Velofahren ist mehr

  18.05.2018 Region

«Not macht erfinderisch.» Diese Volksweisheit gilt wohl auch für die Erfindung des Velos. 1816, im sogenannten «Jahr ohne Sommer», herrschte als Folge des gewaltigen Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien in weiten Teilen der Welt eine grosse Hungersnot. Wegen des Hafermangels fehlten überall auch viele Reitpferde. In «dieser Not» erfand und entwickelte der Karlsruher Karl Drais im Jahr 1817 das Laufrad – die Draisine. Statt im Pferdesattel sassen die Leute auf der Draisine zwischen den Rädern und stiessen sich mit den Füssen vom Boden ab. Die Draisine war das erste «Einmann-Landverkehrsmittel» (Frauen benutzten die Draisine nicht). Und damit begann der Siegeszug des Velos rund um die Erde.

Seit 200 Jahren ist das Velo voll in Fahrt. Von der Draisine bis zum Hochrad, von der Erfindung des Kettenantriebs, den aufpumpbaren Pneus, den verschiedenen Bremssystemen und den raffinierten Schaltungen bis zum modernen E-Bike widerspiegelt das Velo eine 200-jährige Erfolgsgeschichte. Das Velo ist heute weltweit das beliebteste und meistverbreitetste Verkehrsmittel. Es gibt auch für praktisch jeden Geschmack, jedes Alter und für jeden Lebensstil ein passendes Velo.

Was zu Fuss kaum möglich ist, schafft man mit dem Velo problemlos: In einem einzigen Tag kann man aus eigener Kraft eine ganze Region entdecken und erleben, ohne dass man das eigene Körpergewicht selber tragen muss. Für viele Menschen ist darum das Velofahren nicht bloss eine sportliche Fortbewegungsart, sondern auch ein ganz besonderes Lebensgefühl. Für viele Velofahrende gilt der Grundsatz: Ich trete in die Pedale, also bin ich (S. N. Larsen). Trotz Regen, Gegenwind, steiler Berge und Hügel macht das Velofahren viele Menschen glücklich. Denn am Ziel einer Velotour sind Fahrer und Fahrerinnen nicht nur stolz auf die Leistung, die sie vollbracht haben, sondern sie haben auch viel erlebt und sind erfüllt von neuen Erfahrungen und Gedanken.

Velofahren hält also nicht nur den Körper fit, sondern erfrischt auch Seele und Geist. Und beim Velofahren wird nicht nur der geografische Horizont erweitert, sondern auch der geistige. Es werden nicht nur neue Landschaften entdeckt, sondern auch neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Der Wind im Gesicht und in den Haaren erfrischt auch den Geist. Und das regelmässige und gleichmässige in «die Pedale treten» bewirkt eine meditative und beschauliche Stimmung.

Diese Stimmung schafft ideale Voraussetzungen, um über das Leben nachzudenken. Und es ist interessant, sich in solchen Momenten auch ab und zu ein paar Gedanken über die einzelnen Teile eines Velos zu machen. Denn jedes Teil eines Velos hat nicht nur eine technische Funktion, sondern jedes Teil kann auch an etwas Wichtiges im Leben erinnern. Jedes Teil kann uns etwas erzählen. In jedem Element eines Velos steckt immer auch eine interessante Lektion Lebenskunst. Und die Lebensweisheit, die in jedem Velo steckt, bezeichne ich als «Weisheit des Velofahrens» oder eben als «Velosophie».

ROBERT SCHNEITER


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