«Ich brauche danach eine warme Dusche und einen feinen Tee»

  10.07.2018 Kultur

Sarah Luisa Iseli spielt bis Mitte August im Stück «Schwarmgeist» auf der Freilichtbühne Moosegg. Am vergangenen Freitag war die Premiere. Im Interview gibt sie Einblick in die tragische, von ihr verkörperte Figur Stüdi. Sie erzählt, dass sie trotz ständiger Reiserei (noch) nicht im Wohnwagen wohnt.

BLANCA BURRI
Bekannt ist es nicht, das Theaterstück «Schwarmgeist» nach Simon Gfeller, eindrücklich jedoch schon. Der Autor arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Lehrer im Emmental und erlebte das Spannungsfeld zwischen konservativer Frommheit und naturwissenschaftlicher Aufgeklärtheit. Und genau darum geht es im Stück, das am vergangenen Freitag in seiner Heimat als Freilichttheater aufgeführt wurde. Darin spielt die Gstaaderin Sarah Iseli die junge Mutter Stüdi, eine der Hauptrollen.

Während sie bislang hauptsächlich lebenslustige Charakteren verkörpert hat, schlüpft sie diesmal in eine tragische Figur, die ihre Mitte und somit sich selbst komplett verliert. Ein neues Abenteuer.

Sarah Iseli, Sie wohnen in Bern, arbeiten bis Ende August im Emmental und reisen für Ihre weiteren Projekte durch die ganzen Schweiz. Leben Sie im Wohnwagen?
(Lacht) Ohne Witz. Ich habe es mir überlegt, ob ich den Camper meiner Eltern für ein paar Tage auf die Moosegg nehmen soll. Es ist wirklich so, dass ich sehr viel reise und so bin ich dankbar, wenn ich den Zug nehmen kann, weil ich so etwas zur Ruhe komme. Aber auch die Sharing-Portale sind super. Je nach Bedarf miete ich ein Elektrovelo oder ein Auto. Immer wieder darf ich auch das Auto meines Grossvaters benutzen. Das ist super.

Sie sind in der zweiten Saison für das Freilichtspiel Moosegg tätig. Eine Gstaaderin im Emmental, wie kommt das?
Ich kenne den Regisseur Simon Burkhalter seit meiner Ausbildung an der Stage Art Musical School in Zürich. Wir sind gute Freunde und ergänzen uns gut. Er hat mich letztes Jahr angefragt, ob ich Regieassistentin werden möchte. Da habe ich zugesagt, weil diese Funktion mir einen ganz neuen Einblick in eine Produktion bietet. Dieses Jahr bin ich zusätzlich als Darstellerin auf der Bühne und ebenso für die Kinderdarsteller verantwortlich.

Und nächstes Jahr?
Nächstes Jahr darf ich die Regieassistenz nicht nur für das Theater, sondern auch für die Operette machen, die zweite Produktion, welche auf der Moosegg stattfindet.

Hatten Sie vor der Premiere manchmal schlaflose Nächte?
Schon ein bisschen. Manchmal war ich unsicher, ob wir genug Kinderdarsteller finden, wir an alles gedacht haben und ob alles auf den Punkt bereit sein wird. Da steht mir mein Perfektionismus manchmal im Weg. Ich habe als Regieassistentin aber auch viel gelernt. Gerade im Bereich Kommunikation mit den Schauspielern, den Kinderdarstellern und ihren Eltern oder in den Bereichen Technik, Bühnenbau und Kostüme.

Sie sind Schauspielerin und Regieassistentin. Beissen sich die zwei Aufgaben nicht?
Manchmal war es schwierig, herauszufinden, welche Rolle ich wann inne hatte. Erst hielt ich alle Textänderungen und Regieanweisungen immer für alle fest bis der Zeitpunkt kam, als ich mich ganz auf meine Rolle konzentrieren musste. Seitdem waren alle Schauspieler für ihre Aufgänge und Texte selbst verantwortlich. Es war für mich aber nicht so einfach loszulassen.

Wir haben Sie in Gstaad als Annika im Kindermusical «Pippi Langstrumpf» kennengelernt. Jetzt spielen Sie die tragische Figur Stüdi …
… ich habe mich auf diese richtig schlimme Rolle gefreut, darauf, mich in diese Figur hineinzufühlen und hineinzudenken. Es hat alle Proben gebraucht, bis ich voll und ganz mit Stüdi verschmolz. Jetzt sitzt alles.

Nach einem unbeschwerten Einstieg in die heile Welt des ländlichen Emmentals geht es später um Sehnsucht, Verlust und Schmerz. Wie können Sie sich in diese Emotionen versetzen?
Einerseits hat das Stück viel Körperliches, das ich als Schauspielerin fühlen und ausleben kann. Andererseits führe ich eine Emotion vor mein inneres Auge, die ich selbst einmal erlebt habe. Bei einer Probe bin ich einmal zu früh in diese Emotion getaucht und die Tränen flossen sofort über meine Wangen. Ich liebe es, dass ich in dieser Rolle sehr natürlich sein kann und das Stück sehr einfach und authentisch umgesetzt ist. Es hat Raum für Pausen und für den Atem. Schwierig fand ich, die Körpersprache der schwer arbeitenden Bäuerin zu übernehmen. Ich bin eher so der tänzelnde Typ.

Können Sie sich ebenso mit lustigen wie mit schweren Rollen identifizieren?
Ja, sehr! Ich liebe es, in lustigen Rollen den Kindern Mut zu machen, dass sie es im Leben schaffen können. Gleichzeitig faszinieren mich dem Abgrund nahe Figuren. Mir geht es bei meiner Arbeit darum, den Zuschauern eine ehrliche und echte Nachricht auf den Weg zu geben. Sie sollen spüren, dass meine Bühnenrolle echt ist. Egal, wen ich verkörpere.

Wie kommen Sie nach den Vorstellungen wieder aus den Rollen heraus?
Nach Pippi Langstrumpf musste ich mich jeweils wieder «bödele», das heisst, tief durchatmen und mich zentrieren. Beim Stüdi brauche ich meist eine warme Dusche und einen feinen Tee, der mich aufbaut. Ich muss mir selbst sagen: «Jetzt ist das Schwere vorbei, ich kann wieder eine gute Laune haben.»

Mit Simon Burkhalter hat ein junger, ambitionierter Regisseur vor einem Jahr das Zepter der Freilichtspiele Moosegg übernommen.
Ja, das ganze Produkti onsteam ist sehr jung. Wir sind alle sehr ehrgeizig, weil wir zeigen möchten, dass auch wir Jungen es gut machen können.

Sie sind als Singer/Songwriter, Schauspielerin und Regieassistentin unterwegs. Können Sie davon leben oder müssen Sie sich mit vielen Nebenjobs über Wasser halten?
Ja, seit diesem Jahr kann ich davon leben. Natürlich leiste ich bei Projekten wie auf der Moosegg zusätzlich zum vergüteten Auftrag viel Freiwilligenarbeit. Aber das bin ich schon von den Grossanlässen in Gstaad gewohnt, bei denen meine ganze Familie immer wieder mitwirkt. Die Zuschauer merken, dass wir eine Familie sind, die einander hilft. Sie schätzen den nahen Kontakt zu den involvierten Leuten. Das spürte ich zum Beispiel, als ich für die zweite Produktion – eine heitere Operette – an der Kasse sass und die Zuschauer bemerkten, dass ich Schauspielerin bin. Oft erzählten sie mir dann, dass sie nicht nur den «Vetter von Dingsda», sondern auch den «Schwarmgeist» anschauen wollen. Trotz des Erfolgs habe ich meinen Nebenjob als Kinderhüterin behalten. Das ist aber frei gewählt, weil es einen wichtigen Ausgleich zum künstlerischen Leben gibt.

Werden Sie inzwischen schon auf der Strasse erkannt?
(Lacht) Ja, manchmal. Letzthin in einem Restaurant, als mir die Kellnerin erzählte, dass sie mich im Theater gesehen habe.

Die Moosegg ist aus der Perspektive des Sannenlandes ein bisschen abgelegen. Was empfehlen Sie interessierten Theaterbesuchern?
Das Theater wird unmittelbar neben dem gleichnamigen Hotel gespielt, wo Pauschalen gebucht werden können. Man kann also erst gemütlich Essen, dann das Stück anschauen und später bequem übernachten und erst am nächsten Tag wieder abreisen. Ich freue mich natürlich sehr über jeden Besuch aus dem Saanenland.

Die Premiere ist vorbei. Wie kam das starke Stück beim Publikum an?
Sehr gut! Das ist auch aus den super Kritiken der Presse zu entnehmen. Genau zur rechten Zeit zogen Nebelschwaden durch den Wald und unterstützten die Stimmung. Die Besucher mochten das authentische Spiel, den einfachen und vielsagenden Text sowie das Gesamtbild.

Welche Projekte stehen danach an?
Die Sommeroperette «Fledermaus» in Bümpliz und später das Kindermusical «Schellen-Ursli».


«SCHWARMGEIST»

1914: In einem Weiler im Emmental ist die Welt noch in Ordnung. Stüdi, eine junge Mutter, ist mit ihren Kindern alleine auf dem Hof, ihr Mann an der Front. Sie gibt ihr Bestes, um im Alltag zu bestehen. Halt findet sie bei einem benachbarten Kesselflicker und seiner Frau.
Auf einmal erkrankt ihr Kind schwer. Die Tante der Familie meint, es sei gegen das Gottvertrauen, einen Arzt beizuziehen und will das Kind durch Gebet und Handauflegen heilen. Stüdi kommt mit sich und ihrem Glauben in Konflikt.
Das Stück erzählt stringent, mit einem sanften Lächeln und viel Ehrlichkeit die tragische Geschichte dieser jungen Familie. Ein Happy End ist nicht gewiss. Unterstützend wirken nicht nur Licht und Musik, sondern auch die mystische Wirkung der Naturkulisse, weil je nach Witterung Nebelschwaden die Stimmung unterstreichen.

www.freilichtspielemoosegg.ch


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