Berge auf den Bildern, Bio in der Firma

  24.08.2018 Kunst

Das Leben hielt Conrad Seewer viel Spannendes bereit. Aufgewachsen in Gsteig, arbeitete er sein Leben lang als Marketingfachmann für grosse Schweizer Firmen. Seit der Pensionierung malt er – 2007 wurde er in der Gilde der Schweizer Bergmaler aufgenommen.

BLANCA BURRI
Seine Frau Edith Seewer malt abstrakt, Conrad Seewer realistisch. Obwohl er eine ganz andere Maltechnik verfolgt als seine Frau, ergänzen sich die beiden gut. «Unsere Verschiedenartigkeit gibt einen schönen Maleraustausch», begründet der gebürtige Gsteiger. Während er sich also an die Äusserlichkeiten der Motive hält, lässt sich seine Frau von den Motiven inspirieren. Wenn sie ein Bild beginnt, weiss sie selten, was es daraus geben wird. Manchmal stellt das Ehepaar gemeinsam aus. Das gibt mitunter Diskussionsstoff. «Die Leute sind jeweils ganz erstaunt, weil wir so unterschiedlich malen», lacht Conrad Seewer. Er lacht überhaupt sehr gerne. Sein helles, ansteckendes Lachen füllt nicht nur den Raum, sondern auch das Herz des Gegenübers.

In den Bergen zu Hause
Auch wenn Conrad Seewer nicht mehr in den Bergen wohnt, fühlt er sich nur dort wohl, wo er Berge sieht. «Ich glaube, das hat mit meiner Kindheit in Gsteig zu tun, als ich immer das Gefühl hatte, dass es nirgends so schön wie in Gsteig sei, wenn ich die Berge um mich herum betrachtete.» Von seinem heutigen Wohnort in Boll sieht er die Berge ebenso wie von der Ferienwohnung im Wallis. Bei ungünstigem Wetter kann er sich also bequem ans Fenster setzen und sein Lieblingsmotiv festhalten. «Ich male aber am liebsten auf dem Berg», gesteht er. Deswegen transportiert er seine Malutensilien jeweils mit der Bahn hoch, stellt sie in der Nähe der Bergstation auf und beginnt mit seiner Arbeit. «Dann vergesse ich manchmal zu trinken und zu essen», verrät er, weshalb er nach einer Malwoche meist ziemlich erledigt sei – wieder lacht der 78-Jährige über sich selbst und darüber, dass er wegen seiner Leidenschaft die Grundbedürfnisse vergisst.

Das Schöne an der Schweiz sei, dass die Landschaft bereits ein paar Meter neben der Bergstation unberührt und menschenleer ist. Wenn es einen Wetterumschwung gebe, sei es ein Leichtes, ins Bergrestaurant oder in die Gondel zu fliehen. Manchmal wagt Seewer auch den Schritt in die Stadt, was sehr spannend sei. «Letzthin habe ich mitten in Venedig gearbeitet, die Staffelei war aufgebaut und ich war ganz in meine Arbeit vertieft. Wenn sich ein Passant für meine Arbeit interessierte und mit mir reden wollte, war das unmöglich. Ich war so stark mit mir und meiner Arbeit beschäftigt, dass ich die Leute gar nicht hörte und dadurch auf keine Frage Antwort gab», stellt er fest.

Welche Perspektive darfs denn sein?
Weil es für die Malerei im Freien im Winter zu kalt ist, bleibt Conrad Seewer dann zu Hause. Im Atelier ergänzt er seine Werke, malt aus der Erinnerung oder seltener nach einem Foto. Diese Zeit braucht er auch, um Ausstellungen vorzubereiten. Je älter er wird, umso gefragter sind seine Werke. Ein Bild des Bergs Le Besson, Val d’Anniviers, wird sogar im Alpinen Museum in Bern hängen.

Wegen der vielen Bergliebhaber gibt es während den Ausstellungen manchmal auch spezielle Situationen. Manchmal bekommt der Kunstmaler nämlich zu hören, dass die eine oder andere Stelle auf dem Bild nicht stimme. «Die Kletterroute geht hinten oder eben vorne durch», heisse es dann. Einmal sagte ihm ein Betrachter, dass das Stockhorn nicht so aussehe, wie er es gemalt hatte. Dann sei das Gespräch wichtig, in dem man meistens bemerkt, dass der Maler und der Betrachter nicht von derselben Perspektive sprechen. «Während ich das Stockhorn vom Niederhorn aus gemalt habe, war der Besucher noch gar nie auf dem Niederhorn und hatte eine andere Ansicht im Gedächtnis.» Eine ähnliche Situation ergab sich, als er ein Auftragsbild malte. Bei der Übergabe sagte der Besteller, er wolle es nicht, das sei nicht sein Berg. «Daraufhin habe ich nie mehr ein Auftragbild gemalt.»

Paris–Bern–USA–Bern
Obwohl Conrad Seewer in den Bergen aufgewachsen ist und seit der Pensionierung 2005 bevorzugt Berge malt, hat er sein ganzes Berufsleben ausserhalb der Berge verbracht. «Die KV-Lehre habe ich in Bern absolviert.» Danach ging er direkt nach Paris, wo er im Job Englisch und am Abend in der Weiterbildung Französisch sprach. Nach eineinhalb Jahren kehrte er zurück nach Bern. Hier nahm er die höhere kaufmännische Gesamtschulung in Angriff. Danach zog es ihn in die USA. Dort hatte er grosses Glück: Seine Gastfamilie eröffnete ihm mit der Einsicht in grosse Unternehmen den Zugang zum Marketing. Im Anschluss jobbte er in Los Angeles und kehrte nach insgesamt zweieinhalb Jahren wieder in die Schweiz zurück. Der ehemalige Arbeitgeber Galactina (Kindernährmittel) erfuhr von seiner Rückkehr, rief ihn an, um ihn wieder in die Firma zu holen. «Ich komme nur, wenn ich im Marketing arbeiten darf», sagte er dem Vizedirektor. Seewer lacht über seine tollkühne Antwort. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Erst habe er den Aussendienst geleitet, später sei er Verantwortlicher des Marketingbereichs und Vizedirektor geworden.

Vorreiter in Sachen Bio
«In dieser Zeit begann ich mich für Bioprodukte zu interessieren», erzählt der charismatische Senior. Zu einer Zeit, als es noch fast keine biologische Landwirtschaft gab und die Produkte nur schwer zu beschaffen waren, begann Galactina, Tofuprodukte mit dem Label Bio-Knospe herzustellen. «Das allererste Bioprodukt mit dem Qualitätszeichen Knospe, das Coop in seinem Sortiment aufnahm, war die Tofuwurst von Galactina», sagt Seewer stolz. Und schon bald habe die Firma begonnen, die Herstellung aller Kindernährmittel auf Bio-Knospe umzustellen. «Ehrlicherweise habe ich das nie nur aus Überzeugung, sondern auch aus marketingstrategischer Sicht gemacht», bekennt Seewer. «Ich hatte immer das Gefühl, dass die Bio-Knospe eine grosse Zukunft hat.» Was heute zur Regel gehört, war damals knochenharte Arbeit. Es gab interne Widerstände und zu wenig zertifizierte Lieferanten. «Milch haben wir eigentlich immer genug gehabt, aber es war zum Beispiel schwierig, Bio-Knospe-Bananen zu erhalten.» Während der Umstellung auf Bio sei die Firma jedoch an Novartis verkauft worden und so habe er dort die restliche Kindernährmittellinie innerhalb von zwei Jahren auf Bio-Knospe umgestellt.

Nach seiner Frühpensionierung erhielt er aber wiederum einen Anruf. Diesmal von Biotta. Und so nahm er den Job als Marketingverantwortlicher für die Biosäfte, bis diese Firma, als er fast 65 Jahre alt war, verkauft wurde. Danach zog er sich gänzlich aus der Bioszene und aus dem Geschäftsleben zurück. Obwohl sich Seewer für Bioprodukte immer stark gemacht hat, stehen bei ihm zu Hause Bioprodukte ebenso auf dem Tisch wie konventionelle. «Wir sind keine ‹Fundis›», meint er. Wegen der erwähnten internen Widerstände habe es ihn besonders gefreut, als er viel später einmal zu hören bekam: «Hesch de scho rächt gha.»

Der Frau ist es langweilg geworden
Einer seiner Geschäftsleitungskollegen habe ihm 1995 erzählt, dass er male und zeigte ihm Bilder. «Das hat mich an meine Schulzeit erinnert, in der ich immer gerne gemalt habe.» Er habe zugesagt, einen Malkurs mit diesem Kollegen zu besuchen. «Die Ölbilder, die damals entstanden sind, sind gut gelungen, eines hängt noch immer in meiner Wohnung», strahlt er. Und so habe es ihn gepackt. «Ich habe mich während Wanderungen oft hingesetzt und Skizzen gezeichnet. Da ist es meiner Frau langweilig geworden», erzählt er gutgelaunt. Deshalb habe sie kurzerhand auch begonnen zu skizzieren.

Von der Ölmalerei hat er sich aber bald abgewendet. «Ich wollte vor Ort malen und das geht mit Öl leider schlecht.» Deshalb wandte er sich in einem langen und mühsamen Lernprozess der Aquarelltechnik zu. Durch verschiedene Malkurse bei der Gilde der Schweizer Bergmaler in Grindelwald wurde er immer sicherer und fühlt sich inzwischen sehr wohl. «Obwohl ich ein hohes Alter habe, stelle ich von Jahr zu Jahr noch immer einen Fortschritt fest», freut er sich und macht sich auf, um in die nächste Malwoche in die Walliser Berge zu verreisen.


ZUR PERSON

Conrad Seewer ist 1940 in Gsteig geboren und dort aufgewachsen. Seine Eltern führten anno dazumal die Poststelle. Seit 1981 ist er mit der ehemaligen Marketingfachfrau und Malerin Edith Seewer-Jakob verheiratet. Seit 23 Jahren wohnt er in Boll.


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