Grimaud und van Zweden: Liebeserklärung an Brahms

  14.08.2018 Gstaad, Kultur

Das erste grosse Zeltkonzert des diesjährigen Gstaad Menuhin Festivals hielt Ggrosses bereit. Hélène Grimaud zauberte am Klavier. Jaap van Zweden und das Gstaad Festival Orchestra brillierten ebenfalls.

BLANCA BURRI
Wenn man am ersten Festivalkonzert im Zelt am vergangenen Freitagabend etwas aussetzen wollte, so war das nur in einem Punkt möglich: Während einer der ersten langsamen Soli der Pianistin drehten irgendwo in der Nähe die Rotoren eines Helikopters und lenkten das Publikum ab. Das Fluggerät entschwand aber nach wenigen Minuten und so konnte man sich wieder den einzigartigen Klängen hingeben, welche Hélène Grimaud den Zuhörern schenkte. Einmal mehr setzte sie durch schwere, breite Akkorde Ausrufezeichen, unterstrich damit das Aufbrausen des Orchesters und diktierte gleichzeitig die tumultartige Stimmung im Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 von Johannes Brahms. Im nächsten Moment setzte sie zu einem filigranen, aber gleichwohl akzentuierten Reigen einer Tonreihe an, in der man sich in einer Retrospektive wähnte. Bilder einer Hochzeit, einer Taufe und das Aufwachsen der Kinder gingen einen durch den Kopf. Später sah man Bilder der eigenen betagten Eltern, deren Leben sich dem Ende nähern, bis das Orchester im Einklang mit der Pianistin nur noch den Herzschlag spielt, der immer leiser wird und schliesslich ganz verstummt.

Vielschichtig, manchmal aufbrausend, dann wieder versöhnlich, oft verspielt und immer im perfekten Kollektiv mit dem Orchester brillierte Hélène Grimaud ein weiteres Mal. Das voll besetzte Zelt dankte es ihr mit warmem Applaus, der nicht nachliess, bis sie eine Zugabe spielte. Das Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden und der Pianistin Hélène Grimaud ist ein Erfolgsgespann, dessen Band durch die Liebe zu Brahms unterstrichen wird.

Weltklasse
Nach diesem fulminanten Auftakt im Festivalzelt fragte sich der eine oder andere in der Pause, ob das Klavierkonzert mit der Sinfonie Nor. 1 c-Moll op. 68, welche im zweiten Teil gespielt wurde, überhaupt getoppt werden konnte. Daran liess das Gstaad Festival Orchestra wiederum unter den Dirigentenstab von Jaap van Zweden ab dem ersten Ton keinen Zweifel. Die Zuhörer wurden sofort von der in langen 21 Jahren geschrieben Sinfonie von Johannes Brahms gefangen. Sie wirkte weniger vielschichtig als das Klavierkonzert, dafür aber filigraner, zarter und zerbrechlicher. Ihre einzigartige Dynamik entstand durch die Tempiwechsel, die melancholischen Einlagen und die an viel Ruhm erinnernden grossen Momente. Ohne Effekthascherei gelang es Jaap van Zweden, jeden Ton des zuweilen berührend stillen Stückes perfekt zu setzen. Besonders aufgefallen sind der Klarinettist und der Oboist, welche mit Anmut und warmen, eindringlichen Klängen zum Träumen verführten.

Die Anforderungen sind hoch
Als Zuhörer hatte man manchmal das Gefühl, Jaap van Zweden habe einen Rolls Royce unter seinen Händen. Egal, was er vom Orchester verlangte, es lieferte. Manchmal drückte er seine Ideen tänzelnd und händeringend aus, dann wieder stand er militärisch und stramm auf dem Podest. Ein Musiker sagte nach dem Konzert: «Jaap van Zweden fordert sehr viel von uns, aber es macht grossen Spass, mit ihm zu arbeiten.» Das spürte man auch unmittelbar nach dem Konzert, als Jaap van Zweden, statt sich in den Mittelpunkt zu stellen, sich bei den Musikern bedankte und ihnen gratulierte.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote