Erstes Betriebsjahr des Geburtshauses ist gut

  15.05.2018 Gesundheitswesen

Am 1. Januar 2017 hat das Geburtshaus Maternité Alpine seinen Betrieb aufgenommen. Im ersten Jahr hat es die budgetierten Geburten erreicht, der administrative Aufwand und die Wochenbett-Besuche beschäftigten das Führungsteam.

BLANCA BURRI
Ob eine Frau ihr Kind im Geburtshaus auf die Welt bringt oder im Spital, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. «Als erstes muss sich die werdende Mutter im Geburtshaus wohl fühlen. Es kommt aber auch auf den Gesundheitszustand von Mutter und Kind an. Nur wenn alles in Ordnung ist, kann die Niederkunft im Geburtshaus erfolgen», erklärt Ursula Michel, Präsidentin der Maternité Alpine. Im vergangenen Jahr waren diese Faktoren für 61 Frauen gegeben, das Geburtshaus hat in seinem ersten Betriebsjahr 61 Kindern geholfen, auf die Welt zu kommen.

Während schweizweit überwiegend Frauen, die eine natürliche selbstbestimmte Geburt mit individueller Betreuung in einem Geburtshaus anstreben, sind die Nutzerinnen im Geburtshaus in Zweisimmen Frauen, die hier in der Region leben. «Alle sind dankbar, dass sie ein wohnortnahes Angebot mit Begleitung und Betreuung vor Ort haben», sagt Michel.

61 Geburten in Zweisimmen
«Wir haben im ersten Jahr mit 60 Geburten gerechnet», freut sich Ursula Michel, «somit haben wir mit 61 Geburten das Ziel erreicht.» 18 Frauen konnte das Geburtshaus aus medizinischen Gründen nicht für die Geburt aufnehmen.

Insgesamt gesehen, habe es im Vergleich zu den anderen Geburtshäusern aber eine sehr tiefe Verlegungsrate, wie Ursula Michel weiss. Diese erkläre sich durch die strengeren Aufnahmekriterien aufgrund der Distanz in das nächste Spital mit klinischer Geburtshilfe in Thun oder Frutigen.

Verlegungen
Letztes Jahr mussten drei Gebärende zu Beginn der Geburt (in der sogenannten Latenzphase) ins Spital überwiesen werden. Dies geschah mit dem Privatauto und in einem vierten Fall erfolgte eine Verlegung mit der Ambulanz. «Auch bei diesen vier Geburten ist alles gut gegangen», beantwortet die dreifache Mutter die entsprechende Frage. Dasselbe gilt für die Kaiserschnittgeburt, die kürzlich in einem Fall am Spital Zweisimmen in Nothilfe in Anspruch genommen werden musste. «Die Zusammenarbeit hat reibungslos geklappt, wofür ich sehr dankbar bin», so Michel.

Wochenbett ist gefragt
28 Mütter, die in Thun oder Frutigen geboren haben, und ihre Kinder haben für die stationäre Wochenbettbetreuung ins Geburtshaus nach Zweisimmen gewechselt. Teils haben sie nicht in Zweisimmen geboren, weil sie aus medizinischen Gründen nicht im Geburtshaus zugelassen waren, wie Michel betont. «Diese Eltern schätzen aber die familiäre Atmosphäre und insbesondere die Nähe zu ihrer Familie in der Region, weswegen sie das Wochenbettangebot im Geburtshaus gerne annehmen», so die Präsidentin. Die Statistik belegt, dass im Geburtshaus die meisten Frauen am vierten Tag nach Hause gehen könnten. Die Frauen begrüssen es, dass sie nicht, wie oft üblich, am dritten und schwierigsten Tag nach Hause entlassen werden. Denn am dritten Tag erfolge der Milcheinschuss, das Stillen sei noch schwierig und durch die Hormonumstellung gebe es viele Gefühlsschwankungen.

Wochenbettbetreuung zu Hause
Das Geburtshaus bietet auch an, die frischgebackenen Mütter und ihre Neugeborenen im Wochenbett zu Hause weiterzubetreuen. «Diese Nachsorge wird viel reger genutzt, als wir gedacht haben.» Dadurch seien meist beide Hebammen, diejenige die Dienst hat und diejenige, die den Pikett abdeckt, im Einsatz. Leider sei die Vergütung durch die Versicherung sehr gering: «Diese Leistung ist nicht kostendeckend.» Nicht nur, weil die Hebammentarife zu tief seien, sondern auch, weil das Einzugsgebiet des Geburtshauses sehr gross sei. «Die Hebammen brauchen durch die langen Anfahrtswege viel Zeit und die wird von der Krankenkasse nicht entschädigt», erklärt Michel. Der Hebammenverband kämpfe schon lange dafür, dass diese häusliche Nachsorgeleistung besser abgegolten werde. Dasselbe gilt für die Telefonberatung und Schwangerschafts-Vorsorge, die das Geburtshaus selbstverständlich anbiete, aber nicht kostendeckend vergütet erhalte.

Trotzdem gute Zahlen
Trotzdem schreibe das Geburtshaus in seinem ersten Betriebsjahr gute Zahlen. «Wir haben mit einem Defizit gerechnet, das durch Spenden und die Anschubfinanzierung der Gemeinden gedeckt wurde.» Mit 75 bis 80 Geburten pro Jahr, die das Geburtshaus budgetiert, werde man dereinst eine schwarze Null schreiben können, hofft Ursula Michel. Sie bleibt aber realistisch: «Das wird eine Herausforderung bleiben.»

Findungsprozess
Das Geburtshaus beschäftigt rund zehn Hebammen und eine Plegefachfrau sowie drei Hauswirtschafterinnen, die sich rund sieben Stellenprozente teilen. Eine stammt aus dem Saanenland, zwei aus dem Niedersimmental und die anderen aus dem Raum Bern. Sie teilen sich in Zweisimmen eine kleine Wohnung, damit sie während dem Pikettdienst schnell vor Ort sind.

Obwohl für alle die Situation neu gewesen ist und man noch keine Erfahrungszahlen hatte, habe es keine grossen Wechsel gegeben. Wie erwähnt sei aber die Arbeitsbelastung für die Hebammen im Dienst und die Piketthebammen viel höher gewesen als angenommen. Daher werde der Hauswirtschaftsdienst zum Teil nicht wie vorgesehen von den Hebammen, sondern von drei Hauswirtschafterinnen erledigt. Auch die Wochenbettpflege ausser Haus werde wie erwähnt meist von der Piketthebamme gemacht.

Der administrative Aufwand sei viel höher, als angenommen worden sei. Diese Aufgabe teilen sich die Co-Betriebsleiterinnen Sabine Graf und Marianne Haueter.

Hohe Präsenz für Gynäkologin
Nicht zuletzt dank der grossen Unterstützung der Gynäkologin Nadine Kleinebeckel aus Zweisimmen konnte man das Geburtshaus überhaupt realisieren. Weil der Hintergrunddienst eine besondere Präsenz erfordert, habe sie inzwischen eine zweite Gynäkologin für ihre Praxis im Teilpensum angestellt, was sie entlastet. Durch ihre arbeitsame Art könne sie mit der grossen Belastung auch gut umgehen. «Im Spital leisten die Ärzte ja auch unglaublich lange Einsätze», vergleicht Michel.

Konstruktive Rückmeldungen
Bisher seien die Rückmeldungen durchwegs konstruktiv gewesen, sagt Ursula Michel. «Es hat besonders viele positive Echos gegeben.» Einige ausgewählte, stark gekürzte und anonymisierte Zitate aus den schriftlichen Rückmeldungen sind im Jahresbericht abgedruckt. Beispielsweise wurden die Fürsorge und die angenehme und unkomplizierte Art gelobt, die Mutter und Kind entgegengebracht worden seien. Es habe aber auch Kritisches gegeben. Zum Beispiel schrieb eine Mutter: «Da vier Babys gleichzeitig im Geburtshaus waren, hattet ihr nicht so viel Zeit für mich, was schade war.»

 


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