Israel: 70 Jahre Aufbau in schwierigem Umfeld

  25.05.2018 Leserbeitrag

Israel liegt in einer der kompliziertesten Regionen der Welt. Kaum eine Gegend auf diesem Planeten hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in komplexere Konflikte verstrickt als der Nahe Osten. Dabei ist der israelisch-palästinensische Gegensatz «nur» ein Teil der Gemengelage an Frontstellungen und Problemen der Region, die zudem immer offensichtlicher von geostrategischen Konfliktlinien überlagert und damit verstärkt werden.

In dieser schwierigen Zeit und in dieser schwierigen Region hat Israel den 70. Jahrestag seiner Gründung begangen. Am 14. Mai 1948 wurde die Unabhängigkeit proklamiert – völkerrechtlich legitimiert durch den Uno-Teilungsplan von 1947. Die Staatsgründung war eine Notwendigkeit der Zeit. Denn der seit Jahrhunderten grassierende christliche Antijudaismus und der im 19. Jahrhundert zusätzlich um sich greifende ethnische Antisemitismus haben Millionen von Jüdinnen und Juden das Leben buchstäblich zur Hölle gemacht – mit dem Holocaust im 20. Jahrhundert als entsetzlichem Höhepunkt. Der Antisemitismus grassiert jedoch auch nach dem Völkermord an den europäischen Juden durch die Nazis weiter – in jüngster Zeit wieder so unverfroren, dass sich viele Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in Europa und nach Israel auswandern oder es sich zumindest überlegen. Israel selbst wurde mehrmals Opfer arabischer Aggression. Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser forderte 1967, die Israelis und die Juden ins Meer zu treiben. Heute ist Iran in die Rolle des wichtigsten militärischen Gegenspielers geschlüpft.

Israels Gründung ist aber auch unauflösbar verbunden mit einer schreienden Ungerechtigkeit in die andere Richtung: Mit der Flucht und Vertreibung von über 800 000 Palästinenserinnen und Palästinensern, der Nakba. Diese Katastrophe dauert an, denn diese Menschen haben bis heute kein Rückkehrrecht. Israel besetzt palästinensisches Gebiet, hält die Bewohner des Gazastreifens wie in einem Gefängnis und betreibt eine verheerende Siedlungspolitik. Und zu allem Übel provozierte Donald Trump die Palästinenser zusätzlich in zynischer Weise, indem er die umstrittene Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ausgerechnet auf diese historisch belasteten Tage ansetzte. Israel wiederum reagierte auf die gewalttätigen, von der in Gaza regierenden Hamas gezielt gesteuerten Proteste im Gazastreifen mit einem Militäreinsatz mit über 60 Toten: Wenn eine der modernsten und schlagkräftigsten Armeen der Welt gegen Molotowcocktails und Steine schleudernde junge Männer derart massiv vorgeht, dann ist das nicht zu rechtfertigen.

Die beiderseitige Unversöhnlichkeit spaltet sowohl die israelische wie die palästinensische Bevölkerung und richtet durch diese auch interne Polarisierung Schaden in beiden Gesellschaften an. Der Nahostkonflikt führt dazu, dass Israel hierzulande fast nur als Akteur in diesem schweren Zerwürfnis zur Kenntnis genommen wird. Dabei beachtet man oft gar nicht, was das Land in diesen 70 Jahren geleistet hat. Israel ist ein hochentwickelter Industriestaat geworden, der nicht allein wirtschaftlich, sondern auch kulturell und wissenschaftlich Höchstleistungen vollbringt. In der Spitzentechnologie ist das Land global führend, und es hat punkto Startup-Gründungen das amerikanische Silicon Valley längst hinter sich gelassen.

Zudem herrscht eine lebendige, auch in Medien und Zivilgesellschaft präsente demokratische Debattenkultur, die wenig Respekt vor Macht und Hierarchien erkennen lässt. Ein grosser Teil der israelischen Medien steht der Regierung Netanyahu kritisch gegenüber. Auch die Justiz kennt selbst gegenüber Spitzenpolitikern keine Beisshemmungen. Noch – muss man leider hinzufügen. Denn wie vielerorts, wo Rechtsparteien an der Macht sind, geraten Gewaltenteilung, Presse- und Meinungsfreiheit unter Druck. Dabei ist Kritik an der Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung gleich in mehrfacher Hinsicht notwendig. Das ändert aber nichts daran, dass das Land für seine Aufbauarbeit während den vergangenen 70 Jahren in einem äusserst schwierigen Umfeld uneingeschränkten Respekt verdient.

JÜRG MÜLLER
[email protected]


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