Franz Hohler und «Das Päckchen»

  12.06.2018 Kultur

Im Namen des Bibliothekvereins Gsteig-Feutersoey konnte Verena Marti am vergangenen Freitag in der Kirche Gsteig unzählige Besucherinnen und Besucher aus nah und fern zur Lesung von Franz Hohler willkommen heissen.

MARIANNA BETTLER
Dass der lang gehegte Wunsch der kleinen Bibliothek in der westlichsten Ecke des Kantons Bern endlich realisiert werden konnte, hat mit der persönlichen Verbundenheit des Autors mit Familie Schlunegger Marti zu tun, welche vor siebzehn Jahren anlässlich einer Pilgerreise über den Sanetschpass zum Mont-Blanc-Massiv begonnen hatte. Franz Hohler, der sich stets gerne in der Natur und im Besonderen auf grossen Bergtouren bewegt, vertraute sich immer wieder dem erfahrenen Bergführer Adolf Schlunegger an, welcher ihn auf hohe Gipfel und in einsame Berghütten begleitete, die später in Romanen ihren Platz fanden. An dieser Stelle gebührt Verena Marti ein herzliches Dankeschön.

Unterwegs mit den Protagonisten
Der Autor holte das Publikum mit einem Gedicht aus dem Buch «Alt» ab und erntete die ersten Lacher. Dann öffnete er «Das Päckchen» und vom ersten Satz an befand man sich mitten im Geschehen. Unvermutet liess man sich in die Geschichte entführen, spazierte mit Ernst durch die Berner Altstadt, stieg in einem altehrwürdigen Haus ächzende Stufen hinauf in den dritten Stock, begegnete der alten Frau Schäfer in ihrem schwarzen Faltenrock, deren Gesicht von einer grossen Hornbrille mit stark gewölbten Gläsern dominiert wurde.

Mit seinem unvergleichbaren Stil und seiner ureigenen Art führte Franz Hohler durch «Das Päckchen» und fesselte seine Zuhörer/innen. Als Ernst die abgelegene Berghütte erreicht hatte und mitten in der Nacht durch seltsame Erscheinungen aufgeschreckt wurde, glaubte man sich beinahe am Ziel des Romans. Doch weit gefehlt! Mit einem kleinen Knall klappte der Autor «Das Päckchen» zu und meinte verschmitzt: «Das Buch gibts zu kaufen oder zum Ausleihen in eurer Bibliothek!»

Das Gewicht der Welt
Seine Lesung beschloss der bekannte Kabarettist und Autor mit seinem Gedicht «Kulturkonzept»: «Ich hätte gern aus jedem Kindergarten täglich eine Zeichnung von dem, was gerade aktuell ist, sei es ein Hund, ein Frosch, ein Vogel, eine Maus, ein hoher Berg, ein Flugzeug, Rennautos, die Feuerwehr, Piratenschiffe, Drachen oder Schmetterlinge und würde diese Bilder streuen in der Tagesschau des Fernsehens zwischen Kriege, Konferenzen, Hungersnöten und auf der Titelseite jeder Zeitung müsste täglich eine Kinderzeichnung als Nachricht, die nicht berichtet, von dem, was war, nein, die berichtet von dem, was sein will oder könnte, damit wir endlich sehen lernen, damit wir endlich träumen lernen, damit wir endlich wägen können das Gewicht der Welt.»

Für die spannende Lesung erntete der begnadete Schriftsteller einen langanhaltenden Applaus, den er mit einer kleinen Zugabe aus dem Gedichtband «Alt» belohnte. Die Präsidentin Annemarie Jegerlehner dankte allen Anwesenden für ihr Kommen, den Sponsoren für die Unterstützung und überreichte Franz Hohler als kleines Dankeszeichen … ein Päckchen.

Angeregter Gedankenaustausch
Die Einladung zum Apéro, welches im Pfarrhaussäli parat stand, wurde gerne angenommen. Bei Hobelkäse, Züpfe und verschiedenen Getränken fand ein angeregter Gedankenaustausch statt. Am Büchertisch verkaufte Ruth Galler vom Au Foyer Saanen Bücher von Franz Hohler, welcher diese gerne signierte und für alle ein freundliches Wort übrig hatte.

Dank der angenehmen Stimmung in Kirche und Pfarrhaus verflog die Zeit im Nu. Gegen 23 Uhr verabschiedeten sich die ersten Gäste, gab es doch Leute, die einen längeren Heimweg vor sich hatten. Das Ehepaar, das extra aus Lyss angereist war, zog es vor, auf dem Gsteiger Campingplatz zu übernachten.

Das Bibliotheksteam der kleinen, unscheinbaren Bibliothek darf sich glücklich schätzen und auch ein wenig stolz sein, dass mit diesem gelungenen Anlass ein positives Zeichen gesetzt werden konnte.


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