Ein Feuerwerk der etwas anderen Art

  07.08.2018 Kultur

Unter der abwechselnden Leitung von Dirigentinnen und Dirigenten der Gstaad Conducting Academy musizierte das Gstaad Festival Kammerorchester alleine und zusammen mit den Solistinnen Beatrice Rana und Lucienne Renaudin Vary. Eingeleitet wurde der Festival-Konzertabend von letztem Donnerstag in der Kirche Saanen wiederum von der Oberländer Frauen-Jodlergruppe.

ÇETIN KÖKSAL
Vielleicht hatte der jugendliche, enthusiastisch von den Schweizer Alpen beeindruckte Felix Mendelssohn mit seinem Zitat «Alle Schweizer Landleute können jodeln» nicht nur übertrieben. Um 1822 war der Jodel weiter verbreitet als heute und landauf landab buchstäblich in aller Munde, doch so wie die Frauen der Oberländer Jodelgruppe konnten mit grösster Wahrscheinlichkeit auch damals nur einige wenige diese Kunst ausüben. Wie am Sonntagskonzert vom 29. Juli führten die Jodlerinnen die Zuhörer mit ihrem schönen Gesang an eine der beiden «Schweizer»- Streichersinfonien Mendelssohns heran.

Sehr gutes Orchester mit vielen Chefs
Dieses Mal war es die Neunte in c-Moll mit dem im dritten Satz von einem Jodel inspirierten Trio. Von Satz zu Satz alternierend, holten die talentierten Nachwuchsdirigenten und -dirigentinnen jeweils Erstaunliches aus dem Orchester heraus. Jeder setzte die Akzente etwas anders, nuancierte persönlich, ohne jedoch jemals den gegebenen Rahmen der Komponisten zugunsten seiner Eitelkeit zu überschreiten. Dem Zuhörer bot sich dadurch das seltene Erlebnis, den ganzen Konzertabend hindurch von Satz zu Satz eine kleine Interpretationsüberraschung erleben zu dürfen. Möglich machte dies natürlich erst die motivierte Kooperation und Flexibilität des Gstaad Festival Kammerorchesters. Offen, neugierig und mit jugendlicher Frische arbeiteten die Musiker mit den vielen verschiedenen Chefs zusammen. Man sollte die Herausforderung keinesfalls unterschätzen, sich während eines so langen Konzerts immer wieder auf eine neue Leitung einzulassen. Den Orchestermusikern ist dies mit Bravour gelungen. Bis zum letzten gespielten Ton der in der tschechischen Hauptstadt uraufgeführten «Prager»-Sinfonie Nr. 38 von Mozart überzeugte das Gstaad Festival Kammerorchester mit fühlbarer Spielfreude, Genauigkeit und einem harmonischen Miteinander der Register. An dieser abgelieferten Qualität könnte sich so manch arriviertes Orchester ein Beispiel nehmen …

Atemberaubende Brillanz und charmante Virtuosität
Bemerkenswert waren auch die beiden jungen Solistinnen. Bemerkenswert deshalb, weil sich ihre so unterschiedlichen Charaktere bereits am Anfang ihrer hoffentlich noch langen Entwicklung in den Interpretationen manifestierten. Die in sich ruhende Beatrice Rana zog den Zuhörer mit ihrer jetzt schon enormen Präsenz, Kraft und überragenden Virtuosität in den Bann. Beethovens «gefürchtete» Läufe des 4. Klavierkonzerts meisterte die Pianistin mit einer Respekt einflössenden Perfektion und Brillanz. Dazu jubilierten die Bläser des Orchesters auf nicht minder hohem Niveau. Im Andante con moto zeigte sich Beatrice Rana dann aber passend pianistisch zurückhaltend und bewegte mit sehr intimem Spiel, während das Orchester mit seinen düsteren Bässen dominierte – ganz in Beethovens Sinn. Die quirlige Lucienne Renaudin Vary bezauberte hingegen mit einer erfrischenden Leichtigkeit des Spiels, ohne aber in die Oberflächlichkeit abzuschweifen. Ihrer Trompete entlockte sie einen klaren und dennoch warmen Klang, was besonders im ersten und zweiten Satz von Hummels wohl berühmtestem Werk sehr schön zum Ausdruck kam. Eine besondere Erwähnung verdient hier das gelungene Frage- und Antwortspiel zwischen der Solistin und dem ersten Oboisten des Gstaad Festival Kammerorchesters. Lucienne Renaudin Varys Musikliebe gilt ebenso dem Jazz. Eine kleine Kostprobe erhielt das Publikum nach tosendem Applaus in Form einer entsprechenden Zugabe.

Abschliessend darf man freudig staunend zur Kenntnis nehmen, auf welch (beängstigend) hohem Niveau sich die heutigen Nachwuchskünstler bewegen. Den einen oder anderen Teilnehmer der Gstaad Conducting Academy wird man bestimmt einmal auf grosser Bühne wiedersehen. Es bleibt zu hoffen, dass die erfreuliche Geschlechterparität die für Dirigenten und Dirigentinnen übliche «Ochsentour» überstehen wird, denn das bis anhin gewohnte Bild des fast ausschliesslich männlichen Chefdirigenten ist definitiv nicht mehr zeitgemäss.


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