Brahms – Chorwerke in Vollendung

  17.08.2018 Kultur

«Von Tanz und Fröhlichkeit zu Trauer und Trost»: So könnte das anspruchsvolle Programm umschrieben werden, mit dem das «Ensemble Vocal de Lausanne» am vergangenen Sonntag das Publikum in der Kirche von Saanen begeisterte.

KLAUS BURKHALTER
Es war in der Tat ein gewagtes Unterfangen, ein Konzertprogramm mit so weit entfernten Inhalten anzubieten, beginnend mit tänzerischen Zigeunerweisen bis hin zu der Seligpreisung der Toten im «Deutschen Requiem». Doch in den Interpretationen dieses absoluten Spitzen-Chores erlebte man jede Faser aller dargebotenen Werke bis ins äusserste Detail, ohne inhaltlich je gestört zu sein. Welch reiches Oeuvre hat doch Johannes Brahms auch den Chören hinterlassen!

Ein weltlicher erster Teil
Der Beginn mit dem packenden Liederzyklus der «Zigeunerlieder» op.103 passte ausgezeichnet in die sommerliche Stimmung dieses Spätnachmittags. Unter der befeuernden Leitung von Daniel Reuss legte der Chor ein erstes Zeugnis seiner stupenden Ausdrucksmöglichkeiten ab, mal witzig-frech, dann sehnsuchtsvoll-flehend, immer mit klarer Diktion und äusserst ausgefeilter Dynamik. Der Pianist Simon Savoy war ein virtuoser, einfühlsamer Begleiter.

Die «Fest- und Gedenksprüche» op.109, komponiert nach 1871 zur Wiedervereinigung Deutschlands zu einem Kaiserreich, waren bestens geeignet als Übergang zum geistlichen Teil des Konzertes. Diese drei Motetten fordern von einem Chor wirklich das Äusserste, werden sie doch a cappella, teilweise sogar doppelchörig gesungen. Was das «Ensemble Vocal» hier darbot, war schlichtweg phänomenal in jeder Beziehung. Dieser Chorklang, diese Präzision und dieses Ineinanderfliessen polyfoner Linien können in dieser Qualität nur von professionellen Chören erreicht werden.

Das «Deutsche Requiem» op. 65
Die Saaner Interpretation dieses Werkes hat wohl alle Zuhörenden tief beeindruckt und bleibt nachhaltig in ihnen haften. In der Londoner Fassung für vierhändig gespieltes Klavier, hervorragend begleitet durch Céline Monnier und Pierre-François Roubaty, erreichte der Dirigent Daniel Reuss mit seinem Chor eine ergreifend tiefgründige Darstellung. Er führte seine Leute mit seiner unaufdringlichen, aber präzisen und sehr bewegten Körpersprache durch alle Hochs und Tiefs der Partitur. Er besänftigte, er trieb an, er erreichte die totale Ruhe («Selig sind, die da Leid tragen»), aber auch die überbordende Heftigkeit («Der Tod ist verschlungen in den Sieg»). Und der Chor ging auf alle Intentionen seines Chefs ein. Alle Gesichter der Ausführenden drückten die Intensität ihrer Darbietung aus. Die Sopranistin Rachel Harnisch sang ihre Botschaft mit ihrer grossen Stimme sehr klar, stark und deutlich, vielleicht fast eine Spur zu laut. Grossartig strömte die satte Bassstimme von Thomas E. Bauer dahin, der seine Priesterworte wundervoll eindringlich, getragen und weich in die Chorteile einfügte. Ebenfalls auf höchstem Niveau stand die pianistische Gestaltung, welche einen die sicher allseits bekannte Orchesterfassung völlig vergessen liess, ja, vielleicht das chorische Element noch mehr in den Vordergrund schob.

Jedenfalls zeigten die lange Stille nach dem letzten Ton, die anschliessenden begeisterten Ovationen und die vielen lobenden Worte unter den Heimkehrern, dass dieses Konzert zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals gehört.


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