Drei Autoren – drei Erzählformen

  18.09.2018 Kultur

Peter Stamm las am vergangenen Samstagabend im Le Grand Bellevue Gstaad. Mit seiner sonoren Erzählstimme führte er die unzähligen Zuhörer in «Die sanfte Gleichmütigkeit der Welt», so der Titel seines neusten Romans. Gianna Molinari stellte ihr Erstlingswerk vor und Rolf Hermann hielt etwas für die Lachmuskeln bereit.

BLANCA BURRI
In ihrem Erstlingswerk «Hier ist noch alles möglich» erzählt Gianna Molinari eine eigentümliche Geschichte. Eine junge Frau wird in einer Verpackungsfirma als Nachtwächterin eingestellt, weil der Koch einen Wolf gesehen haben soll, der in den Essensresten herumwühlte. In kurzen emotionslosen Sätzen erzählt die Ich-Erzählerin, deren Lieblingsbuch ein Universal-Genaral-Lexikon ist, von ihren Beobachtungen auf dem Areal. Sie beschreibt die Begegnungen mit ihren Arbeitskollegen und mit ihrem Chef. Sie reiht verschiedenen Ereignisse aneinander, ohne sie miteinander zu verknüpfen. Am Roman, der mit dem Robert-Walser-Preis 2018 ausgezeichnet wurde, schrieb die Zürcherin mit dem Basler Dialekt sechs Jahre lang.

Erzählmelodien
Mit seiner sonoren Erzählstimme führte Peter Stamm die Zuhörer in eine andere abstruse Geschichte. Der Autor Christoph begegnet bei einer Lesung in seiner alten Heimat seinem Alter Ego. Dieser lebt das Leben Christophs genauso, wie er es vor 16 Jahren getan hatte. Christoph kann nicht anders, als diesen jungen Mann zu beobachten. Nach ein paar Monaten aber nabelt er sich von seinem jüngeren Ich ab, um nach Barcelona zu entfliehen, einer Stadt, in der er vorher noch nie gewesen ist. Dort unterrichtet er, lernt eine Frau kennen und lebt ein zurückgezogenes Leben. Nach ein paar Jahren aber läuft sein Alter Ego plötzlich durch die Strassen Barcelonas. Der Albtraum beginnt von neuem.

Peter Stamms Erzählstil ist wie eine Melodie, die sich über sein Werk legt und mit der man mitschwingt. In seiner Geschichte liegt eine dezente Leidenschaft, welche die Gefühle in Aufruhr bringt, ohne Effekthascherei zu betreiben. Wenn man Peter Stamm liest, hat man das Gefühl, neben der Hauptfigur im Zug zu sitzen, das Hotelbett zu teilen oder durch Barcelona zu schlendern.

Reflektierter Unterhalter
Nach einem Aperitif in der Hotelhalle zogen sich die zahlreichen Zuschauer für ein Bettmümpfeli wiederum in die Lounge zurück, wo sie auf bequemen Sesseln, Sofas und in Hängekörben Platz nahmen. Der Walliser Rolf Hermann ist zwar in Biel wohnhaft, aber das «Walliserditsch» aus Leuk verfälscht sich dadurch nicht. Weiterhin verfasst er walliserdeutsche wie auch schriftdeutsche Texte. Der Schriftsteller ist vor allem für seine Spoken-Word-Auftritte und seine Poesie bekannt, mit der er auch im Bellevue überzeugte. Bei seiner Lesung am Donnerstagabend in der Jugendherberge in Saanen stellte er seine neuste Veröffentlichung vor. Mit seinen Erzählungen «Flüchtiges Zuhause» betritt er Neuland. Darin kommen ihm weder der Witz noch die Unterhaltsamkeit der Texte abhanden.


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