen Sie mich das nächste Mal an, wenn wir uns sehen. Ich habe meine Quellen für Rückfragen gefunden.

«Der schönst Tag wäret der Weidzit im Saaneland ist der Suffsunntig. Das ist der läst Sunntig im Höuwmonet ol der ierst im Ougste. Da gahn di Puren u süst noch huffeswis ander Lüt a d’Bärga fur emal z’gugge, wie’s och mit ihru Vieh standi. U da isch es de-m Bruch, dass d’Chüeira dänen Gästen ufwarte mit allergattig guete Sache, mit Nidelgaffi, ghahigem Brot, siefter u surer Nidle, Schluck, Britschen u ghobletem u lindem Chies. Vor altersch hät mu’s richtig de schon em Bitz eifacher gmacht an däm Tag un ist mit Zigermilch ol Chiesmilch z’fride gsi. Dära hat mu früejer Suffi gseit u dahar würd oppa der Name Suffsunntig choo. Zun däm Bärgfäst ghört de nit numme ds Aessen u ds Trihe. Vor em Staafel hät der Bärgwürt e Tanzbodem va roue Laden ufgschlage. Gyge, Klarnett, Bassgige u Handorgele mache Tanzmusigg. Di junge starche Pursche hei’s mit em Schwinge. Da stan es paar zäme u lan es heitersch Juzi los. Ander hei mieh Fröid am Chägle. Für di trochene Müler u Häls ist der bäst Tokterzüg es Glas Watländer ol Waliser. Eso um Väsperzit, d. h. gäg de Viere, würd d’Meisterchue uf e Tanzbodem bracht. Das ist di stärchsti Chue vam ganze-m Bärg, die wan dur e Summer im Stäche mit de Hooren die andren allu hät möge. Hüt treit si Chränz u Bluemen um e Hals un uf em Grint un ist sufer gwäschni wie-n es fins Jümpferli. D’Musigg fieht umhi aa, u di Päärleni tanze jetzen um d’Meisterchue, wa sicher nit rächt weiss, was das o fur ne Kumedi sölli si. De steit undereinist allze still, der Vorsänger stimmt ds alt Läbehochlied aa, u die um nen um fallen i:

‹Sie läben alle wohl, alle unsere Freunde, zu Schanden sollen gehn, alle unsere Feinde. N. N. (hie würt der Eigentümer van der Meisterchue gnamset) und där soll läben, und seine Familie danäben. Sie läben hoch, sie läben hoch sie läben tausend Jahre, und ihr Alter sei so frisch und gesund als ihre Jugendjahre.›

Zum Daach fur disi lehr spändet der glücklich Eigetümer däne Sängeren es paar Liter wissa Wy. D’Chue ist gwuss schuderhaft froh, we si us däm Gstürm usi un umhi i Stall zrugg cha. Gägen Aaben gan di meiste Lüt wider i ds Tal embri u gäge heim. Aber es paar bliben doch noch obna uf em Bärg. Bim Schin van ere Sturmlantärne dorfen u tanze si witer bist zur Tagheiteri.»

Soweit ein Stück Geschichte aus dem Saanenland.

Berg – in der Religion
Berge sind aber nicht nur für uns Bergler wichtig und wertvoll. Weltweit haben einzelne Berge religiöse Bedeutung, weil sie entweder topographisch exponiert sind oder weil sie mit wichtigen Ereignissen in Zusammenhang gebracht werden. Ein heiliger Berg kann hoch und weit herum sichtbar sein – wie der Fuji – oder relativ unscheinbar, aber bedeutungsträchtig (Zion). Die Heiligkeit konzentriert sich meistens in einem alleinstehenden Felsen oder Baum.

Religionsgeschichtlich gibt es vier Grundtypen von heiligen Bergen:
– der Berg, der als Gott gilt (wie der Aetna)
– der Berg, der die Welt trägt (wie der Atlas)
– der Berg, der der Palast der Götter ist (wie der Olymp)
– der Berg, auf dem Gott sich seinen Menschen offenbart, gezeigt hat (wie der Sinai)
Daraus ergibt sich auch, dass beispielsweise Tempel auf Bergen stehen sollen – an heiligen Plätzen und Kraftorten.
Auch der christliche Kirchenbau hat häufig Berge besetzt. Manchmal gerade in Konkurrenz mit dem Palastbau eines weltlichen Herrschers. In unserer christlich-jüdischen Tradition kommen Berge immer wieder als wichtige Ausgangs- und Zielpunkte, als Offenbarungsorte und als Schauplätze wichtiger Ereignisse vor.

Der Werdegang Israels im Alten Testament kann als Weg vom Berg Sinai bis zum Berg Zion beschrieben werden. Und auch den Werdegang Jesu, wie er bei Matthäus dargestellt wird, kann man als Weg vom Berg der Bergpredigt bis zum Berg der Erscheinung des Auferstandenen sehen.

Der Name der ägyptischen Halbinsel Sinai ist ihr nicht in biblischer Zeit gegeben worden. Darum ist auch die Lokalisierung des Gottesberges mit dem Namen «Sinai» bis heute Gegenstand der Forschung und noch nicht geklärt. Es liegt nahe, dass der alttestamentliche Sinai ein Berg in der Wüste ist, weil die Israeliten auf Wanderung am Berg Sinai die Gesetzestafeln erhielten und die Menschen in der Antike ihre Gottheiten häufig auf Bergen ansiedelten. Ganz gemäss dem Verständnis, dass Gott erhaben über seiner Welt ruht und sich nicht im Überfluss der Zivilisation zu erkennen gibt, sondern in der unerbittlichen Reduktion der Wüste. Möglicherweise ist der Sinai der Vulkan «Challat-al-Badr» auf der Hochebene «El-Dshaw». Er liegt an der Südspitze der Halbinsel im Westen des heutigen Saudi-Arabiens. Dafür spricht, dass Mose aus der Nähe von Midian herkommt und sich Gott ihm dort offenbarte. Ausserdem würde er sich gut als Station auf der langen Wüstenwanderung des Volkes Gottes einfügen lassen. Aber wie bereits gesagt: es ist eine These. Sicher ist, dass im Glaube Israels der Sinai eine zentrale Rolle spielt: Hier hat Gott sich seinem Volk offenbart. Hier hat er ihnen alle Gesetze übermittelt. Und hier hat Gott mit Israel den Bund geschlossen.

Bei seinem Auftritt in der Geschichte Israels ist der Zion zunächst einfach eine kanaanitisch-jebusitische Burg, die König David einnimmt und in «Stadt Davids» umbenennt. Später wird wenige Meter nördlich davon der heilige Bezirk mit seinem Tempel angelegt und zuletzt die ganze Stadt Jerusalem, wie sie vor dem Exil bestand. Mit dem Tempel ist der Hügel – mit seinen gerade einmal 700 m Höhe – zum göttlichen Berg geworden. Obwohl der Zion nicht einmal die höchste Erhebung der Region ist, wird er zum Symbol der Gegenwart Gottes. Er ist Gottes heiliger Berg und seine Wohnung, die Stätte seines Throns. Wie Gott einst über der Lade thronte, so thront er jetzt auf dem Zion. Einst war er der Gott einer Sippe, jetzt ist er König Israels mit festem Wohnsitz. Unter seiner Herrschaft auf dem Zion ist Jerusalem sicher und Gnade und Gerechtigkeit wird seinem Volk zuteil. Vom Zion aus fliesst Segen in die ganze Welt. Mit der Zerstörung Jerusalems und dem Exil ist die Bedeutung des Zion in Frage gestellt. Heute ist der Zion ein heiliger Ort sowohl für Juden, Christen wie auch Muslime. Für alle ist er ein Hoffnungsberg. Vom Zion aus wird Gott der König über die ganze Welt werden. Alle werden sich Gottes Gerechtigkeit verpflichtet wissen und zusammen ein grosses Mahl feiern. Von da an wird der Friede ewig sein.

Berggottesdienste im Saanenland
Wir von der Kirchgemeinde erhalten jeweils die Möglichkeit, auf verschiedenen Alpen einen Berggottesdienst zu veranstalten (siehe Kasten Seite 2). Häufig freuen sich junge Familien, dort ihr Kind zu taufen. Eine Musikformation oder ein Chörli umrahmt den Gottesdienst musikalisch und wir feiern gemeinsam unter freiem Himmel. Wer es nicht kennt: Fühlen Sie sich herzlich eingeladen! Es ist immer etwas Besonderes: Gottesdienst unter freiem Himmel bei hoffentlich schönem Wetter.


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