Drei würdige Missen

  01.05.2018 Saanen, Tradition, Landwirtschaft

Bei strahlendem Wetter feierte der «Viehzuchtverein Ebnit bei Saanen» am vergangenen Samstag mit einer Jubiläumsschau sein 100-jähriges Bestehen. Aufgeführt wurden knapp 130 Kühe der Rassen Swiss Fleckvieh, Simmental und Red Holstein/ Holstein.

«Mit Christian Aegerter (Präsident der Schaukommission) und Christian Bürki (Gruppenleiter bei der Schaukommission) erweisen uns zwei ausgewiesene Schaurichter die Ehre», betonte OK-Mitglied Willi Bach. Ab 10 Uhr haben die beiden die Tiere sektionsweise eingestellt und punktiert. Gegen 14 Uhr folgte mit den Misswahlen der Höhepunkt. Sektionenweise liessen die Richter eine ganze Reihe Tiere, die sie jeweils für die engere Wahl ausgesucht hatten, in den Ring führen. Im Line-up verblieben dann noch je sechs Tiere. «Wenn man die Qualität der Kühe sieht, möchte man möglichst viele ehren und das macht man, wenn man sie ins Lineup nimmt», erklärte Christian Aegerter. «Fast alle hätten einen Titel verdient.»

Jolie, Isabell und Gärmele
Die Richter hatten aber nur je zwei Titel zu vergeben: den Misstitel und den Schöneutertitel. Begleitet von passender Musik und dem rhythmischen Klatschen des Publikums erfolgte der Zuschlag. Miss Holstein wurde Jolie aus dem Stall von Gobeli-Holstein. Den Schöneutertitel holte ihre Stallgefährtin Joxa. Der Misstitel bei den Swiss Fleckvieh ging an Isabell von Erich Haldi, während Hyazinte von OK-Präsident Herbert Annen zur Schöneutermiss erkoren wurde. Gärmele aus dem Stall von Markus Bach heisst die Miss bei den Simmentalern und Harmonie von Kurt Mösching wurde Schöneutermiss.

Doorman-Tochter Jolie sei eine wunderbare Kuh, eine, die jeder gerne im Stall stehen hätte, begründete der Schaurichter die Wahl. Ein Euter, sehr verwachsen mit sehr guter Eutertextur im Voreuter – das habe schlussendlich den Ausschlag gegeben für die Wahl von Armani-Tochter Joxa zur Schöneutermiss bei den Holsteinern.

Auch Dekan-Tochter Isabell sei eine würdige Miss, die rote Kuh sei sehr nahe am Zuchtziel ihrer Rasse Swiss Fleckvieh, lobte Schaurichter Bürki. Und Dekan-Tochter Hyazinte habe ein Euter, «wie man es gerne hat bei einer jungen Kuh».

Auch bei den Simmentalern kam Schaurichter Aegerter ins Schwärmen: «Lueget mal die schneewysse Schwänz! Da steckt Pflege, Arbeit und Leidenschaft dahinter.» Zur Miss erkoren die beiden Experten schliesslich Bluno-Tochter Gärmele. «Für uns ist sie die kompletteste Kuh der Rasse Simmental», begründeten sie ihre Wahl. Schöneutermiss wurde Fabio-Tochter Harmonie, «eine junge Kuh mit sehr wenig Eutervolumen, aber einem Euter, das sehr stark verbunden ist.» Zur Belohnung bekam sie von Junior-Besitzer Dominic Annen einen dicken Schmatz auf die Stirn.

Eine besondere Ehre wurde der 13-jährigen Simmentaler Kuh Courage zuteil. Sie wurde mit der Glocke für die höchste Lebensleistung ausgezeichnet. «Schaut euch die Jugendlichkeit an, sie ist sehr frisch im Körper, immer noch sehr solid in den Übergängen, mit sehr viel Breite und sehr viel Substanz», betonte der Schaurichter. «Alte Kühe zinsen», kommentierte ein zuschauender Viehzüchter und erklärte den anwesenden Laien: «Alle Jahre kalbern, eine gute Milchleistung – das bringt auch ein Einkommen.»

Einigkeit bei den Richtern
«Das wunderbare, schöne Wetter widerspiegelt die Qualität der aufgeführten Tiere über alle Rassen», betonte Christian Aegerter nach der Schau gegenüber dem «Anzeiger von Saanen». Es mache es sicher nicht ganz einfach, wenn die Qualität so hoch, die Spitze so breit sei. «Aber ich denke, wir haben bei den jeweiligen Rassen die würdigen Missen gefunden.» Entscheidend sei das Rassenzuchtziel. «Jede Rasse hat ihr Zuchtziel und wenn man danach urteilt, haben wir eine gute Wahl getroffen.» Das zeige auch die Reaktion des Publikums. «Das Publikum ist zufrieden.»

«Ja, wir waren uns einig», beantwortete Aegerter eine entsprechende Frage. Oft sehe man schon beim Einstellen der Rassen, welche Tiere für den Titel in Frage kämen. «Bei den Holstein war für uns da schon klar, dass Jolie die Miss wird.» Sie sei eine überdurchschnittliche Kuh, eine, die ganz klar dem Rassenziel Holstein entspreche und die national und international mithalten könne – in der Schweiz oder im Ausland. Es sei eine «abnormale» Kuh, meinte Aegerter.

Eine gelungene Jubiläumsschau
Viel Lob gab es auch von diversen Ehrengästen. Die Genossenschaft Ebnit habe eine grosse Ausstrahlung, schon über viele Jahrzehnte», betonte Ueli Bach, Vizepräsident von Swiss Herdbook. Die Viehzucht habe in der Region und weit darüber hinaus Spuren hinterlassen, Spuren, welche auf verschiedene einflussreiche Persönlichkeiten und Züchter und deren Arbeit zurückzuführen sei, sagte Bach, dessen Grossvater ein Gründungsmitgliedern war. Auch Helmut Matti, Vorstandsmitglied der Verbandsgenossenschaft für Simmentaler Alpfleckviehzucht und Alpwirtschaft (VSA) gratulierte zum Jubiläum.

Die Festschrift zeige die Herausfoderungen der letzten 100 Jahre auf, betonte Gemeinderätin Therese Mösching in ihrer Grussbotschaft. Heute sei es zwar anders als früher, aber die Herausforderungen seien geblieben. «Genau wegen diesen Herausforderungen muss man flexibel bleiben und nach vorne schauen», so Mösching. «Ich wünsche euch, dass ihr euch nicht entmutigen lässt von den Vorschriften, die auf uns zukommen.» Unter den Zaungästen war unter anderen auch Regierungsstatthalter Michael Teuscher, Nationalrat Erich von Siebenthal und Langläuferin Nathalie von Siebenthal. Sie kam direkt vom «Langlaufspass mit Kids» vom Gletscher oder anders gesagt: von den winterlichen Temperaturen in sommerliche Gefilde.

Neben vielen Landwirten und Viehzüchtern ziehen Viehschauen jeweils auch ein nichtbäuerliches Publikum an. Dank der zentralen Lage des Viehschauplatzes direkt beim Bahnhof liessen sich auch zahlreiche Touristen auf den Strohballen rund um den Ring nieder oder zückten ihre Kameras und Handys für ein Erinnerungsfoto oder -video. So posierten beispielsweise drei gestandene Radfahrer aus dem benachbarten Frankreich für ein Foto vor dem Ring und eine Touristengruppe aus Japan kam aus dem Staunen und Kichern kaum heraus.

Gestaffelter Abzug
Auf die Misswahlen folgte der gestaffelte Abzug. Kaum hatten die Tiere ihre Treicheln um und den Kopfschmuck auf, waren sie kaum zu halten. Trotz sommerlichen Temperaturen waren die Tiere ungestüm wie beim ersten Mal Rauslassen im Frühling. Und so mussten sich die Landwirte und Begleiter die ersten paar Hundert Meter sputen, um mit ihrem Vieh Schritt zu halten …

Am Abend trafen sich die Mitglieder des jubilierenden Viehzuchtvereins zum Züchterabend und geselligen Beisammensein im Zelt.

Weitere Fotos unter https://tinyurl.com/y78gafml https://tinyurl.com/y9dgdktv
Video: https://tinyurl.com/yajzmb9a

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100 JAHRE VIEHZUCHTGENOSSENSCHAFT EBNIT

In der Jubiläumsbroschüre beschränkt sich der Verfasser Willi Bach nicht nur auf den Verein, sondern gibt auch einen Einblick in die Geschichte unserer Region. «All unsere Vorfahren waren Selbstversorger und kamen oft nur mühsam über die Runden. Viele Familien waren, weil die Region nicht für alle genügend Auskommen und Nahrung bot, bis ins 19. Jahrhundert gezwungen, auszuwandern und anderswo eine Existenz aufzubauen.» So hätten sie sich im Welschland, in der Ostschweiz, in Deutschland, in Russland oder Amerika niedergelassen, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

«Die Exporte von Saanenkäse, Zucht- und Schlachtvieh brachten die nötigen Mittel in die Region.» Ungefähr im 18. Jahrhundert habe die Viehzucht den Anbau von Feldfrüchten verdrängt. In Saanen haben regelmässig Viehmärkte stattgefunden. «Vor allem im Herbst, wenn das Vieh von den Bergen kam, war der Viehverkauf eine wichtige Einnahmequelle. Zu der Jahreszeit musste nämlich ‹zinset› werden, Schulden mussten beglichen werden und die Familien hatten fürs Leben auch einige Franken nötig.»

Zurzeit wolle der Bundesrat den Grenzschutz für Agrarprodukte weitgehend aufheben, um die Märkte für die Exportwirtschaft zu vereinfachen, schreibt Willi Bach. Ganz ähnliche Diskussionen habe man schon vor über 100 Jahren geführt: «Mit dem Bau der Eisenbahnen und der dabei entstandenen einfacheren Gütertransportmöglichkeiten kamen die inländischen landwirtschaftlichen Produkte unter den Preisdruck von importierten Gütern. Schon damals sollte die einheimische Produktion zugunsten der Exporte von Industriegütern geopfert werden.» Für den Schutz der einheimischen Landwirtschaft habe sich unter anderem der junge Rudolf Minger, welcher 1930 als erster praktizierender Bauer in den Bundesrat gewählt wurde, engagiert.

Gegründet im Sommer 1918
Die Viehzuchtgenossenschaft Ebnit wurde im Sommer 1918 von 19 Viehzüchtern (zwölf Mitgliedern der VZG Saanen und sieben neuen Mitgliedern) gegründet. Im gleichen Jahr wurde auch die Landwirtschaftliche Genossenschaft Saanenland ins Leben gerufen mit dem Zweck des gemeinsamen Einkaufs von Futtermitteln.

Die Zuchtfragen und damit die Stieren-Angelegenheiten seien den VZG-Mitgliedern sehr wichtig gewesen und hätten oft zu hitzigen Diskussionen geführt. Im Gründungsjahr seien gleich zwei Stiere zum Preis von 4000 und 2550 Franken gekauft worden. Den teuersten Stier kaufte die Genossenschaft 1963 für 11 000 Franken. «Er wurde auch rege benutzt. In zwei Jahren wurden von ihm für 13 000 Franken Belegkarten verkauft.» Ob er wohl dementsprechend auch eine Nachzucht hinterlassen habe, fragt Willi Bach am Schluss des Kapitels.

Künstliche Besamung und Einkreuzung führten zu Diskussionen
1961 sei die künstliche Besamung aufgekommen, nicht zur Freude aller Züchter. «Vor allem Stierenzüchter fürchteten um den Absatz ihrer Aufzucht und das neumodische Verfahren wurde skeptisch hinterfragt.»

Keine zehn Jahre später habe ein anderes Kapitel zu emotional heftigen Diskussionen geführt. 1971 sei die Genossenschaft von der Herdebuchstelle über die Möglichkeit der Einkreuzung mit Red-Holstein-Stieren informiert worden. «Darüber herrschte in den folgenden Jahren zum Teil grosse Uneinigkeit.» Heute sei dies zum Glück vorbei und jeder Betriebsleiter halte und züchte jene Kuh, die zu seinem Betrieb passe und die ihm Freude bereite. «Unser Verein ist ein gutes Beispiel dafür, wie alle Sektionen nebeneinander Platz haben und auch akzeptiert werden», schreibt Willi Bach. Willi Bach und sein Sohn Lukas bewirtschaften in Saanen einen Biobetrieb und züchten Simmentaler Kühe.

PD/ANITA MOSER


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