«In der Spitalseelsorge geschieht situationsgerechtes Begleiten.»

  18.09.2018 Region

Auf den 1. Juli 2018 gab es einen Wechsel in der Seelsorge am Spital Zweisimmen. Pfarrer Christian Weber folgte einem Ruf in eine andere berufliche Herausforderung. Sein Nachfolger ist Pfarrer Günter O. Fassbender aus Zweisimmen. Nachfolgend einige seiner grundlegenden Gedanken zur Spitalseelsorge.

Ich beginne mit einer Selbstverständlichkeit: Wie vieles andere kirchliche Handeln auch gründet die Spitalseelsorge auf dem Gebot Jesu aus Matthäus 25. Dort spricht Jesus Christus: «Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht.» (Matthäus 25,36) Was die Kirche, egal welcher Konfessionn bewegt, wofür ihr Herz schlägt, ist in der Spitalseelsorge sehr deutlich spürbar, aber
– weil es vielfach im Verborgenen geschieht – meist wenig sichtbar. Spitalseelsorge ist ein wichtiges Stück Kirche
– und es ist dem Kanton Bern und den Trägern der Spitäler hoch anzurechnen, dass sie dafür die nötigen Bedingungen und Möglichkeiten schaffen.

Wenn jemand in ein Krankenhaus muss, dann gehen für sie und ihn die Uhren – oft sehr plötzlich und unerwartet – von jetzt auf gleich anders. Der übliche und vertraute Lebensrhythmus wird unterbrochen. Und der bekannte und vertraute Lebens- und Wohnort wird verändert. Fremde Menschen sind um einen herum. Das Essen schmeckt anders. Liebgewordene Gewohnheiten werden von der Therapie abgelöst und dem Heilungsprozess untergeordnet.

Im Betrieb eines Krankenhauses werden naturgemäss Grenzen für ein selbstbestimmtes Leben gesetzt. Taktgebend sind andere. Selbst wenn es nicht um alles geht (also um keine lebensbedrohliche Erkrankung), werden in der Zeit während eines Krankenhausaufenthaltes oft Fragen, Gefühle, Belastungen und nicht verarbeitete Erfahrungen spürbar. Sie nehmen sich jetzt den Raum, den der Alltag ihnen oft nicht lässt.

Das alles ist herausfordernd und oft auch verunsichernd. Bei aller Kompetenz und Zugewandtheit von Pflegekräften und Ärzten erleben viele das Gespräch mit einer Spitalseelsorgerin und einem Spitalseelsorger als ausgesprochen hilfreich. Eine Person, die jetzt für mich Zeit hat, der ich aber vermutlich so schnell nicht wieder begegne, der kann ich manches anvertrauen, was in anderen Gesprächskonstellationen so nicht zur Sprache gebracht werden kann. In der Spitalseelsorge geschieht situationsgerechtes Begleiten. Und es gelingt, weil es einen oft unglaublichen Vertrauensvorschuss gibt.

Ohne dieses Vertrauen der Patientin/ des Patienten zur Seelsorgerin bzw. zum Seelsorger gelingt Hilfe und Beistand in diesen aussergewöhnlichen Situationen nicht. Und während eines Aufenthaltes im Krankenhaus entstehen immer wieder aussergewöhnliche Situationen, Grenzerfahrungen, in der seelsorgliche Begleitung nötig ist. Einige Beispiele aus dem Alltag der Krankenhausseelsorge:
– Wenn es um das Überbringen einer Todesnachricht geht. Da ist eine Patientin oder ein Patienten gestorben, und dies muss den Angehörigen mitgeteilt werden: der Herzinfarkt der Mutter, der Suizid des Kindes, der plötzliche natürliche Tod des Ehepartners. Bei unklaren Todesursachen ist oft die Polizei bei den Angehörigen, und so handeln Seelsorge, Careteam und Polizei manchmal parallel. Die Seelsorge kann danach noch auf der Station bleiben.
– Wenn ein Suizidversuch gescheitert ist und der Mensch sich auf der Überwachung befindet. Häufig hat die Spitalseelsorge in dieser verzweifelten Situation auch mit den Angehörigen zu tun.
– Wenn eine Operation dramatisch verlaufen ist und der Patientin oder dem Patienten der unerwartete Ausgang (z.B. Amputation des Beines) mitgeteilt werden muss.
– Wenn in der Notfallstation eine Patientin oder ein Patient überraschend stirbt, der von den Angehörigen nur zur Untersuchung dorthin gebracht worden ist.
– Wenn ein Angehöriger beigesetzt wird, die Patientin oder der Patient aber wegen Erkrankung nicht an der Beerdigung teilnehmen kann. In solchen Fällen kann die Spitalseelsorge dann zeitlich parallel eine Andacht halten oder auch nur ein Gebet sprechen.
– Ein besonderer Aspekt kommt in «unserem» Zweisimmner Spital noch hinzu: Es steht in einer Tourismusregion. Das bedeutet: Immer wieder sind auch Patientinnen und Patienten zu begleiten, die aus anderen Gegenden der Schweiz, aus Europa oder gar anderen Erdteilen hierherkommen, krank werden, sich verletzen und behandelt werden müssen. Hier hat die Spitalseelsorge ebenfalls eine ganz wichtige Kontaktfunktion.
Diese Beispiele aus der Spitalseelsorge zeigen, dass die Seelsorger/innen sich auf die Patienten und auf die Angehörigen in einer extremen Situation einstellen müssen. Manches ist zu klären und auch zu organisieren. Manches, was nicht auszuhalten ist, muss ausgesprochen werden, Fragen und Klagen werden vor Gott gebracht.

Die Spitalseelsorge ist dann aber auch ein Dienst in der Arbeitswelt. Das Pflege- und ärztliche Personal hat häufig Gesprächsbedarf; die Atmosphäre ist oft angespannt. Das Personal muss jederzeit für alle Patientinnen und Patienten der Station zur Verfügung stehen. Zwischen Seelsorge und Krankenhauspersonal gelingt oft eine gute Arbeitsgemeinschaft. So bittet das Personal der Stationen regelmässig die Spitalseelsorge («die Kirche») zu kommen, weil es selbst manchmal überfordert oder weil etwas Aussergewöhnliches geschehen ist. Wie die Gefängnis-, Notfall- und Militärseelsorge lebt die Spitalseelsorge ganz dicht mit den in der jeweiligen Einrichtung arbeitenden Menschen.

Und schliesslich: Die Spitalseelsorge lebt und arbeitet nicht in der isolierten Welt des Spitals; sie steht und fällt mit den Beziehungen zu den jeweiligen Kirchgemeinden in der Umgebung. Darum ist Information und Kontakt zu den Gemeinden und Pfarrpersonen im Einzugsbereich eines Spitals besonders wichtig, ja unabdingbar.

Ich freue mich, dass ich mich dieser herausfordernden Arbeit nun wieder stellen darf.

PFARRER GÜNTER O. FASSBENDER


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