«Diese Freude nimmt mir niemand weg»

  16.11.2018 Sport

Seit 2012 fuhr Luca Cairoli ambitioniert Radrennen. Mit dem Sprung in die Elite-Kategorie 2015 eröffneten sich dem jungen Athleten viele Möglichkeiten. Im Interview zog der 23-jährige Gstaader Bilanz über seine Zeit als Leistungssportler, sprach über die Beweggründe, seine Karriere zu beenden und über seine Zukunftspläne.

JENNY STERCHI

Luca Cairoli, Sie haben am vergangenen Samstag nicht nur die Saison, sondern auch Ihre Karriere als Radrennfahrer offiziell beendet. Kam Wehmut auf?
Ein gewisser Wehmut gehört sicherlich dazu, ansonsten wäre es ja ein Zeichen, dass man nicht genügend Freude hatte an dem, was man gemacht hat. Es war eine sehr, sehr tolle Zeit, in der ich viel erleben durfte. Dafür bin ich all den Leuten, die mich stets dabei unterstützt haben, extrem dankbar. Jetzt bin ich aber bereit, mich mit neuen Dingen zu befassen und es gehen viele neue Türen auf. Das birgt auch in Zukunft Spannendes in meinem Leben.

Was hat Sie zu diesem Entschluss bewogen?
Zum einen war es ein Entscheid aus gesundheitlichen Gründen. Nach dem Unfall zum Saisonstart nach einer super Vorbereitung, dem darauffolgenden Pfeifferschen Drüsenfieber während der Frühlingssaison und einem unerklärlichen Zusammenbruch im Juni war das Fass ein wenig zu voll. In der Vergangenheit war es immer genauso, wie ich es gern hatte. Ich wollte stets parallel zum Sport auch auf der beruflichen Schiene weiterfahren. Vielleicht waren es auch Zeichen meines Körpers, dass die von mir gewählte Belastung etwas zu hoch war. Allerdings bin ich jetzt umso glücklicher, dass ich meiner Linie immer treu geblieben bin und meine Pläne durchgezogen habe.

Ihre Antwort lässt auf einen zweiten Grund schliessen.
Ja, ich hatte zum anderen etwas Mühe mit den Vorkommnissen, die mir im Radsport während der vergangenen Saison begegneten. Ich bin ein «Fair Player» und kann daher Entscheide der UCI (Union Cycliste Internationale, Weltverband des Radsports), wie sie im Falle eines Christopher Froome gefällt wurden, absolut nicht verstehen. Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen, und zwar von allen. Jeder, der sie nicht einhält, sollte die Konsequenzen aus seinem fehlbaren Verhalten tragen müssen. Und dann sollte auch nicht derjenige, der einen grossen Namen trägt, in einem «reichen» Team fährt oder einmal die Tour de France gewonnen hat, keinen Sonderstatus geniessen. Aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass Spitzenleistungen «sauber» möglich sind. In diesem Sinnen wünsche ich meinen Trainingskollegen wie Marc Hirschi (Weltmeister U23) und Gino Mäder alles Gute im Profiradsport. Beide haben einen Profivertrag für die nächste Saison in der Tasche.

Wie hat Ihr langjähriger Trainer Fabian Jeker auf Ihren Entscheid reagiert?
Es ist klar, dass er als Trainer nicht glücklich darüber war. Er zeigte aber grosses Verständnis und konnte meine Überlegungen nachvollziehen. Wir haben nach wie vor ein gutes Verhältnis und ich hoffe, er weiss, wie dankbar ich für das von ihm Geleistete bin. Ohne ihn wäre ich sicher nie so weit gekommen. Und auch wenn es schliesslich nicht bis ganz in die Profiwelt gereicht hat, bin ich stolz auf die erreichten Ziele und das Erlebte.

Die Kräfte an einem Rennen einzuteilen und das Training nach Verletzungen variieren – kennt ein Leistungssportler seinen Körper besser als andere?
Ja, auf jeden Fall. Ich lernte meinen Körper sehr gut kennen und werde auch in Zukunft nach wie vor meinen Körper reizen und hier und da ans Limit bringen.

Sie haben sich in der Öffentlichkeit immer wieder gegen Doping und für einen «sauberen» Radrennsport ausgesprochen. Demotivieren dann nicht die immer wiederkehrenden offiziellen Dopingnachweise etablierter Fahrer an der Weltspitze?
Doch, das ist der Fall, wie in meinem zweiten Beweggrund, die Karriere zu beenden, auch zum Ausdruck kommt. Die Glaubwürdigkeit des Radsports leidet darunter. Es ist traurig, denn am Schluss werden alle Fahrer in den «gleichen Topf» geworfen, obwohl es auch noch die sauberen, ehrlichen Fahrer gibt. Daran glaube ich nach wie vor.

Sie waren vier Saisons lang in der Elite-Kategorie unterwegs. Gibt es ein Rennen, dass Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Das ist ganz klar die Kolumbien-Rundfahrt. Es war ein einmaliges Erlebnis und wird mir immer in Erinnerung bleiben. Die Form war gut, das Land war fantastisch und wir hatten eine tolle Zeit dort. Rennen wie die Tour de Hokkaido in Japan und gute Tage, wie Rang 4 an der Schweizermeisterschaft im Zeitfahren, gehören natürlich auch zu den guten Erinnerungen.

«Ich möchte Rennen fahren und trainieren, solange ich Spass an diesem Sport habe und es nicht zur Quälerei wird.» So lautete in einem Interview vor drei Jahren Ihre Antwort auf die Frage nach Ihrem längerfristigen, sportlichen Ziel. Ist der Spass daran verloren gegangen?
Nicht unbedingt der Spass, vielmehr habe ich für mich selber gemerkt, dass ich nicht mehr zu hundert Prozent dahinterstehen kann. Aber diese einhundert Prozent braucht es, um an die Spitze zu kommen. Spitzensport nimmt eine relativ kurze Zeit des Lebens in Anspruch, und sich in einem derart etablierten Profifeld zu behaupten, fordert alles von einem Rennfahrer. Nach diesen Überlegungen ist für mich die berufliche Perspektive in den Vordergrund getreten und scheint mir nachhaltiger. Ausserdem kann ich so ein wenig an meinen Arbeitgeber zurückgeben, der mich während der gesamtem Aktivzeit voll unterstützt hat. Ich habe das Verlangen, meine beruflichen Ziele zu erreichen und mich weiterzubilden. Und zwischendurch möchte ich noch andere Dinge erleben, als auf dem Rad zu sitzen. Auch wenn dies mein steter Begleiter bleiben wird.

Könnten Sie sich vorstellen, eine Trainingstätigkeit oder eine Funktion bei der Betreuung des Nachwuchses im Radrennsport zu übernehmen?
(schmunzelt) Ja, warum nicht. Aktuell ist nichts in dieser Richtung geplant, aber wer weiss schon, was sich in der nächsten Zeit noch alles ergeben wird.

Gibt es Erfahrungen aus dem Leistungssport, die Sie in das «normale» Leben mitnehmen?
Tausende. Dabei sind es oft die kleinen Dinge, die man lernt und mitnimmt. Sicherlich gehören Teamfähigkeit, Wille, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und das «Dranbleiben» dazu. Das zeigt sich in meinem augenblicklichen Wissensdurst im Beruf. Ich freue mich darauf, mich wieder mehr meinem sozialen Umfeld widmen zu können, Denn auch wenn der Radrennfahrer im Team unterwegs ist, muss er jedes Rennen allein im Sattel bestreiten. Und dafür scheint mir die Beratung und Unterstützung, die ich den Bankkunden bieten kann, sehr geeignet.

Werden Sie in Ihrer neu gewonnenen Freizeit auch auf dem Rennrad unterwegs sein?
Auf jeden Fall. Ich habe mit dem Radfahren begonnen, weil ich Freude daran hatte. Das war immer meine oberste Priorität. Und diese Freude nimmt mir niemand weg.

Gibt es eine andere Sportart, die Sie reizen würde?
Ich habe ein bisschen die Freude am Laufsport gefunden. Aber ich behalte mir alles offen und freue ich mich auf die Skisaison. Und so werde ich den Winter, den ich in den vergangenen Jahren vorwiegend auf der Strasse verbrachte und nur als nass und kalt empfunden habe, zum Skifahren nutzen.

Was empfehlen Sie einem jungen Athleten im Saanenland, der seine Begeisterung für das Rennvelofahren entdeckt?
Unbedingt machen. Und sollte jemand Hilfe und Trainingsunterstützung brauchen, kann ich vielleicht mit meinen Erfahrungen auch schon etwas weiterhelfen.


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