Wo Karrieren geschmiedet werden

  07.08.2018 Gstaad, Kultur

Bereits zum fünften Mal findet die Conducting Academy im Rahmen des Gstaad Menuhin Festivals statt. Die Masterclass für junge Dirigenten ist über die letzten Jahre gewachsen und bietet europaweit ein einzigartiges Ausbildungsprogramm.

MELANIE GERBER
Die zwölf Kandidatinnen und Kandidaten der Conducting Academy trinken in der Pause Kaffee und plaudern, bis ihr Lehrer in die Hände klatscht und sie wieder auf die Bühne des Festivalzelts bittet. Es ist der erste Tag der dreiwöchigen Masterclass, man ist sich noch am Beschnuppern. Die jüngste Kandidatin ist an der Reihe: Katharina Wincor (23) begrüsst das Orchester und erarbeitet anschliessend mit ihm Auszüge aus einer Mozartsinfonie. Zwanzig Minuten stehen jedem Jungdirigenten pro Tag zu, Zeit in der der Nachwuchsstar die Gelegenheit hat, unter Beobachtung der Professoren Johannes Schlaefli und Jaap van Zweden mit professionellen Musikern ihre Dirigierfähigkeit zu vertiefen. An jenem ersten Tag der dreiwöchigen Academy geht es darum, dass die Kandidaten/innen den Kontakt zum Orchester herstellen. Deshalb greife er nicht sofort ein, so Johannes Schlaefli, sondern gebe später Rückmeldung.

Zusammenarbeit mit Profimusikern
«Die Musiker sind wach und nehmen schnell auf», sagt Johannes Schlaefli über das Festivalorchester, das nebst Konzerten auch während drei Wochen für die Dirigenten der Conducting Academy zur Verfügung steht. «Sie sind so gut, dass sie Fehler der Dirigenten auch ausgleichen können. Dafür sind die jungen Studenten auf der Interpretationsebene mehr gefordert.» Das heisse, dass sie schneller zeigen müssen, was sie möchten und stärker musikalische Inputs geben. «Wir passen uns als Orchester der Situation an», verrät Konzertmeister Vlad Stanculeasa. «Manchmal versuchen wir, die Armbewegungen der Dirigenten genau zu befolgen, sodass sie realisieren, was sie uns damit zeigen, gerade, wenn die Arme nicht das ausdrücken, was sie eigentlich sagen möchten.» Die gesamte Arbeit während der Proben wird auf Video aufgezeichnet, sodass Professor und Studenten in den anschliessenden Videoanalysen an den Details schleifen können. Letztlich sieht Schlaefli sich aber als eine Art Coach, der an der Seitenlinie steht. «Umsetzen müssen es dann die Studenten selber und das auf ihre Art.» Es gehe darum, dass jeder seine eigene Stimme finde.

Herausforderndes Programm
Während der drei Wochen der Conducting Academy werden zuerst Werke mit einer kleineren Orchesterbesetzung für das Kirchenkonzert vom 2. August erarbeitet, in den folgenden Wochen wächst das Orchester, bis es beim Abschlusskonzert mit Werken von Wagner über hundert Musikerinnen und Musiker verfügt. Die Werke seien nicht mit einem pädagogischen Hintergrund ausgesucht worden, erklärt Schlaefli, vielmehr habe man sie dem Festivalthema angepasst. Mit den Werken wollte man möglichst alle Stile abdecken, fügt Intendant Christoph Müller hinzu. Von der Wiener Klassik über die Romantik bis zu Wagner seien unterschiedliche Welten vorgegeben. «Wir möchten damit ein Programm bieten, bei dem die Nachwuchsstars eine Entwicklung durchmachen», verrät der Intendant. Statt wie im professionellen Leben während vier Proben und einem Konzert wird länger miteinander gearbeitet und so können die Studenten tiefer in die Arbeit an den Werken eintauchen.

Einzigartiges Projekt
Was 2014 als Experiment startete, findet dieses Jahr bereits zum fünften Mal statt. Anders als bei den in der Branche gängigen Workshops sei einzigartig, dass die jungen Dirigenten/innen über längere Zeit und mit Profimusikern arbeiten können, so Christoph Müller. Entsprechend teuer ist das Projekt mit einer knappen Million jedoch. Finanziert wird es mit einem Sockelbetrag der Gemeinde Saanen und Beiträgen von Privaten und Stiftungen. «Das Instrument des Dirigenten ist das Orchester», fügt Müller hinzu. Und wenn dieses aus hochprofessionellen Musikern besteht, ist der Lerneffekt besonders hoch. Das Projekt habe sich auch in der Fachwelt herumgesprochen, erzählt Christoph Müller. Teilnehmende aus den vergangenen Jahren seien bei grossen Künstleragenturen untergekommen, darunter habe beispielsweise ein Dirigent eine Chefposition in Portugal bekommen. Die Bewerbungszahlen steigen von Jahr zu Jahr um rund 20 Prozent. «Dieses Jahr haben wir ungefähr 300 Bewerbervideos angeschaut», weiss Lukas Wittermann, Projektmanager der Conducting Academy. Mit wachsendem Bekanntheitsgrad der Academy nehme auch das Niveau der Bewerber zu. «Wir möchten in zehn Jahren sagen können, dass die junge Elite unter den Dirigenten in Gstaad vorbeigekommen ist». bemerkt Christoph Müller und wünscht sich für die Zukunft noch mehr Besuch von Agenten und Intendanten, die dadurch den Nachwuchs live erleben könnten.

Die Proben der Conducting Academy sind bei freiem Eintritt öffentlich zugänglich und finden in der Regel von Samstag bis Dienstag von 10 bis 13 Uhr und von 14.30 bis 16.30 Uhr im Festivalzelt statt. Die nächsten Konzerte der Conducting Academy finden am Dienstag, 7. August sowie am Mittwoch, 15. August jeweils um 17.30 Uhr bei freiem Eintritt im Festivalzelt statt.


«Als Dirigent lernt man ein Leben lang» Zwölf Nachwuchsdirigenten, darunter auch fünf Frauen, sind für die Conducting Academy nach Gstaad gereist. Thomas Jung und David Niemann erzählen von ihren Erfahrungen.

MELANIE GERBER

Ist Gstaad eine wichtige Station für Ihre Karriere?
David Niemann:
Wichtige Stationen realisiert man erst später. Das kleinste Treffen kann den grössten Einfluss haben. Es ist toll, mit so guten Musikern und Persönlichkeiten wie Johannes Schlaefli und Jaap van Zweden zusammenzuarbeiten.
Thomas Jung: Als Dirigent lernt man ein Leben lang. Als Künstler muss man diese Einstellung haben.

Wann wussten Sie, dass Sie Dirigent werden möchten?
Thomas Jung:
Meine Eltern erzählen, dass ich als Kind nach einem Konzert mit einem Gebetsbuch und chinesischen Essstäbchen in der Küche dirigiert habe. Später habe ich dann den Dirigenten des Jugendsinfonieorchesters um Unterricht gebeten.
David Niemann: Ich hätte für den Dirigenten des Jugendsinfonieorchesters mein Herz aus der Seele gespielt. Es hat mich fasziniert, dass man als Dirigent einen Einfluss hat, wenn man etwas von sich gibt.

Wie erleben Sie die Arbeit mit dem Festivalorchester?
Thomas Jung:
Das Orchester reagiert unglaublich schnell. Man macht eine kleine Bewegung und merkt dann, huch, das wollte ich eigentlich gar nicht. Es ist ein bisschen ein Laboratorium. Wir können Sachen ausprobieren, die man sonst mit einem Orchester nie tun würde.
David Niemann: Das ist wichtig. Junge Dirigenten haben ja gar keine andere Möglichkeit als diesen geschützten Rahmen. Draussen in der professionellen Welt gibt es keinen geschützen Raum, da muss man das Orchester sofort packen können, deshalb ist das hier sehr wertvoll.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote