Erderwärmung? Von Eigenverantwortung keine Spur

  31.08.2018 Leserbeitrag

Trocken und warm: Das liebt man hierzulande im Sommer. Doch dieses Jahr war es nicht trocken und warm, sondern dürr und heiss. Jene, die den Klimawandel als Hirngespinst abtun, sind etwas leiser geworden. Die Extremwetterlagen häufen sich, die Warnungen der Klimawissenschaftler werden eindringlicher. Die internationale Gemeinschaft hat mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 reagiert. Damit soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Mit der Umsetzung hapert es allerdings. Und die USA sind vor etwas mehr als einem Jahr aus dem Vertrag ausgestiegen.
Immerhin: Die Staatenwelt hat die mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme zumindest formell anerkannt. Am Verhalten der Menschen hat sich dagegen kaum etwas geändert. Weitermachen wie bisher, so scheint das Motto zu lauten, wie ein kurzer Blick in die Welt zeigt. Global steigt der Autobestand jährlich um drei bis vier Prozent und wächst damit dreimal schneller als die Weltbevölkerung. Dabei beträgt der Anteil des Verkehrs am Ausstoss von CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen rund ein Viertel. Ferienreisen und generell Freizeitverkehr machen einen Grossteil des wachsenden Verkehrs aus. Die Fluggesellschaften haben nie zuvor so viele Passagiere befördert wie 2017: Ihre Zahl stieg im Vergleich zu 2016 um 7,6 Prozent auf 4,1 Milliarden. Die Luftfahrtindustrie rechnet auch für die Zukunft mit einem gewaltigen Wachstum: Schon in 15 Jahren soll sich die Passagierzahl verdoppeln. Und verdoppeln soll sich in 20 Jahren auch die globale Flugzeugflotte.
Steil nach oben geht es auch mit dem Kreuzfahrtgeschäft, die Nachfrage steigt weltweit stetig: Von 2016 auf 2017 ist die Passagierzahl auf 25,8 Millionen gestiegen, für das laufende Jahr rechnet man bereits mit 28 Millionen. Dabei sind Kreuzfahrtschiffe wahre Dreckschleudern: Noch immer fahren sie auf dem offenen Meer meist mit Schweröl, das einen besonders giftigen Cocktail hinterlässt, und pusten pro Passagierkilometer mehr CO2 in die Luft als Flugzeuge. Zudem peilen die Kreuzfahrtkolosse immer entlegenere, immer extremere Ziele an, etwa in der Arktis oder in der Antarktis. Dort können die Schiffstouristinnen und -touristen dann den Klimawandel erleben, den sie mit ihrem Ferien- und Freizeitverhalten mitverursachen.
Eigenverantwortung? Fehlanzeige. Auch bei der anstehenden Beratung des CO2-Gesetzes im eidgenössischen Parlament wird wohl von diversen Politikerinnen und Politikern die Eigenverantwortung beschworen werden: Eigenverantwortung des Einzelnen, Eigenverantwortung der Wirtschaft – nur eben, sie funktioniert suboptimal. Einige werden wohl darauf hinweisen, dass die Schweiz nicht die grösste Klimasünderin sei und man besser auf die Massnahmen der ganz Grossen warte. Richtig ist: Der Anteil der Schweizer Emissionen am globalen CO2-Ausstoss ist in der Tat minimal. Doch gerade in den Alpen liegt die Klimaerwärmung mit plus zwei Grad deutlich über dem globalen Durchschnitt von einem Grad in den vergangenen 150 Jahren. Deshalb darf die Schweiz mit einer abwartenden Haltung oder einem zahnlosen CO2-Gesetz der Welt kein falsches Signal senden, sondern sollte eine Vorreiterrolle im Klimaschutz übernehmen. Mit einem griffigen Gesetz können die Politikerinnen und Politiker zeigen, dass sie akute Bedrohungen ernst nehmen und in langfristiges Handeln übersetzen können. Und sie können unterstreichen, dass sie an einer globalen Lösung interessiert sind. Denn wenn jeder Staat die Verantwortung bei anderen sucht, kollabieren die kollektiven Anstrengungen.
Die Probleme unserer Zivilisation sind längst globalisiert. Und wie kaum ein anderer Politikbereich ist die Klimapolitik auf international koordiniertes Vorgehen angewiesen, weil das Klima keine Staatsgrenzen kennt. Wer hier in nationalen oder gar nationalistischen Kriterien denkt, wer die Ideologie der Eigenverantwortung als Ersatz für kraftvolles staatliches und supranationales Agieren versteht, handelt verantwortungslos.

JÜRG MÜLLER
[email protected]


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