Wo Vögel flügge werden

  06.07.2018 Saanen, Natur

Bereits das zweite Jahr kümmert sich Gasparde Grundisch in ihrer Vogelpflegestation um Singvögel. Aktuell sind zwei junge Schwalben, deren Nest auf den Boden gefallen ist, in ihrer Obhut. Sie bleiben, bis sie flügge sind.

MELANIE GERBER
Vor wenigen Tagen sind zwei junge Schwalben mit ihrem Nest auf den Boden gefallen. Zum Glück konnten sie bereits ein bisschen flattern, deshalb haben sie den Sturz auf die Steine überstanden. Nun sind sie bei Gasparde Grundisch in der Vogelpflegestation. Die Tiermedizinische Praxisassistentin hat zuerst abgeklärt, ob sie die Jungvögel wieder ins Nest zurücksetzen könnte, aber da dieses kaputt war, hat sie die Patienten zu sich genommen. Seit letztem Jahr betreibt sie die Vogelauffangstation Chalberhöni bei sich zu Hause und kümmert sich um die Jungvögel, bis diese bereit sind für den Auszug aus dem Nest.

Eine Vogelliebhaberin und Autodidaktin
Bereits als Kind interessierte sich die gebürtige Holländerin für Tiere und besonders für Vögel. Sie wurde dann doch zuerst Gemüsegärtnerin, da sie etwas lernen sollte, mit dem auch Geld zu verdienen ist. Mit 27 Jahren setzte sich aber ihre Faszination für Tiere durch und sie liess sich zur Tiermedizinischen Praxisassistentin ausbilden. Als Felix Neff seine Praxis in Saanen eröffnete, stieg auch sie mit ein. Immer mehr Kunden brachten aufgefundene Singvögel in die Tierarztpraxis und so machte Gasparde Grundisch aus ihrer Passion eine Pflegestation. Das Wissen dazu holt sie sich aus Büchern, die sich auf dem Nachttisch stapeln, aus dem Internet und von anderen Vogelpflegern. «Ich würde ja gerne eine Weiterbildung machen», sagt Grundisch, «aber es gibt einfach nichts.» Das Internet sei ein wahrer Segen. Sie habe bereits Kontakt zu sehr hilfsbereiten Menschen, die ihr Wissen gerne teilten, bis hin zu einer Vogelpflegestation in Hamburg, an die sie sich für Rat wenden könne.

Nicht jeder Vogel braucht Hilfe
Das bereits angeeignete Wissen ist gross. Gasparde Grundisch weiss, für welche Vogelart sie welches Futter bereithalten soll, wie sie Amseln dazu bringt, selber Würmer zu fangen und wie sie den Jungvögeln das Fliegen beibringen kann.

Einen grossen Haken sieht die Vogelpflegerin jedoch: Es werden auch Vögel vorbeigebracht, die gar keine Hilfe benötigen. «Es gibt Nestlinge und Ästlinge», erklärt sie. «Nestlinge werden im Nest gefüttert. Wenn sie aus dem Nest fallen, ist es wichtig zu prüfen, ob man sie zurücksetzen kann. Ästlinge sind etwas grösser, aber noch unbeholfen. Sie wagen sich schon weiter aus dem Nest hinaus, werden aber immer noch gefüttert.» Manchmal würden besorgte Passanten einen verloren aussehenden Ästling auflesen und mitbringen, in der Annahme, er sei krank und müsse gepflegt werden. Das Beste für junge Vögel sei aber immer die Pflege durch die Vogeleltern. Erst wenn diese nicht mehr gewährleistet ist oder die Jungvögel nicht in ein fremdes Nest mit gleichaltrigen Vögeln gesetzt werden können, schreitet die Pflegerin ein und ersetzt die Vogeleltern, wo sie kann.

Unterstützung des Tierschutzvereins
Nachdem die ersten gefiederten Patienten in der Tierarztpraxis in Saanen gelandet waren, bemühte sich Gasparde Grundisch um eine Bewilligung für eine Vogelpflegestation. Gar nicht einfach, wie sich herausstellen sollte. «Es gibt Bewilligungen für das Halten von Wildvögeln», erzählt sie. «Für das Aufpäppeln von Singvögeln aber eigentlich nicht.» Letztlich hat sie die Bewilligung sogar gratis bekommen, die Voliere, die ihr der Tierschutzverein zur Verfügung gestellt hat, wurde vom Wildhüter abgenommen und inzwischen muss sie das Futter auch nicht mehr aus eigener Tasche bezahlen. Die vielen Stunden Freiwilligenarbeit, die sie mit grosser Leidenschaft leistet, sollten in die Rechnung wahrscheinlich gar nicht eingeschlossen werden.

Dazu brauche es einen flexiblen Chef, lacht die Tierpflegerin. Schliesslich könne sie die Jungvögel nicht alleine zu Hause lassen, denn sie müssten regelmässig gefüttert werden. Also bringt sie sie zur Arbeit mit, was besonders für die Lernenden immer wieder ein spezielles Erlebnis ist. Und auch die Unterstützung ihres Mannes sei sehr wichtig. In der Nacht aufstehen sei zwar bei den Singvögeln kein Thema, deren Eltern würden auch schlafen, sobald es dunkel ist. Aber bei dieser Arbeit weiss sie nie, wann wieder junge Vögel in die Pflegestation Chalberhöni einziehen und viel Aufmerksamkeit brauchen, bis sie losfliegen.

Ameiseneier auf Lager
Die beiden Jungschwalben, um die sich Gasparde Grundisch gerade kümmert, haben Hunger. Sie sind in einer Kartonschachtel, die ihnen das kaputte Nest ersetzt. Behutsam nimmt die Pflegerin ein Vogelkind heraus und hält ihm mit der Pinzette ein Insekt vor den Schnabel. Der Vogel scheint etwas nervös, wartet ab und schnappt dann doch zu. «Besser wäre es, die Insekten hätten Körpertemperatur», meint Gasparde Grundisch, während sie dem jungen Vogel weitere Insekten füttert. Ihre Insekten wurden aber nicht von den Vogeleltern übergeben, sondern stammen aus dem Tiefkühler. Dort lagert die Vogelpflegerin das Futter für ihre gefiederten Gäste. Auf Lager hat sie getrocknete Ameiseneier und gefrorene Insekten, die sie je nach Vogelart verfüttert, dazu eine spezielle Paste, die sie für fast alle Arten einsetzen kann, wenn die Vögel noch sehr klein sind.

Bevor sie für das Futter vom Tierschutzverein finanziell unterstützt wurde, musste sie die Insekten dafür selber züchten. Das hiess, dass es in einem Behälter mit Essensresten fröhlich krabbelte. «Da komme dann auch ich an meine Grenzen», meint Grundisch, die sich sonst gar nicht aus der Ruhe zu bringen lassen scheint.

Futtersuche und Flugstunden
Werden die Vogeljungen grösser, müssen sie lernen, ihre Nahrung selber zu finden. Kann die Pflegerin es nicht selber vorzeigen, so schafft sie ideale Bedingungen, indem sie beispielsweise für Amseln einen Waldboden simuliert und Würmer darauf verteilt. Den Käfig eines Rotschwanzes hat sie mit einem Tuch eingepackt und mit Wiesenplankton ausgelegt. Und dann hofft sie auf den natürlichen Instinkt der Tiere. Später kommen Flugstunden dazu. Auch das kann Gasparde Grundisch nicht vorzeigen. Trotzdem haben es bis jetzt alle Jungvögel, die eine Zeit lang bei ihr gelebt haben, gelernt. Vor einem Jahr hatte sie Schwalben aufgenommen, die gerade mal einen Tag alt waren, und konnte an ihnen beobachten, wie stark die Instinkte der Tiere sind. «Sie haben alles perfekt gelernt, obwohl ich nichts vormachen konnte», staunt die Vogelpflegerin.

Und dann heisst es jeweils loslassen. Schliesslich sind einem die Tiere doch ans Herz gewachsen. «Da muss man dann einfach sachlich bleiben», so Grundisch. Schwalben setzt sie wieder in eine Kolonie aus, erwachsene Vögel dorthin, wo sie gefunden worden sind, Amseln an etwas abgelegene Orte ohne Katzen und Menschen. Mauersegler fliegen gleich selber los. Die inzwischen zutraulich gewordenen Vögel vergessen die Fehlprägung durch den Menschen schnell wieder und werden scheu. Manchmal sinniert Gasparde Grundisch dennoch, ob die Schwalben, die gerne über ihrem Haus kreisen, vielleicht diejenigen sind, die sie im letzten Jahr als Vogelkinder aufgezogen hat.

Weitere Fotos unter https://tinyurl.com/yb59szyb

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VOGEL GEFUNDEN, WAS TUN?

Findet man einen verletzten Vogel oder einen verwaisten Jungvogel, so darf man ihn weder berühren noch einfach so zur Pflege mitnehmen. Was zu tun ist, bestimmt Artikel 23 aus der Jagdverordnung:
«Als Fallwild gelten alle toten, kranken und verletzten Wildtiere oder Teile davon sowie verlassene oder verwaiste Jungtiere. Fallwild ist der Wildhüterin, dem Wildhüter oder der Kantonspolizei unverzüglich zu melden. Über dessen weitere Verwendung entscheidet das Jagdinspektorat. Fallwild darf nur unter unverzüglicher Meldung an die Wilhüterin oder den Wildhüter behändigt werden. Unverwertbares Fallwild kann der Finderin oder dem Finder überlassen werden, soweit es nicht für kantonale Zwecke verwendet wird.»
Für das Saanenland ist Wildhüter Rolf Zumbrunnen zuständig: Tel. 0800 940 100 3331.


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