«Sich frühzeitig Hilfe holen ist das Wichtigste»

  27.11.2018 Interview, Saanenland

Weltweit soll mit den «Orange Days» auf die andauernde Existenz häuslicher Gewalt aufmerksam gemacht und zu mehr Kommunikation statt Gewalt aufgefordert werden. Ursula Breuninger, ehemals Präsidentin vom Soroptimist International Club Gstaad Saanenland, legte während ihrer Amtszeit den Schwerpunkt auf häusliche Gewalt. Sie sorgte gemeinsam mit den Clubmitgliedern mittels Beleuchtung des Hotels Gstaad Palace und der Kirche in Saanen dafür, dass die «Orange Days» auch im Saanenland sichtbar stattfinden.

JENNY STERCHI

Ursula Breuninger, es ist kaum vorstellbar, dass die Auswüchse häuslicher Gewalt auch im Saanenland anzutreffen sind. Ist das tatsächlich so?
Auch wenn es im Saanenland so idyllisch aussieht, haben Menschen hier dennoch Probleme. Dass Menschen die Probleme bedingt durch Suchtmittel oder aus finanziellen respektive emotionalen Gründen über den Kopf wachsen, ist auch hier der Fall. Überfordert von der Anstrengung, einer Rolle – zum Beispiel hervorgerufen durch die Vorstellung von Männlichkeit – gerecht zu werden, kann Gewalt zum Ventil werden. Oft bekommt das Umfeld davon nichts mit, weil die Scham der Betroffenen, Probleme zu haben, so gross ist.

Woher beziehen Sie diesbezüglich ihre Daten? Arbeiten Sie dafür mit einer lokalen Institution zusammen?
Ich bin Mitarbeiterin beim Sozialdienst Saanenland. Oft gehen die Betroffenen direkt zu den speziellen Beratungsstellen. Betroffene Frauen werden von der Polizei auf die Möglichkeiten hingewiesen. Sie werden zum Teil auch in ein Frauenhaus gebracht. Selten melden sich die Frauen bisher direkt beim Sozialdienst, aber es gibt diese Fälle. Vista, die vom Kanton Bern anerkannte Opferhilfestelle, machte mit einer Sozialraumanalyse, die vor einiger Zeit in einigen Dörfern des Berner Oberlandes durchgeführt wurde, deutlich, dass Opfer häuslicher Gewalt in ländlichen Regionen noch zu wenig die professionelle Hilfe von offizieller Seite in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt, weil die Wege zu den Beratungsfachstellen vielfach sehr weit sind.

An wen können sich Menschen im Saanenland wenden, wenn sie von häuslicher Gewalt betroffen sind?
In erster Linie natürlich an den Sozialdienst und an die Polizei. Die Opferhilfestelle Vista Thun ist spezielle Anlaufstelle für jene, die unter häuslicher Gewalt leiden. Diese Beratungsstelle gehört zur Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Auch das Frauenhaus Thun ist eine Adresse, die Hilfe bietet. Die Fachstelle Gewalt Bern bietet sowohl Männern als auch Frauen und Jugendlichen Hilfe und Unterstützung.

Wie reagiert man am besten, wenn man im Bekanntenkreis einen Fall von häuslicher Gewalt vermutet?
Da jede Gewaltsituation sehr individuell ist, kann man diese Frage nicht allgemein beantworten. Überhaupt Probleme zu haben ist in der heutigen Gesellschaft schon sehr unattraktiv, auch hier im Saanenland. Diese dann auch noch zu thematisieren, ist immer mit sehr grosser Scham behaftet. Grundsätzlich versuche ich, allen Menschen zu vermitteln, dass Probleme eine Herausforderung sind, an denen man wächst. Das ist selten angenehm und vielfach sind es harte Zeiten. Vielleicht ist es wichtig, Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, das Gefühl zu geben, dass die Ursache dafür nicht sie selber sind, dass jeder einmal schwierige Zeiten zu bewältigen hat und dass es für jedes Problem Fachstellen gibt, die sehr gute Arbeit leisten.

Im Beitrag zu den «Orange Days» haben Sie geäussert, dass häusliche Gewalt im Saanenland tabuisiert wird. Was versprechen Sie sich dahingehend und speziell für diese Region von der aktiven Teilnahme an dieser Kampagne?
Die «Orange Days» sind nur der Auftakt zu einer Serie von Veranstaltungen, die das Thema Gewalt gegen Frauen bearbeiten. Gewalt gegen Frauen kann sehr vielseitig sein. Es handelt sich nicht immer ausschliesslich um körperliche Gewalt. Auch Bevormundung oder Benachteiligung aufgrund des Geschlechts kann als Gewalt gegen Frauen verstanden werden. Dass Frauen noch immer weniger verdienen als Männer oder Frauen den öffentlichen Raum weniger Nutzen können, ist auch im weitesten Sinne Gewalt gegen Frauen. Wir möchten, dass Frauen im Saanenland sichtbar werden und sich ihren Raum nehmen. Es ist uns wichtig, dass wir hier über häusliche Gewalt und Probleme in Ehe und Partnerschaft reden können, ohne dabei ins gesellschaftliche Abseits zu geraten. Und wir möchten die Aufmerksamkeit für Lösungen, die nicht in Gewalt enden, erhöhen. Sich frühzeitig Hilfe holen ist das Wichtigste für alle Beteiligten in diesen Situationen.

Stiessen Sie mit dem Plan, das Hotel Gstaad Palace und die Kirche Saanen für 16 Tage zu beleuchten, bei den Verantwortlichen beider Häuser sofort auf Unterstützung?
Die Beleuchtungen, die Soroptimist International Schweiz und Soroptimist International Europa initiiert haben, ist eine von weltweit vielen verschiedenen Aktionen, um die «Orange Days» zu gestalten. Die Beleuchtung vor Ort haben Frauen aus meinen Club in die Hand genommen. Und das finde ich wirklich toll. Ich habe selber nicht mit den Verantwortlichen gesprochen, aber ich weiss von den organisierenden Frauen, dass sie auf grosse Solidarität bezüglich dieses Themas gestossen sind. Es bestand überhaupt kein Zweifel, dabei zu sein. Die Kirchen in Gstaad und Saanen unterstützen auch die Verwirklichung der Ausstellung im Mai des kommenden Jahres mit einem grossen Betrag.


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