Brassquintett-Geschichte «in a nutshell» ...

  14.08.2018 Kultur

… wurde vergangenen Samstag zum musikalischen Lunch dargeboten. Auf der Alp Züneweid oberhalb von Lauenen spielte das Gstaad Festival Brass Quintett (GFB) ein Alpkonzert der besonderen Art und servierte musikalische Höhenflüge aus vier Jahrhunderten auf 1600 Metern über Meer.

FRANZISKA RAAFLAUB
Postkartenwetter, die Gipfel von Wild-, Gelten- und Spitzhorn im Hintergrund, eine angenehme Brise und übermütiges Grillenzirpen im Gras: Die Rahmenbedingungen für das Alpkonzert «Spirit of Music, Passion for Sound» scheinen zu Papier gebracht fast schon kitschig. Bereits bei der Anfahrt vom Dörfli auf die Alp zeichnete sich mit jeder Kurve ab, dass dieses Matinée-Konzert ein ganz besonderer optischer und akustischer Genuss werden dürfte.

Anachronistisch durch vier Jahrhunderte
Diese Erwartung wurde nicht enttäuscht. Olivier Darbellay, Immanuel Richter, Daniel Schädeli, David Bruchez und Niklaus Egg hielten ein abwechslungsreiches, leicht verdauliches Programm bereit, welches sowohl Brassquintett-Neulingen als auch -Kenner/innen viel Freude bereitete. Als «Amuse-Oreille» präsentierte die Formation des GFB den Einzug der Königin von Saba aus dem Oratorium «Salomon» von Georg Friedrich Händel. Obwohl «nur» zu Fünft musiziert wurde, konnte man sich die Überlieferung des pompösen Staatsbesuchs der arabischen Königin mit grosser Entourage sowie dem schweren Gepäck mit 120 Zentnern Gold, Sandelholz und Gewürzen lebhaft vorstellen.

Das Gstaad Festival Brass ist eine Formation, die im vergangenen Jahr aus dem Gstaad Festival Orchestra heraus entstanden ist. Sie spielt in variabler Geometrie: manchmal zu Zehnt, zu Dritt oder wie am letzten Wochenende zu Fünft. Der Hornist des Ensembles, Olivier Darbellay, übernahm die Moderation des Konzertes und ergänzte die musikalische Kommunikation zum Publikum mit unterhaltsamen Anekdoten und viel Wissenswertem zur Blasmusik. Er beschrieb das Brassquintett als klangliche Zusammensetzung aus drei Engelsstimmen in Form von Posaune und Trompeten, einem Jäger als «Signalquelle» am Horn und dem Gladiator an der Tuba. Formen Letzterer sind übrigens bereits in der römischen Antike überliefert, was auch die lateinische Herkunft der Bezeichnung erklärt: Tuba leitet sich vom Begriff «tubus» ab und bezeichnet eine (grosse) Röhre. Damit ist sie das erste bekannte aus Metall gefertigte Instrument. Dieser bunte Klangmix inspirierte zahlreiche Musikschaffende; fast jeder namhafte Komponist widmete der Quintettbesetzung eines oder gar mehrere Werke. Dementsprechend reichhaltig war das Angebot, aus der das GFB sein Konzertrepertoire zusammenstellen konnte. Originell gestaltet kam überdies die Reihenfolge des Musikmenüs daher: Nicht zeitlich, sondern stilistisch geordnet wurden verschiedene Werke aus aller Welt dargeboten.

Sowjet-Jazz, Folklore und Musical
Mit dem zweiten Stück ging es vom 18. zurück ins 17. Jahrhundert und von Jerusalem in die Lombardei. Mit dem Tanz «Canzon Bergamasca» aus den «Ludici musici» von Samuel Scheidt folgte eine frühbarocke Komposition, welche einen traditionellen, lüpfigen Bauerntanz aus dem italienischen Bergamo porträtiert.

Als Kontrast zu diesem geradtaktigen, durchstrukturierten Werk folgte ein «New Orleans Funeral Jazz Standard» aus dem 20. Jahrhundert. Diese Bezeichnung steht für eine musikalische Bestattungszeremonie aus New Orleans, eine der bedeutendsten Zentren der Jazzmusik. Interpretiert wurde der wohl meistgespielte Vertreter dieser Jazzgattung: «Just a closer walk with thee». Der langsame Einstieg bietet Raum für Nostalgie und Trauer um den Verstorbenen; sukzessive kehrt aber mehr Freude ein und damit Platz, um das Leben zu feiern. Ein Fest spielte sich in der Tat auf der Open-Air-Alpen-Bühne ab; Flatterzungen im ausgelassenen Swing-Tempo vermittelten eine geballte Ladung Lebensfreude. Beim Jazz blieb es auch mit der darauffolgenden Komposition, wobei diese weniger spirituell, sondern eher politisch gefärbt war: Der «Galop» von Dmitri Schostakowitsch karikaturiert Bürokratie und Korruption der ehemaligen Sowjetunion. Einen wilden Ritt hatten sich die fünf Bläser vorgenommen; sie beendeten das Stück nach nur knapp einer Minute und 30 Sekunden, was womöglich einem neuen Weltrekord gleichkommt – es gibt nämlich kaum Aufnahmen, die weniger als zwei Minuten dauern.

Um nach dieser sportlichen Leistung wieder etwas zu Atem zu kommen, standen ruhigere Klänge im Zentrum einer Komposition, die man in diesem Rahmen wohl nicht unbedingt im Programm erwartet hätte: Der Satz «Carillon» aus Jean Daetwylers Suite für Alphorn und Brassquartett sorgte für heimatliche Klänge. Als Solist trat Olivier Darbellay auf, wobei sein Alphorn eine Überraschung darstellte: Es war nicht aus Holz, sondern aus Karbon gefertigt. 100% Swiss Made, von einem Schiffsbauer in Yverdon konzipiert, überzeugt das Hightech-Horn klanglich und lässt sich überdies ganz pragmatisch zusammenklappen.

Von der Bergwiese ging es sodann in zwei Grossstädte mit unterschiedlichen Liebesgeschichten: Ein Porträt von Paris zeichnete das GFB-Quintett mit den drei Postkarten «Dans la Rue», «Le Flirt» und «Le Cabaret» des Schweizer Komponisten Jean-François Michel. Das geschäftige New York wurde in drei fröhlichen Sätzen aus Leonard Bernsteins «West Side Story» gezeigt.

Als letzter offizieller Programmpunkt erklang der bekannte Ragtime «It’s a plenty». Der Begriff des Genres setzt sich aus den Worten «ragged» und «time» zusammen, was auf deutsch so viel wie «gerissener Rhythmus» bedeutet und einen Bruch zum klassischen geradtaktigen 4/4- oder 6/8-System markiert. Bevor die fantastischen Fünf in die wohlverdiente Pause entlassen wurden, nahmen sie sich als Zugabe noch das Finale aus «Wilhelm Tell» von Gioachino Rossini vor – gewiss ein tollkühnes Unterfangen in dieser Besetzung, welches vom Publikum mit grosser Begeisterung gewürdigt wurde. Olivier Darbellay schloss seine Moderation mit einer letzten Anekdote, passend zum anschliessenden Mittagessen: Gioachino Rossini ging im Alter von 38 in den Ruhestand und wurde Koch.


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