Es besteht eine «gewisse» Rechtssicherheit beim Zweitwohnungsgesetz

  24.08.2018 Saanen

Am Dienstag referierten zwei Juristen zum Zweitwohnungsgesetz und Regierungsstatthalter Michael Teuscher sprach aus der Praxis.

ANITA MOSER

Die Annahme der Zweitwohnungs-Initiative am 11. März 2012 hat hohe Wellen geschlagen. Lange herrschte Unklarheit, mit dem neuen Bundesgesetz herrscht nun Rechtssicherheit – zumindest eine gewisse. Mehr als 130 Interessierte, Anwälte, Planer, Architekten, Bauherren und Interessierte aus der Bevölkerung versammelten sich am vergangenen Dienstag im Landhaus. Referenten waren die beiden Fürsprecher Peter Perren und Michael Pflüger sowie Regierungsstatthalter Michael Teuscher. Die beiden Fürsprecher waren in der Arbeitsgruppe, welche das Gesetz ausgearbeitet hat, Michael Teuscher hat auf Kantonsebene mitgewirkt.

Rechtssicherheit seit 1. Januar 2017
Die Gemeinde Saanen habe – wie andere Gemeinden auch – schon vor der ominösen Abstimmung vom 11. März 2012 gewisse Einschränkungen erlassen, betonte Gemeinderat Emanuel Raaflaub. «Dazumal war das gut, heute holt es uns ein», so Raaflaub. «Die Wohnungen mit Einschränkungen bleiben eingeschränkt, Wohnungen, welche wir selber nutzen und die keine Auflage im Grundbuch haben, sind grundsätzlich Zweitwohnungen.» Nach der Abstimmung habe es in der Rechtsprechung eine gewisse Orientierungslosigkeit gegeben. «Seit 1. Januar 2017 haben wir Rechtssicherheit.» Die Anwendung des Rechts und Gesetzes sei meistens die Auslegung vor Gericht. «Diese sagen, wie die Gesetze ausgelegt werden.»

Eine Rechtssicherheit bestehe nur zum Teil, sagte Michael Pflüger. «Zum Teil weiss man noch nicht, wie die teilweise sehr kryptischen Begriffe im Gesetz wirklich zu verstehen sind.»

Was ist eine Wohnung?
«Das Gesetz definiert den Begriff der Wohnung. Wichtig ist der Begriff vor allem auch für bestehende Wohnungen, die altrechtlichen Wohnungen, welche umgenutzt werden können», so Pflüger. Es gebe Gebäude oder Räumlichkeiten, welche den Wohnungsbegriff gar nicht erfüllten, z.B. Garagen oder Ställe. Zu einer Wohnung gehöre zum Beispiel eine Kocheinrichtung. Eine Erstwohnung muss per Gesetz von mindestens einer Person bewohnt sein, welche in der Gemeinde ihren registerrechtlichen Wohnsitz hat. Das sei dort, «wo sich eine Person in der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, um dort den Mittelpunkt ihres Lebens zu begründen.»

Per Definition gibt es auch Wohnungen, die einer Erstwohnung gleichgestellt sind. Das seien beispielsweise Wohnungen, welche zu Erwerbs- oder Ausbildungszwecken dauernd bewohnt werden, z.B. von Wochenaufenthaltern, erklärte Pflüger.

Und jede Wohnung, welche keine Erstwohnung oder keine einer Erstwohnung gleichgestellte Wohnung ist, ist eine Zweitwohnung; klassische Zweitwohnungen, die nur wenige Wochen pro Jahr benutzt werden (kalte Betten) und bewirtschaftete Zweitwohnungen (warme Betten). «Die Initiative hatte vor allem die kalten Bett im Visier», so Pflüger.

Ausnahmen sind möglich
In Gemeinden wie Saanen, welche die 20%-Marke überschritten haben, dürfen grundsätzlich keine neuen Zweitwohnungen mehr erstellt oder umgenutzt werden. Bewilligt werden können nur noch Erstwohnungen oder Wohnungen, welche einer Erstwohnung gleichgestellt sind. Es gebe aber Ausnahmen, so Pflüger: « Trotz dem Grundsatzverbot dürfen weiterhin Wohnungen erstellt werden, zum Beispiel die sogenannten touristisch bewirtschafteten Zweitwohnungen (warme Betten) – wenn nachgewiesen wird, dass sie mit genügender Intensität belegt werden.» Und in ganz bestimmten Sonderfällen könne man auch noch klassische, kalte Zweitwohnungen erstellen, zum Beispiel in geschützten, ortsprägenden Bauten, wenn nachgewiesen werde, dass eine Vermietung nicht realistisch sei.

Eintrag im Grundbuch
Erstwohnungen dürfen grundsätzlich bewilligt und neu gebaut werden. Als Baugesuchsteller müsse man aber die Nutzung deklarieren und bekomme mit der Baubewilligung eine öffentlichrechtliche Nutzungsbeschränkung, welche im Grundbuch eingetragen werde. «Keine Rolle spielt das Eigentum», hielt Pflüger fest. Das sei in vielen anderen Alpenländern mit ähnlichen Problematiken anders. «Wem die Wohnung gehört, ist egal. Auch ein Unterländer kann eine Erstwohnung kaufen, er darf sie aber nicht selber bewohnen, wenn er nicht den Wohnsitz in der Gemeinde hat.» In diesem Fall müsse er sie zum Beispiel an Ortsansässige vermieten.

Angst vor Rechtsmissbrauch
Allerdings, räumte Pflüger ein, sei es nicht mehr so einfach, eine Erstwohnung zu bewilligen. Insbesondere Umweltverbände befürchteten Rechtsmissbrauch. «Die Bewilligungsbehörde muss genauer hinschauen», betonte Pflüger. Damit eine Erstwohnung noch bewilligt werden kann, müsse gemäss einem neuen Bundesgerichtsentscheid entweder von Anfang an der Baubewilligungsbehörde offengelegt werden, wer die Wohnung bewohnen werde, oder die Gemeinde müsse prüfen, ob eine genügende Nachfrage vorhanden sei. «Das ist eine neue Linie der Rechtsprechung, die relativ viele Fragen offen lässt.» Er sei gespannt, wie es in Saanen weitergehe, so Pflüger.

Bewilligbar seien touristisch bewirtschaftet Wohnungen. «Es muss sichergestellt sein, dass die Betten genügend warm sind.» Eine Dauervermietung sei nicht erlaubt. Zahlreiche Voraussetzungen müssen erfüllt sein für eine Bewilligung von bewirtschafteten Wohnungen im Rahmen eines strukturierten Beherbergungsbetriebs.

Kantonales und kommunales Recht
Fürsprecher Peter Perren gab einen Überblick über die altrechtlichen Wohnungen. «Wichtig: In jedem Fall sind strengere Vorschriften der Kantone oder der Gemeinden zu beachten. Theoretisch können sie auch Umnutzung strenger handhaben», so Perren.

Stichtag sei der 11. März 2012. Alle Wohnungen, welche vorher bestanden oder bewilligt waren, gelten als altrechtliche Wohnungen. «Diese sind relativ frei, sie können genutzt werden, wie man will, ausser die Gemeinde hat strengere Vorschriften betreffend Erstwohnungsanteil usw.» Innerhalb der Bauzone seien Erweiterungen bis maximal 30% möglich, aber keine zusätzlichen Wohnungen, so Perren. Grössere Erweiterungen hätten zur Folge, dass die Wohnung als Erstwohnung oder als touristisch bewirtschaftete Zweitwohnung genutzt und dies als Auflage im Grundbuch eingetragen werden müsse.

Missbrauch verhindern
Missbrauch zu verhindern, sei Aufgabe der Kantone, so Perren. Und oft schiebe der Kanton die Verantwortung auf die Gemeinden ab. Der Kanton Bern nehme jene Gemeinden, welche im kantonalen Richtplan bezeichnet seien, in die Pflicht – darunter auch die Gemeinde Saanen. «Die Gemeinden müssen die Entwicklung beobachten, die Augen offen haben, ob Gefahr von Missbrauch besteht und allenfalls geeignete Massnahmen ergreifen», erklärte der Jurist. «Gemeinden könnten unter Umständen eine Erstwohnung, die als Zweitwohnung genutzt wird, zwangsvermieten an Einheimische», so Perren. Allerdings sei ein solcher Fall noch nie vorgekommen.

Das Gesetz sieht auch Strafen vor. So kann ein Wohnungsbesitzer wegen falschen Angaben unter Umständen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

Näher hinschauen
Für die Bewilligungsbehörde sei es am einfachsten, wenn ein Baugesuch vollständig ist, samt Nutzung, betonte Regierungsstatthalter Michael Teuscher. «Die Nutzungsauflage wird automatisch von der Bewilligungsbehörde im Grundbuch eingetragen.» Beim Ausbau von bestehenden Wohnungen gebe es oft unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Ausgangsgrösse. Sie bestimmt den erlaubten Ausbau von 30%. Obere Instanzen seien knallhart, so Teuscher. «Wir hatten einen Fall. Die obere Instanz hat einen Raum, der mit der Ziehleiter erreicht werden kann und von den Kindern genutzt wird, nicht als Wohnraum, sondern als Estrich deklariert und die Ausgangsgrösse nach unten korrigiert.» Komme man sehr nah an die 30%, könne es sein, dass die Bewilligungsbehörde zustimme, die obere Instanz aber aufgrund einer Einsprache die bestehende Fläche anders definiere und zu einer anderen Ausgangsgrösse komme. «Wir haben noch wenig Erfahrung, die Praxis wird es zeigen, wie man damit umgeht.»

Erfahrungen habe man bei den sogenannten strukturierten Beherbergungsbetrieben. «Es gibt ein bewilligtes Projekt, das läuft», so Teuscher. Die neun Wohnungen in einem Haus seien an Private verkauft, würden aber gemanagt von einer Firma. «Die Wohnungen müssen vermietet werden.» Das Projekt sei nahe an einem Hotel Garni, es habe ein Rezeption und sei angeschlossen an ein Hotel mit entsprechenden Dienstleistungen. «Das kann auch in Zukunft eine Möglichkeit sein für kleinere Hotelbetriebe», so Teuscher. «Im Moment läuft es recht gut. Die Leute kaufen in erster Linie keine Ferienwohnung, sondern sehen es als Investment.»

Für mehr Kopfzerbrechen sorgten hingegen Neubauten, Umnutzungen und Umbauten von Hotels. Man habe noch wenig Erfahrung. Zum Zweitwohnungsgesetz kämen noch die Regelungen der Gemeinde und möglicherweise noch die Lex.

Bis jetzt habe man noch nicht die grossen Keule schwingen müssen, sagte Teuscher zum Vollzug. «Als Aufsichtsbehörde haben wir mit der Gemeinde zusammen meistens Lösungen gefunden.»

Die Praxis wird es zeigen
«Das Gesetz ist auf dem Tisch. Im Moment wird es je nach Interpretation ausgelegt. In Streitfällen wird das Gericht entscheiden», so das Fazit von Emanuel Raaflaub. «Das Raumplanungsgesetz trifft uns mehr», ist der Gemeinderat überzeugt. «Mit dem Zweitwohnungsgesetz kann man sich irgendwann arrangieren.» Das Raumplanungsgesetz sei zurzeit in der zweiten Runde im Parlament. Zu gegebener Zeit werde man im selben Rahmen über die Auswirkungen informieren, so Raaflaub.

Die Unterlagen kann man als PDF herunterladen unter saanen.ch/de/aktuelles


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