«Ich bin dankbar für alles, was ich machen darf»

  09.10.2018 Interview

Béatrice Villiger war gerne bereit, dem «Anzeiger von Saanen» ein paar Fragen zu ihrer Karriere und ihrem Leben auf Tournee und daheim zu beantworten.

LOTTE BRENNER

Sie sind in Gstaad aufgewachsen und leben heute in Grandvaux VD. Was verbindet Sie immer noch mit dem Saanenland?
Das Leben ist spannend: Als Teenager will man unbedingt in die Welt hinaus und die Berge verlassen. Dann mischen Zufälle (oder die Vorsehung, je nachdem, wie man es sieht) das Spiel und es führt uns genau dahin zurück. Hier finde ich meine Ruhe und mein Gleichgewicht zwischen all den Konzerten und der organisatorischen Arbeit für das «Le Bois qui Chante» und andere Events. Wahrscheinlich muss man einfach dazu bereit sein, die Überraschungen im Leben zu empfangen, die bringen nämlich meistens genau das, was man braucht. Unerwartet wurde mir vor ein paar Jahren das Unterrichten an der MSSO angeboten; ohne zu zögern habe ich die Möglichkeit ergriffen und es nie bereut. Zusätzlich zu den Konzerten als Lehrkraft zu arbeiten ist intensiv, aber spannend und schön: Ich bin sehr dankbar dafür!

Sie erhalten Engagements in der ganzen Welt. Welches war letztes Jahr das eindrücklichste und wohin führt Sie Ihre Karriere im nächsten Jahr?
Es gab viele schöne Momente, aber das «Verdi-Requiem» in Las Cruces (New Mexico, USA), war sicher ein Meilenstein in meiner Karriere. Einerseits, weil es eines meiner Lieblingswerke betraf, vor allem aber, weil ich damals als Studierende nicht zu träumen gewagt hätte, es einmal zu singen. Nächstes Jahr steht ein neues Programm mit Harfe an und ein anderes mit Orgel. Hier in der Alpenrose bereiteten wir auch wieder einen schönen Abend vor und im Frühling zieht es mich dann wieder nach Amerika, wohin mich die Pacific Art Society für ein Projekt in Kalifornien eingeladen hat: Eine Show von Oper bis Jazz, wo Balletttänzer zu unserer Livemusik tanzen. Ganz besonders freue ich mich auch auf die kommenden Osterkonzerte, wo wir, unter der Leitung von Michael Bach, das «Mozart-Requiem» aufführen werden. Diese Konzerte in der Kirche Saanen haben immer eine ganz spezielle und schöne Atmosphäre.

Wenn Sie auf Tournee gehen, wer vertritt Sie dann in der Musikschule MSSO als Lehrkraft? Wird dies durch die Schule organisiert oder müssen Sie selber eine Stellvertretung suchen?
Bis jetzt hatte ich Glück und meine Schüler (und deren Eltern!) haben Verständnis für meine Abwesenheit. Da die Tournees nicht länger als ein paar Wochen dauerten, konnte ich die Lektionen immer irgendwie schieben und selber nach-/vorholen. Falls es mal länger dauern sollte, würde ich schon jemanden anfragen müssen. Ich würde aber sehr behutsam entscheiden, wem ich meine Schüler anvertraue: Die Stimme junger Leute bedeutet eine besonders grosse Verantwortung.

Trotz Ihrer Tätigkeiten in der Welschschweiz und im Ausland binden Sie sich immer wieder fest an einheimische Institutionen. So wirken Sie im Vorstand der «amis des Sommets musicaux» und als Intendantin des Festivals «Le Bois qui Chante» regelmässig im Saanenland und im Pays-d’Enhaut. Da kommt Ihnen natürlich Ihre bilinguale Jugend hilfreich entgegen. Als künstlerische Leiterin von «Le Bois qui Chante» gestalten Sie das Festival prägnant und zum Teil sehr eigenwillig. Was ist heuer das Motto? Welches der Schwerpunkt?
Ja, es ist ein Riesenvorteil, einfach so mit zwei Sprachen jonglieren zu können. Mittlerweile mischen sich auch oft Italienisch und Englisch in meine Aufgaben. Mit einem Vater aus dem Saanenland und einer Mutter aus der Romandie war es mir immer wichtig, die beiden Regionen zu verbinden. Ich bin sehr glücklich zu sehen, dass das mit dem «Le Bois qui Chante» funktioniert. Musik verbindet eben. Mein Motto ist eigentlich immer eines: «Qualitätsvolle Musik, die auch gerne überraschen darf.» Ich achte auf ein abwechslungsreiches Programm, wo erfahrene Musiker – dieses Jahr zum Beispiel das «Quatuor Terpsycordes» mit dem Bandoneisten William Sabatier, aber auch junge Künstler, die noch Erfahrungen sammeln müssen, wie die Violonistin Stella Chen, die den letzten Tibor-Varga-Wettbewerb gewonnen hat,– auftreten. Gerne mische ich bekannte und unbekannte Werke und lasse unerwartete Ensembles oder Instrumente auftreten. Im Schwerpunkt bleiben also weiterhin Kammermusik-Konzerte mit abwechslungsreichem Programm.

Welches Ziel verfolgen Sie bei diesem Herbst-Event, das sich rund um das Holz des Château-d’Oex-Wäldchens, dessen Bäume für Musikinstrumente geschlagen werden, dreht?
Wie schon vor 18 Jahren ist eines der Ziele immer noch, das Pays-d’Enhaut in der Zwischensaison attraktiv zu gestalten und die Leute herzulocken. Mein persönliches Anliegen ist es, die Leute zu vereinen und zu bewegen, ihnen eine lebendige Musik nahezubringen, auch wenn sie schon ein paar hundert Jahre alt ist, und den Musikern ein angenehmes und positives Arbeitsklima zu offerieren. Die sind eigentlich schon immer von der Hinfahrt ganz überwältigt und würden am liebsten noch in der Region bleiben. Wenn dann noch die Stimmung beim Auftritt passt, ist es einfach magisch.

Sie haben schon so manches erreicht. Wie sehen Ihre weiteren Ambitionen aus – als Intendantin und persönlich?
Ich bin dem Leben sehr dankbar für alles, was ich machen darf. Ich lebe von meiner Leidenschaft und kann mich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Sonst wäre es mir wohl langweilig. Als Intendantin hoffe ich, noch lange Jahre gute Ideen zu haben, um das Festival weitertragen zu können, und, wer weiss, es vielleicht einmal auf zwei Wochen zu verlängern. Vor ein paar Wochen habe ich auch noch eine Firma gegründet: PerArte-Prod. Das Ziel wird sein, gute und originelle künstlerische Events an aussergewöhnlichen Orten zu organisieren: Konzert in einer Höhle, bei Sonnenaufgang, an Ausstellungen, wo man sie nicht erwartet, usw. Konkretes wird es bestimmt bald dazu geben. Den Rest lasse ich auf mich zukommen und freue mich darauf.

Kürzlich gründeten Sie mit zwei Musikerkollegen das «AlpOpus», in welchem Sie mehrere Stilrichtungen mit der Klassik vereinen. Das reicht vom Volkstümlichen über Jazz, Schlager, Tango, Zigeunermusik oder Klezmer – kurz, alles, was irgendwie musikalisch hochstehend, witzig und virtuos verknüpft werden kann. Aus welcher Laune heraus entstand diese freche und doch äusserst kunstreiche Formation? Was war der springende Punkt, so etwas professionell aufzuziehen?
Eigentlich war es fast ein bisschen Zufall, nach einem Essen mit Tobias König aus Zweisimmen. Wir hatten einfach Lust, uns mit der Musik, die uns am Herzen liegt, musikalisch und menschlich zu amüsieren. Da es uns sehr wichtig war, mobil zu bleiben, haben wir Gjorgi Spasov, Akkordeon-Lehrer an der MSSO, ins Boot geholt. Ich glaube, wir waren selber von unserem Erfolg überrascht. Egal, ob im Saanenland, im Unterland oder in der Westschweiz, die AlpOpus-Mischung kommt immer gut an, vielleicht auch, weil wir uns so gerne den Gegebenheiten musikalisch und szenisch anpassen. Die Leute spüren das, sodass ich mich sogar manchmal frage, wer an den Konzerten mehr Spass hat: wir oder unser Publikum? Wir sprudeln nur so von neuen Ideen. Macht euch bereit, 2019 wird ganz bestimmt hochinteressant!

Ihren Programmen liegt ja immer ein Thema zugrunde, das sich wie ein roter Faden durch den Vortrag zieht. Waren es letztes Jahr hier in der Alpenrose Schönried die Waldgeister, die sich tummelten, so versetzten Sie sich heute in die Seele verschiedener Frauen. Da war die junge, naive, dann die reife, erfahrene und zuletzt gar noch diejenige, die durch all das Erlebte abgeklärt wirkt, die sich nicht mehr so leicht emotional aus der Bahn werfen lässt. Alle diese Rollen zeigen deutlich Ihre Verwandelbarkeit, die Sie ja auch als Opernsängerin ausleben müssen. In welchen Rollen fühlen Sie sich am authentischsten?
Gute Frage … In jeder Figur kann man etwas von sich finden oder einflechten. Auch wenn der Alltag im 18. Jahrhundert nicht unserem entspricht, bleiben die grossen Gefühle doch dieselben: Liebe, Angst, Tod, Verrat, alles, was die Oper eben so spannend macht. Privat bin ich eigentlich nicht so draufgängerisch wie Carmen, aber sich auf der Bühne durch ihre Sicht auszutoben, macht einfach Spass. Vielleicht steckt sie eben doch irgendwo in mir. Generell fühle ich mich mit der Musik der Romantik sehr verbunden: Bei Brahms, Schumann, Verdi oder Puccini scheint die Musik einfach für mich zu fliessen, ohne sie intellektualisieren zu müssen. Das Jodeln ist zwar eine technische Stimmumstellung im Verlgeich zum klassischen Gesang, tut aber richtig gut und macht riesig Spass. Eigentlich hatte ich es sogar als Kind ein bisschen gelernt, aber dann nie wieder praktiziert. Auch da hat mich also das Leben zu meinen Wurzeln zurückgebracht. Bei Mozart bin ich immer wieder überrascht, wie modern seine Themen und Texte noch sind: Bei ihm sind es oft sehr emanzipierte und witzige Frauen und jede einzelne kleine Note unterstreicht den Text und die Gefühle perfekt; es ist einfach alles schon da. In einem Beruf 1000 verschiedene Leben zu haben – ist das nicht ganz fantastisch?

Vielen Dank für den Blick hinter die Kulissen. Für Ihre weitere Karriere wünsche ich Ihnen alles Gute, immer verbunden mit der Hoffnung, dass Sie trotz auswärtiger Engagements der Region erhalten bleiben.


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