Neu belebtes Filmereignis

  24.08.2018 Kultur, Musik

Das Festivalzelt als Filmtempel: Wenn der Kultfilm «West Side Story» in seiner Originalversion von 1961 auf Grossleinwand ausgestrahlt wird und dazu Bernsteins Musik, vom Basler Sinfonieorchester gespielt, live erklingt, verbinden sich zwei Komponenten zu einer Abendveranstaltung voller Emotionen.

KLAUS BURKHALTER
Für viele Anwesende ist es bestimmt ein ersehntes Wiedersehen mit diesem Oscar-gekrönten Film, dem auch dank der hinreissenden Musik von Leonard Bernstein ein wahrer Siegeszug durch alle Kinosäle der Welt gelungen ist. Das Musical «West Side Story» war schon bei seiner Uraufführung in New York mit Begeisterung aufgenommen worden, widerspiegelte es doch die damalige Situation rivalisierender Jugendgangs und die Probleme der Einwanderer. Ist das Geschehen nicht immer noch top aktuell? Das «Zeitalter Trump» lässt grüssen …

Die Gstaader Version mit Livemusik – eine glänzende Idee
Zum Filmvorspann kann sich das Sinfonieorchester Basel mit seinem Dirigenten Ernst van Tiel vorstellen – und es packt sogleich mitreissend an, in rhythmischer und klanglicher Hinsicht. Die Ouvertüre ist ein erster Hit, hat Bernstein doch darin viele Themen des Musicals vorausschauend ineinander verflochten. Wie der eigentliche Film beginnt, setzt auch das Staunen des Publikums ein, denn dem Dirigenten gelingt es, die Musik haargenau mit dem Filmablauf zu koordinieren. Die Tempi stimmen! Die Präzision bei allen Tänzen, den Songs und sogar beim typischen Fingerschnippen ist perfekt. Van Tiel steigt mit seinen Musikern auch nach langen Sprechsequenzen exakt im richtigen Moment in die Szenen ein – und trifft ebenso genau das Tempo der Sängerinnen und Sänger. Als ob diese auf den Dirigenten achten könnten! Eigentlich spielt sich an diesem Abend das Musical auf drei Kanälen ab: hier das phänomenale Orchester, auf der Leinwand die grossartigen Schauspieler und hinter diesen die unsichtbaren Synchronstimmen von ebenfalls herausragenden Sängerinnen und Sängern. Das Orchester ist riesig, es erfüllt den ganzen Bühnenraum und umfasst nach Bernstein-Art eine gewaltige Vielfalt an Instrumenten. Jedes Register wird gefordert und findet im ganzen Ablauf seine eigenen «Sternstunden». Phantastisch ist, wie sich der grosse Apparat führen lässt, wie er mal in richtiger Jazzmanier rockt und tanzt, gleich aber auch sehnsuchtsvolle, wehmütige Klänge ausströmen kann. Bernstein hatte verschiedenste Musikelemente miteinander kombiniert, die in der Basler Darstellung bestens differenziert zum Ausdruck kommen. So werden die charakterisierenden Merkmale der rivalisierenden Gruppen, der einheimischen «Jets» und der puertoricanischen «Sharks», hervorragend ausgespielt: hier der treibende, hektische Rhythmus mit starken Synkopen, dissonanten Tönen und oft abgerissener Melodieführung, dort der beschwingt-tänzerische Sound mit besonderer Betonung der lateinamerikanischen Perkussionsinstrumente und einer weichen Tongebung. Der holländische Dirigent Ernst van Tiel entpuppt sich wahrhaftig als Meister seines Fachs: Er hat sich auf Live-Filmmusik spezialisiert und so gelingt ihm auch hier in Gstaad eine vielbejubelte «West Side»-Darstellung.

Musikalische und filmische Highlights
In der Zuschauer- und Zuhörerschaft sitzen sicher viele Fans von Bernsteins Musical. Sie alle, und auch die «West Side Story»-Einsteiger, werden sowohl von Bild und Ton gefesselt, wie auch von der Thematik des Romeo-und-Julia-Motivs der verbotenen, tragisch endenden Liebe über alle Schranken hinweg. Die Konflikte junger Menschen mit unterschiedlich kulturellem Hintergrund haben ja nichts an Aktualität verloren. Die oft heftigen Auseinandersetzungen erscheinen im Film aber in einem Umfeld, das von glänzenden tänzerischen Leistungen, optischen Einfällen und gelungenen Darstellungen des Milieus bis zu Sentimentalität und reisserischer Dramatik reicht. Wer sieht nicht noch die berührenden Szenen von Maria (Natalie Wood) und Tony (Richard Beymer) vor sich, oder die grandiosen Gruppentänze im Mambo-Rhythmus? Und wem tönen nicht noch die Sounds der ebenfalls Kult gewordenen Lieder in den Ohren wie beispielsweise «Maria», «America», «Tonight» oder «I feel pretty»?

Leonard Bernstein würde morgen Samstag, 25. August, 100-jährig. Die «West Side Story» blieb sein grösster Triumph als Komponist und das meistgespielte Musical überhaupt. Sie war ein Meilenstein in seinem Leben. Mit ihr hat er seine Sehnsucht nach erfüllter Liebe, Frieden und Freiheit zum Ausdruck gebracht und damit Millionen von Menschen Hoffnung auf eine bessere Welt gegeben. Betroffenheit über das traurige Filmende machte sich zunächst im grossen Zelt bemerkbar, wich aber bald der riesigen Begeisterung über die absolut hervorragende Orchester-Interpretation, die sich in Beifallsstürmen berechtigt Luft verschaffte. Übrigens: Die «West Side Story» hat mit 1957 das selbe «Geburtsjahr» wie das Menuhin Festival.


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