Für das Eishockey in eine andere Kultur

  30.11.2018 Sport, Wintersport

Florence Schindler, Eishockeyspielerin aus Gstaad, war im Sommer nach Stockholm aufgebrochen. Mittlerweile hat sie sich in Schweden eingelebt, was aber gar nicht so einfach war, wie sie im Gespräch betont.

JENNY STERCHI

Was war für Sie das Fremdeste, an das Sie sich gewöhnen mussten?

Die Schweden begegneten mir zu Beginn verschlossen, kühl und scheu. Diese Charaktereigenschaften waren mir tatsächlich sehr fremd. Ich musste lernen, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um mit einem Schweden oder einer Schwedin zu kommunizieren. Auch Augenkontakt wird häufig vermieden, besonders gegenüber Kindern. Ganz am Anfang, als ich einmal einen Schweden in der Stadt etwas fragte, gab er mir gar keine Antwort. Was bei den Menschen hier als «Ja» verstanden wird, klang für mich wie ein seltsames Geräusch. Zuerst dachte ich, er hätte einen Asthmaanfall.

Sie sind in einer Gastfamilie untergebracht. Gibt es Unterschiede im Alltag der Schweden verglichen mit dem der Schweizer?

Einen wesentlichen Unterschied sehe ich in den Arbeitszeiten. Die meisten Schweden beginnen um neun Uhr mit der Arbeit und beenden ihren Arbeitstag bereits um 16 Uhr. Der Tagesrhythmus ist ein wenig verschoben, denn bei den meisten gibt es schon um elf Uhr Mittagessen. Da aber hier in Schweden die meisten Kinder in eine Tagesschule gehen, behalte ich meinen Rhythmus bei und esse wie gewohnt um 12 Uhr. Das Essen hier ist zwar göttlich, aber viel salziger als in der Schweiz. Es gibt sogar gesalzene Süssigkeiten. wie zum Beispiel gesalzenes Lakritz. Kaum ein anderes Volk trinkt so viel Kaffee wie die Schweden. Das sogenannte «Fika», zu dem Kaffee, klebrige Zimtschnecken und Schwedentorten gehören, beginnt schon früh am Morgen. Auch die Lebenseinstellung der Schweden ist ein wenig anders und es gilt das Motto: «Wenn nicht heute, dann morgen.»

Wie geht es Ihnen mit der Sprache?

Wer Deutsch und Englisch sprechen kann, lernt die schwedische Sprache rasch, denn es scheint wie ein Mix aus beiden Sprachen. Da ich in einer Familie mit Kindern lebe, konnte ich von Beginn an sprachlich profitieren.

Wo sind Sie genau daheim im Moment?

Ich wohne ich einem schönen Haus umgeben von viel Wald in Västerhaninge Centrum. Das liegt südlich von Stockholm und die Hauptstadt Schwedens ist von hier aus mit dem Zug in 20 Minuten zu erreichen.

Sie hatten ja auch den Besuch einer Sprachschule geplant. Konnten Sie das realisieren?

Ja, ich gehe zweimal pro Woche jeweils morgens zur «Folkuniversitetet Stockholm», einem Institut für Erwachsenenbildung, um dort Schwedisch zu lernen.

Wie geht es Ihnen mit der zunehmenden Dunkelheit so weit oben im Norden?

Gemerkt habe ich es erst so richtig, als die Winterzeit begonnen hat. Die ersten zwei Wochen waren ziemlich deprimierend, da die Sonne spät aufging und schon am frühen Nachmittag wieder verschwand. In den nächsten Tagen soll es noch extremer werden. In der Regel gehe ich um 16 Uhr aus dem Haus, um Eishockey zu spielen. Durch die Dunkelheit kam es mir vor, als sei es schon zehn Uhr abends und es eigentlich Zeit wäre, ins Bett zu gehen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Die Leute hier sagen selber, dass der November der schlimmste Monat sei. Darum bin wohl nicht nur ich froh, wenn es Dezember wird und der Schnee alles wieder heller macht. Übrigens haben viele Menschen hier in Schweden wegen der kurzen Sonnendauer im Winter mit Vitamin-D-Mangel zu kämpfen.

Kommen wir zum Sport. Wie heisst der Club, für den Sie im Moment auf dem Eis stehen?

Es ist der Haninge Anchors HC.

Sind Sie in Ihrem neuen Team angekommen? Sind Sie die einzige Ausländerin im Team?

Nein, neben mir ist noch eine Norwegerin ins Team gekommen. Sie hatte bei der Integration einen sprachlichen Vorteil. Dazu muss man wissen, dass sich das Schwedische zum Norwegischen verhält wie Schweizerdeutsch zum Hochdeutschen. Dazu kommt die Reserviertheit der Schweden gegenüber Nicht-Skandinaviern. Für mich brauchte es schon eine Weile, bis ich mich ins Team gefunden hatte.

Erleben Sie markante Unterschiede zum Training und den Spielen in der Schweiz?

Das schwedische Eishockey ist schneller und physischer als das in der Schweiz. Da ich eher die Technikerin bin, kann ich hier viel lernen. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass es eben genau keinen zwischen Damen- und Herreneishockey gibt. In der Schweiz wird dagegen ganz klar zwischen den beiden Geschlechtern unterschieden. Im Detail heisst das, dass hier auch die Frauen mit drei Schiedsrichtern auf dem Eis spielen. Zwar sind auch hier beim Fraueneishockey keine Bodychecks erlaubt, jedoch kann man sich einiges erlauben. In der Schweiz wird man wegen jeder Kleinlichkeit auf die Strafbank geschickt. Dazu gibt es die sogenannte Pre-Game-Show – die Rückkehr in die Garderobe nach dem Warm-up – hier sowohl bei den Herren als auch bei den Damen. Ausserdem ist das Tragen des Halsschutzes in Schweden für beide Geschlechter obligatorisch. In der Schweiz wird dies häufig ab dem 18. Lebensjahr vernachlässigt. Und der markanteste Unterschied zur Schweiz sind die Eiszeiten, die den schwedischen Eishockeyspielerinnen zur Verfügung gestellt werden. Ich finde es toll, dass hier auch den Frauenclubs jeden Tag und zu den besten Zeiten Eis zur Verfügung gestellt wird. Im Vergleich dazu erhalten die Eishockeydamen in der Schweiz das Eis vielfach nicht vor halb zehn abends. Am meisten geniesse ich es, Spiele während der Woche bestreiten zu können. Das ist in der Schweiz den Herren vorbehalten.

Ist der Liga-Betrieb dem in der Schweiz ähnlich?

Nein, es ist anders. Ich spiele hier auf dem Niveau «Halbprofi». Das entspricht der höchsten Klassierung in der Schweiz. Hier in Schweden gibt es auch eine Frauen-Profi-Liga. Da unser Club eine Zusammenarbeit mit einem Team hat, darf ich regelmässig mit den Profi-Spielerinnen trainieren. Dort zu spielen könnte ich mir aber im Hinblick auf die körperlichen Bedingungen nicht vorstellen. Die meisten der Damen sind nicht leichter als 90 Kilogramm und vielfach über 1,80 Meter gross.

Haben Sie Kontakt zu ehemaligen Schweizer Teamkolleginnen?

Ich pflege den Kontakt zu meiner besten Kollegin, mit der ich einige Saisons gemeinsam auf dem Schweizer Eis stand.

Haben Sie schon einen Plan, wie lange Sie in Schweden bleiben werden?

Ich werde am Osterwochenende des kommenden Jahres in die Schweiz zurückkehren, da ich Anfang Mai eine neue Stelle antrete. Und das, obwohl ich eine Vertragsverlängerung und einen Job in einem Architekturbüro angeboten bekam. Ich lehnte beides ab, da für mich von Anfang an klar war, dass es eine einmalige Saison bleiben sollte. Ob ich in der Schweiz weiter Eishockey spielen werde, ist noch unklar. Ich werde mit einer Weiterbildung beginnen, um mich beruflich weiterzuentwickeln. Ob es daneben den Zeitaufwand – zweistündige Fahrzeit zum Training – wert ist, kann ich jetzt noch nicht abschätzen. Die zehn Minuten, die ich hier in Schweden brauche, um zum Training zu gelangen, haben mich schon sehr motiviert.

War Heimweh in den letzten vier Monaten mal ein Thema?

Der Anfang hier war sicher schwierig. Da ich aber in einer super Gastfamilie lebe, habe ich mittlerweile das Gefühl, zu Hause zu sein. Stockholm ist ein günstiges Reiseziel von Zürich aus. Daher bekomme ich regelmässig Besuch. Und über Weihnachten und Neujahr komme ich für knapp drei Wochen in die Schweiz.

Gibt es etwas, was Ihnen sehr fehlt?

Ja, die Berge. Und das Brot, der Käse und natürlich die Schokolade. Es gibt glücklicherweise auch hier ein Coop, wo ich das eine oder andere gewohnte Lebensmittel kaufen kann.

Gibt es etwas, was Sie schon jetzt viel besser finden als daheim?

Das Gesellschafts- sowie das bestens ausgebaute Schulsystem beeindruckt mich sehr. Auch die Digitalisierung und der bargeldlose Handel gefallen mir hier besser.

Bleibt neben der Arbeit, der Schule und dem Eishockey auch Zeit für andere Aktivitäten?

Meine Gastfamilie sorgt dafür, dass ich dank sehr viel Freizeit den Aufenthalt hier geniessen kann. Meine Gastmutter gewann einst im Eishockey eine olympische Silbermedaille. Es ist ihr Wunsch, dass ich mich voll auf das Eishockey und natürlich die Sprache konzentriere kann. Da die Familie gern reist, nehmen sie mich überall hin mit und zeigen mir Schweden. Im Sommer verbrachten wir viel Zeit auf dem Schiff und jetzt im Winter treffe ich mich zwischendurch auf einen Kaffee mit einer Schweizer Eishockeyspielerin, die auch für einen schwedischen Club spielt. Dann geniesse ich die Sauna in der Garage oder sehe mich nach Elchen um.


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