Auf den Spuren alter Bauten

  03.07.2018 Saanenland

Alte Häuser haben ihren Reiz – nicht nur für ihre Besitzer. Archäologe Matthias Bolliger hat das Saanenland besucht, um mittels dendrochronologischer Messungen das Alter eines Hauses zu bestimmen. Spannend ist die Frage: Stammt das Objekt nun aus dem 17. Jahrhundert oder ist es doch jünger?

MELANIE GERBER
Ein Mittwochnachmittag im Saanenland: Archäologe Matthias Bolliger bespricht sich mit Fabian Schwarz von der Denkmalpflege. Sie sind nach Saanen gereist, weil beim Umbau eines Hauses aufgefallen ist, dass die Malerei nicht mit dem ausgewiesenen Baujahr übereinstimmen kann. «Obwohl das Haus nach einer Einheit aussieht, ist dem nicht so», erklärt Fabian Schwarz. «Ursprünglich war das Haus nur eine Stube breit, später wurde die Westseite hinzugefügt.» Er zeigt auf die Fugen, denen man die Erweiterung ansieht. Weiter falle die Malerei auf, sie sei im Stil des Barocks gehalten, weise aber auf das Baujahr 1601. Aufgrund von Fotos wisse man, dass die heute sichtbare Malerei erst in den 1960er-Jahren appliziert wurde. Könnte es sein, dass man bei der Erneuerung der Malerei eine Zahl falsch interpretiert und das Haus aus Versehen um 100 Jahre älter gemacht habe? Archäologe Matthias Bolliger soll nun mittels dendrochronologischer Messungen der Frage um das Alter des Hauses nachgehen.

Was ist Dendrochronologie?
Das Wort «Dendrochronologie» stammt aus dem Griechischen und ist zusammengesetzt aus den entsprechenden Bezeichnungen für Baum, Zeit und Lehre. Bei dieser Methode der Altersbestimmung werden die Abstände zwischen den Jahrringen eines Baumes gemessen und mit bereits erhobenen Daten verglichen. So kann bestimmt werden, wann der Baum gelebt hat, von dem das Holz stammt.

Da diese Art der Altersbestimmung bei Holzbauten eingesetzt werden kann, arbeiten der Archäologische Dienst und die Denkmalpflege oftmals eng miteinander. Meist seien Messungen an Häusern problemlos durchzuführen, sagt Matthias Bolliger. Hausbesitzer hätten zwar manchmal Angst vor Konsequenzen. Das Resultat habe aber auch im vorliegenden Fall keinen Einfluss auf den Umbau, ergänzt Fabian Schwarz. Das Gebäude sei als schützenswert eingestuft und die Besitzerin selber sehr interessiert an der Geschichte des Hauses. Aus dendrochronologischer Sicht sei der Fall sehr spannend, fügt Matthias Bolliger hinzu. Man könne letztlich aus dem Resultat für zukünftige Beurteilungen lernen und man habe schon manche Überraschung erlebt.

Suche nach geeigneten Stellen
Drei bis fünf gute Proben braucht Matthias Bolliger, um später das Alter des Hauses bestimmen zu können. In der Praxis heisst das, dass er über zehn Proben entnehmen muss, denn was sich im inneren des Holzes an Ringen versteckt, ist von aussen auch für sein geschultes Auge nicht immer sichtbar. Er nimmt sich genug Zeit, die Räume nach Stellen abzusuchen, die auf viele Ringe hindeuten. Schnell zeigt sich, dass bei seinem Beruf auch akrobatisches Geschick gefragt ist. «Ich möchte aussagekräftige Proben», schmunzelt der Archäologe, als sich herausstellt, dass die vorhandene Leiter zu kurz ist. «Nicht die, die einfach zugänglich sind.»

Geeignet sind Stellen dann, wenn sie nebst zahlreichen Jahrringen auch Waldkante aufweisen, das heisst, noch Teile der Rundung zeigen. Die Waldkante schliesst den jüngsten Jahrring des Baumes ab und verrät somit das Jahr, in dem der Baum gefällt wurde. «Wenn früher zu genau gearbeitet wurde, dann wird es für uns schwierig», erklärt Bolliger. Nach einigem Suchen findet er jedoch Stellen mit Waldkante.

Auch ein manueller Beruf
Matthias Bolliger holt Leim, Holzleisten, Klebband, Fimo und eine Bohrmaschine mit verschiedenen Aufsätzen aus seinem Rucksack. Die Stirnlampe trägt er bereits. Damit leuchtet er im düsteren Dachstock auf die Stelle, an der er den Kernbohrer ansetzt und die erste Probe aus dem Balken entnimmt. Es ist ein dünnes, rund 20 Zentimeter langes Holzstäbchen, auf dem die Musterung der Jahrringe zu sehen ist. Der Archäologe begutachtet die Probe und meint, es seien doch etwas wenige Jahrringe für eine gute Datierung, klebt die Probe vorsichtig auf eine Holzleiste, um sie später unbeschadet transportieren zu können, und beschriftet diese mit den Angaben zum Fundort. Akribisch genau wird auch jede weitere Probe beschriftet, in eine Tabelle eingetragen und die Entnahmestelle auf dem Bauplan markiert. So kann er später noch nachvollziehen, aus welchen Räumen und Wänden die Holzstäbchen stammen, die jetzt fein säuberlich vor ihm am Boden liegen.

Messungen im Labor
Drei Stunden später ist der Archäologe zufrieden mit den vorliegenden Proben und tritt mit ihnen den Heimweg an. Im Labor wird er während ein bis zwei Arbeitstagen die Proben untersuchen und einen Bericht schreiben. Dabei misst er unter dem Binokular die Abstände der Jahrringe und stellt aus den Ergebnissen ein Kurvenschema her. Dieses wird statistisch und visuell mit verschiedenen Referenzchronologien verglichen.

Und wie steht es nun um das Resultat? Ein paar Tage nach der Entnahme der Proben liegt es vor. «Alle Hölzer des Kernbaus mit Waldkanten wurden im Herbst/Winter 1697/1698 geschlagen», teilt Matthias Bolliger mit. Somit weist die Jahreszahl in der Malerei eindeutig auf ein falsches Baujahr hin und die Annahme, der Bau könnte rund 100 Jahre jünger sein, bestätigt sich. Die Untersuchung gibt jedoch noch weitere Hinweise auf die Geschichte des Hauses: Proben im nordöstlichen Teil des Erdgeschosses ergaben, dass das Holz dafür im Herbst/Winter 1735/1736 geschlagen wurde. Es handle sich demnach um einen Anbau, der knapp 40 Jahre später erstellt wurde, so Bolliger.

Ein Rätsel bleibt offen
Wie kommt es nun aber zur Malerei mit der Jahreszahl 1601? Matthias Bolliger vermutet, dass bei der Auffrischung der Bemalung die Zahl 7 falsch interpretiert wurde und dadurch das Gebäude aus Versehen um 100 Jahre älter gemacht wurde. Das Rätsel ist dennoch nicht vollständig gelöst. «Vermutlich gibt eine Nahbetrachtung auf die Inschrift die Lösung frei», meint Fabian Schwarz und freut sich auf das baldige Fassadengerüst.

Video: https://tinyurl.com/y85armml

/>

DER ARCHÄOLOGISCHE DIENST UND SEIN DENDROLABOR

Der Archäologische Dienst des Kantons Bern ist der Erziehungsdirektion unterstellt und damit beauftragt, archäologische Denkmäler zu schützen, zu erforschen und zu dokumentieren. Das Dendrolabor, in dem Archäologe Matthias Bolliger arbeitet, besteht seit den 1980er-Jahren und ist in Sutz-Lattrigen bei Biel stationiert. Aufträge gelangen intern an das Labor, aber auch über Privatpersonen und die Denkmalpflege. Bei den Aufträgen geht es um die Datierung von Hölzern, unter anderem in der Bauforschung rund um historische Gebäude.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote