Das war vor 72 Jahren aktuell

  24.07.2018 Gstaad

Letzthin gab es im katholischen Pfarrhaus in Gstaad eine sanfte Renovation. Dabei wurden unter einer Bodenabdeckung ein paar alte Zeitungen entdeckt. Obwohl die Zeitungen nicht aus dem Saanenland stammen, ist es spannend, einen Blick in die damalige Presselandschaft zu werfen.

Der «Blick» vom 20. März 1970 titelte: «Stella gefunden». Im Lead steht: «Stella Siboney Papa (4) ist gefunden! Die Tage des zermürbenden Wartens und der Angst um seine entführte Tochter sind für den Tessiner Renzo Papa (44) nun endlich vorbei. Gestern kam die erlösende Nachricht: Stella wurde zusammen mit ihrer Entführerin Isabel D’e Mertzis in der Filmstadt Hollywood aufgespürt.» Ein Text, der aktueller nicht sein könnte, inhaltlich wie stilistisch hat sich seit den 1970er-Jahren nicht viel verändert. Im anschliessenden Artikel kommt heraus, dass ein Detektiv das vermisste Mädchen aufgespürt hatte, dessen Mutter auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen war. Ein Haftbefehl habe erwirkt werden können, ist weiter zu vernehmen.

Weltgeschehen
Bei den Fundstücken lagen auch bedeutend ältere Zeitungsteile. Sie wurden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich 1946 herausgegeben. Je eine Seite stammte aus der «Schweizerischen Bau- und Holzverarbeitungszeitung», aus «La Suisse – Le journal du matin» sowie der Zeitschrift des Detaillistenverbandes des Kantons Luzern «Kompass». «La Suisse» kam zwischen 1898 bis 1994 in Genf heraus und galt zu ihrer Zeit als eine der aufgeklärtesten Publikationen der Westschweiz. Während die Titelseite ganz dem Sport gewidmet ist, ist die zweite Seite voller Kurztexte von den Nachrichtenagenturen Reuters und Agence France-Presse, welche das Geschehen aus der ganzen Welt zusammenfasst. Eine dieser Rubriken gilt den Vereinigten Staaten. Darin steht zum Beispiel, dass sich die USA dafür einsetzen, dass weder Grossbritannien, Schweden, die Schweiz noch Frankreich der Sowjetunion in der Nachkriegszeit bei der industriellen Entwicklung helfen. Auf derselben Seite unten rechts ist ein selbst verfasster Artikel, der sich einem Drama in Genf widmet, wo eine Frau ihr Neugeborenes stranguliert hatte.

Mutig
Auffallend ist, dass in «Kompass» (bis 2012 herausgegeben) viele meinungsbildende Artikel abgedruckt sind. Der Autor F. Sch. setzt sich für die Arbeiter ein. Er fordert, dass ein Chef für die Fehler in seinem Unternehmen geradestehen und sie nicht auf einen Mitarbeiter abschieben solle. «Sobald ein Vorgesetzter die Gewohnheit, die Schuld bei anderen Menschen allein zu suchen, aufgibt, wird er auch viel eher die volle Wahrheit erfahren; es wird keine ‹Verschwörung› mehr geben, welche die unangenehmen Sachen von ihm fern halten soll.» Das war für die damalige dogmabasierte Zeit wohl ein revolutionärer Gedanke und dass er öffentlich auf der Frontseite einer Zeitung kundgetan wurde, war bestimmt mutig.

Konservativ
Im Gegensatz dazu wird auf der Rückseite desselben Blattes in der Rubrik «Frauenwelt und Hauswirtschaft» in einer äusserst konservativen Art berichtet. Darin lässt sich die Autorin Silvia über das Äussere der Damenwelt aus und warnt ausdrücklich vor «aufs Äussere hergerichtete Puppen, hinter denen wirklich nicht viel Wertvolles steckt». Sie prangt möglichst krause Dauerwellen, Ersatzaugenbrauen, dreist rot nachgezogene Lippen, Krallennägel, kurze und enge Kleider sowie strumpflose Beine an. Sie befürchtet, dass diese jungen Frauen als besonders modern gelten und man sich künftig nur noch so sehen lassen darf, wenn man in der Gesellschaft anerkannt werden will. «Es gibt leider genug junge und ältere Adämer, die solch merkwürdigen Wesen – die doch eine richtige Schande für das weibliche Geschlecht bilden – nachlaufen, sich mit ihnen amüsieren, sie schön und begehrenswert finden.» Sie verteidigt die stilvollen, aber als altmodisch geltenden Mädchen und Frauen. Es sei ein sehr gutes Zeichen, wenn eine Frau, welche im Äusseren und Wesen ihre Würde verrate, solch hohlen Köpfen nicht gefalle. Die Autorin schiebt den modern gekleideten Mädchen die Schuld für Trennung und Scheidung zu. Es sei wichtig, dass es im Zusammenleben, in der Arbeit und in der gegenseitigen Aufopferung nicht auf den Schein ankomme. Natürlich solle eine Frau etwas auf ihr Äusseres halten. Die Kleidung solle aber anständig und gediegen bleiben. Sie ermutigt die Männer, solche Modenärrinnen zu boykottieren, sodass die Unverbesserlichen belehrt würden. Diese Äusserungen rechtfertigt sie damit, dass solche Modepüppchen nichts im Kopf hätten, also dumm seien.

Auffallend ist der Kommentar der Redaktion, welcher unter dem Artikel steht: «Das sind sehr ernste Gedanken, wert in ihrem tiefen Sinne erfasst zu werden.»

Befehl ist Befehl
Der darauffolgende Artikel «Befehl ist Befehl!» unter derselben Rubrik gibt den Zeitgeist sehr klar wieder. Darin schreibt eine ungenannte Autorin, dass damals der Mann das Sagen im Haus hatte. Auch wenn der Mann am Gesicht der Frau sehr schnell erkenne, dass er nun einen «höheren Blödsinn» gefordert habe, könne er schliesslich nicht mehr zurückkrebsen, denn «Befehl ist Befehl»! Das entschuldigt die Verfasserin damit, dass der Mann im Militär schliesslich auch viele Befehle ausführen müsse, die keinen Sinn machten. «Wir Frauen wissen, dass die wenigsten Männer, auch die allerallerbesten unter ihnen, Widerspruch ertragen.» Damals war es wohl auch so, dass die Männer eine höhere Schulbildung genossen als die Frauen, denn die Autorin schreibt weiter: «Wir wollen ehrlich zugeben, dass meistens der Mann der gebildetere Teil des Zweigespanns ist, ohne aber, dass es ihm ein Recht darauf gibt, sich für den klügeren zu halten.» Sie betont noch einmal, dass der Mann das Sagen hat und es sich zu Hause nicht lohne zu widersprechen. Im letzten Abschnitt weisst die kluge Frau dann aber den Ausweg aus dieser misslichen Lage und da erstaunt es, dass dieser Text abgedruckt wurde: «Die kluge Frau weiss das und richtet sich darnach. Sie nimmt die Anordnungen, die Wünsche, die Befehle des Gatten entgegen – und widerspricht nicht. Sie kann sich ihre eigene Meinung bilden, aber diese Meinung behält sie – im wahrsten Sinne des Wortes – für sich. Sie spricht nämlich nicht darüber, erfüllt aber ihre Pflichten, wie es ihr das Richtigste scheint. Sie steuert ihr Eheschifflein mit sicherer Hand durch alle Hindernisse. Der Mann merkt wohl, dass nicht alles genau nach seinem Befehl ausgeführt ist, sieht aber ein, ohne viel Worte darüber zu verlieren, dass auch so alles gut und recht ist, und ist zufrieden. Das ist die Hauptsache.»

Wie die Zeitungsausschnitte, welche über 70 Jahre alt sind, aus der ganzen Schweiz ins Pfarrhaus in Gstaad gelangt sind, darüber kann nur spekuliert werden. Sie zu lesen ist sehr interessant.

RÖM.-KATH. KIRCHGEMEINDE GSTAAD


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