Die Alpen im Tschaikowsky-Rausch

  28.08.2018 Gstaad, Kultur

Während es am Samstag vor dem Zelt in Gstaad draussen unwirtlich regnerisch war, vermittelten der Dirigent Valery Gergiev mit dem Mariinsky Orchestra St. Petersburg und der 17-jährige, faszinierende Geiger Daniel Lozakovich Einblick in eine andere Welt. Die musikalischen Phantasien von Tschaikowsky berauschten zwei Stunden lang die Gäste des Menuhin Festivals.

LOTTE BRENNER
Der Tschaikowsky-Abend bestand aus dem Violinkonzert D-Dur, op. 35 und der sogenannten «Manfred-Sinfonie» h-Moll, op. 58. Prachtvolle Bläser, wunderbare Streicher, zwei Harfen und ganz tolle Perkussionisten erzählten die Geschichte von Manfred, der von Reue und Zweifeln geplagt in den Alpen umherirrt, bis ihm im Regenbogen eines sprühenden Wasserfalls die Alpenfee erscheint. Valery Gergiev dirigiert ohne Stab. Seine beiden Hände charakterisieren das Geschehen feinfühlig, flink und präzis. Nach einer friedlichen Pastorale, in der sich träumerisch verweilen lässt, führt der Schlusssatz dann in Ahrimans Palast. Manfred erscheint inmitten des Bacchanals. Astartes Geist wird beschworen. Astarte verspricht ihm das Ende seiner irdischen Qualen und sagt ihm den Tod voraus. Mit dieser rührenden Geschichte, aufgeführt von einem Weltklasse-Orchester mit seinem hervorragenden Dirigenten, wurde wieder einmal ein Höhepunkt innerhalb des Saison-Mottos «Les Alpes» erreicht. Den grossen Applaus quittierte das Orchester mit dem Adagio aus der «Nussknackersuite».

Die Kraft der Interpretation
Sehr romantisch, aber virtuos anspruchsvoll ist das Violinkonzert, das der junge Geiger Daniel Lozakovich bestechend musikalisch interpretierte. Hingebungsvoll gab er sich den orchestralen Wogen hin, jubilierte über die Pizzicati hinweg und schmerzhaft schön fügte er sich in die Melancholie des zweiten Satzes, die durch ein klares Flötenmotiv erhellt und durch das mächtige Orchester filigran, zart und leise erschauern liess. Explosiv, aber keineswegs hart, mit wilden Ausschweifungen und Leidenschaft, schloss das eigenwüchsige Tschaikowsky-Werk, dessen Interpretation durch Weichheit, Geschmeidigkeit und überaus virtuoser Präzision bestach. Der Violinist bedankte sich mit einer «Alemanne» von Johann Sebastian Bach und setzte damit das Publikum nochmals in tiefe Versunkenheit. Am Tag zuvor spielte der Pianist Denis Matsuev mit dem gleichen Orchester und demselben Dirigenten Tschaikowskis Klavierkonzert. Auf Nachfrage beim Intendanten Christoph Müller war zu erfahren, dass die zwei Solistenkonzerte mit dem gleichen Orchester völlig anders interpretiert wurden. Beide von Peter Tschaikowsky: einmal machtvoll, kräftig – einmal blumig zart, hauchdünn. Und genau darin liegt die Kraft der Interpretation, die es vollbringt, dass ein Werk, das vor mehr als hundert Jahren komponiert wurde, immer wieder, Ton um Ton, mit Spannung verfolgt wird.


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