Bidon und Bidonhalter

  19.10.2018 Leserbeitrag

«Wasser ist Leben.» In einem gewissen Sinn gilt das auch beim Velofahren. Denn mit leeren Bidons (Trinkflaschen) kann sich eine lange Velotour schnell einmal in eine Durststrecke verwandeln, ja vielleicht sogar in einen Leidensweg. Eine lateinische Lebensweisheit sagt zwar, wir Menschen seien die einzigen Lebewesen, die trinken, ohne Durst zu haben. Diese Erkenntnis macht sich lustig über Menschen, die immer wieder zu tief ins Glas schauen oder über den Durst trinken. Aber sie gilt nicht für Sportler und Sportlerinnen. Denn gerade auf längeren Velotouren ist es wichtig, immer wieder etwas zu trinken, bevor man Durst hat. Bei sommerlichen Temperaturen und sportlichem Fahren kann man auf längeren Touren nämlich gut einen bis zwei Liter Flüssigkeit durch das Schwitzen verlieren. Und wenn die notwendige Flüssigkeit im Körper nicht dauernd «nachgefüllt» wird, können auch die Muskeln nicht mehr die nötige Leistung erbringen. Eine Faustregel sagt: «2 Prozent Flüssigkeitsverlust hat 20 Prozent Leistungsverminderung zur Folge.» Wer also erst trinkt, wenn er Durst hat, trinkt beim sportlichen Velofahren in der Regel zu spät und kann das Flüssigkeitsmanko bis ans Ziel meistens nicht mehr ausgleichen. Deshalb ist es wichtig, regelmässig, aber mässig zu trinken.

Damit man auf Velotouren aber nicht bei jedem Brunnen oder Wasserhahn anhalten oder in jeder Bar einkehren muss, um den Durst zu löschen, gibt es Bidonhalter und Bidons. Wer lange Touren fährt und viel Flüssigkeit braucht, hat meistens sogar zwei Halter am Velo – je einen am Unterrohr und einen am Sitzrohr. Und wer die wertvollen Rohre des Rahmens nicht durchlöchern will, hat Adapter für Bidonhalter hinten am Sattel oder am Vorbau unter dem Lenker. Solche Bidonhalter gibt es in den verschiedensten Formen und aus verschiedenen Materialien. Es gibt sogar extra leichte Carbon-Bidonhalter – nur 16 g –, damit das Gewicht des Velos niedrig bleibt, wenn das Körpergewicht zugenommen hat. Beim Inhalt des Bidons kann man jedoch nur dann Gewicht sparen, wenn man weniger Flüssigkeit mitführt. Aber das wäre wohl am falschen Ort gespart und könnte Folgen haben. Denn, so sagt ein Sprichwort: Alles ist vergänglich, nur der Durst bleibt lebenslänglich! Am nachhaltigsten ist die Erinnerung an dieses Sprichwort wohl dann, wenn unterwegs die Bidons leer sind und weit und breit kein Wasserhahn zu finden ist.

Durststrecken auf Velotouren dauern aber zum Glück meistens nie so lange wie die Durststrecken des Lebens. Denn im Gegensatz zu den Durststrecken des Lebens können Durststrecken auf Velotouren schon beim nächsten Wasserhahn oder im nächsten Restaurant beendet werden. Durststrecken im Leben kennen die meisten Leute. Solche Durststrecken sind oft schmerzlicher als diejenigen, die man mit ein wenig Flüssigkeit löschen kann. Denn die Durststrecken des Lebens müssen meistens mit Geduld und Einschränkungen ausgehalten und ertragen werden. Das Leben kommt ja meistens dann ganz anders, wenn man nicht damit gerechnet hat. Und der Durst der Seele nach Liebe, Sinn, Freude und Anerkennung kann dann nicht so schnell gestillt werden wie der leibliche Durst. Viele Sachen klappen oft nicht so schnell und gut, auch wenn man sich sehr darum bemüht hat. Und es liegt nicht immer nur an uns, wenn man etwas nicht verändern kann. Aber es liegt an uns, die Durststrecken des Lebens auszuhalten. Sie gehören zum Leben wie die Durststrecken beim Velofahren.

Durststrecken des Lebens lassen sich übrigens besser aushalten, wenn man regelmässig aufs Velo steigt. Denn die Seele nährt sich von dem, woran sie sich erfreut (Augustinus). Und auf dem Velo kann die Seele auf sehr vielfältige Art und Weise Freude finden. Allein schon die körperliche Bewegung und die sportliche Herausforderung können Balsam sein für Seele und Geist. Denn manches, was einem schwer aufliegt, kann allein schon durch die sportliche Bewegung leichter werden. Aber auch all die Schönheiten der Natur, die man nur bestaunen kann, wenn man zu Fuss oder auf dem Velo unterwegs ist, sind Nahrung für Seele und Geist. Und wenn auch noch die richtige Flüssigkeit in den Trinkflaschen ist, sodass man unterwegs keinen Durst leiden muss, kann eine erlebnisreiche Tour zum echten Genuss werden. Auch die Durststrecken des Lebens verlieren so plötzlich ihr Gewicht.

ROBERT SCHNEITER


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