Herzensbilder berühren zutiefst

  09.11.2018 Saanenland, Interview, Gesellschaft

«Wir schenken Fotoshootings in Sturmzeiten», schreibt der Verein Herzensbilder über sich. Sturmzeiten gibt es nur bei den anderen, denkt man, hofft, dass dies in der eigenen Familie nie zum Thema wird. Doch manchmal wird alles anders.

BLANCA BURRI
Der Verein Herzensbilder schickt Profifotografen sowie Haar- und Make-up-Stylisten zu Familien mit schwerkranken, schwerbehinderten oder viel zu früh geborenen Kindern. Auch wenn Elternteile schwer krank sind, rückt das Team aus, um ihnen wunderschöne Familienbilder zu schenken. Herzensbilder verwendet den Begriff «Sturmzeiten» für die schwierigen Tage, Wochen und Monate, in denen Familien zwischen Hoffen und Bangen leben, weil sie nie wissen, ob ein geliebtes Familienmitglied den Kampf ums Überleben gewinnt oder verliert.

Die Schockdiagnose
Familie Zbären aus Saanenmöser hat vor zwei Jahren diese Sturmzeiten miterlebt. Erst war das Familienglück komplett, als Rahel Zbären nach den zwei Jungen eine Tochter gebar. Casey schlief schon immer sehr viel, aber mit vier Monaten fing sie an, nur noch kleine Portionen zu trinken, dafür immer wieder. Rahel dachte, das sei nur eine Phase. Als sie sich bei Fachpersonen Rat holte, versuchte man sie zu beruigen, es gebe Babys, die den Tag verschlafen. Als sie aber immer weniger und schliesslich gar nicht mehr trank und fiebrig wurde, wurde Rahel sehr unruhig. Die Untersuchungen beim Hausarzt ergaben einen hohen Entzündungswert, Antibiotika sollte helfen. Als sich ihr Zustand trotz Therapie nicht stark besserte, machten sich die Eltern grosse Sorgen. Schliesslich wagten sie es, direkt zu einem Kinderarzt nach Thun zu fahren. Da Caseys Zustand so schlecht war, wurde sie dort nicht lange untersucht, sondern per Ambulanz und Blaulicht direkt ins Inselspital Bern verlegt. In Bern fanden dann endlich die ersten intensiven Untersuchungen statt. Schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass die fünf Monate alte Casey voll Krebs war. In ihrem Bauch hatte sich ein grosses Neuroblastom gebildet, das so gross war, dass es die umliegenden Organe bedrängte und somit deren Funktion einschränkte.

Voll Krebs
Der Tumor hatte bereits diverse Ableger auf Leber, Lymphen, Knochenmark und sogar auf Knochen gebildet. Deswegen wurde Casey, nach nur wenigen Monaten auf Erden, einer kräfteraubenden Chemotherapie unterzogen. Ihr blondes Haar fiel aus, sie trug fortan Mützen jeglicher Art. Oft wurde sie unter Vollnarkose untersucht, weil ein Baby in ihrem Alter nur in Vollnarkose stillhält und eine gründliche Untersuchung zulässt. Überall hatte sie Schläuche, sie war schwach, mehrmals dem Tod ganz nah. Glücklicherweise sprach sie auf die Therapie gut an und somit schrumpften die Tumore zusehends, bis sie operativ entfernt werden konnten. Auch diese 12-stündige Operation bleibt der Familie für immer im Gedächtnis eingebrannt. Nach der Operation erkannten sie die kleine Casey nur noch anhand des Namensbandes, weil sich viel Wasser in ihrem Gewebe eingelagert hatte.

Grosse Belastung
In dieser schwierigen Zeit war Mutter Rahel so oft wie möglich bei ihrer Tochter in Bern. «Ich war aber hin und hergerissen, denn meine zwei Jungs brauchten mich doch auch», erzählt sie. Deshalb sei sie zu wichtigen Ereignissen wie dem Schulbeginn ins Saanenland gekommen. Sie hatte sich so darauf gefreut, die Kinder am ersten Schultag zu begleiten, sie wollte sich mit ihnen freuen und diesen Tag geniessen. Nun aber stand sie teilnahmslos da und hatte ihre Gedanken doch nur bei Casey. «Ich war ein Schatten meiner selbst und habe den Tag wie aus einem andern Ich erlebt.» Auch für Vater Matthias war die Zeit herausfordernd und kräftezehrend. Er kümmerte sich um die Jungs, um den Haushalt und um das Geschäft. «Zum Glück hatten wir viele Familienangehörige und Freunde, welche uns halfen», sagt er. Trotzdem gelangte die ganze Familie an den Rand der Erschöpfung. Casey machte ihnen aber immer wieder Mut. Im Dankesbrief steht: «Casey durchlebt all die Strapazen unglaublich tapfer. Oft erstaunte es uns alle, wie sie nach äusserst schmerzhaften Prozeduren kurze Zeit später wieder lächelte und strahlte. Casey ist eine starke Kämpferin und das gibt uns auch wieder Kraft.»

Nicht der richtige Zeitpunkt
Rahel Zbären kannte Herzensbilder durch eine Cousine und folgte dem Verein auf den sozialen Medien seit Längerem. Sie bewunderte die Arbeiten, hoffte insgeheim aber immer: «Hoffentlich brauche ich die Herzensbilder nie!» Ihre Cousine machte sie während der Krankheit von Casey wiederum auf die Herzensbilder aufmerksam, ob es nicht an der Zeit wäre, den Verein anzurufen? Mehrmals überlegte sie es sich, brachte die Kraft aber nicht auf, schob es hinaus, obwohl sie seit Wochen nur noch deprimierende, schlecht belichtete Spitalbettfotos mit Schläuchen und Pflastern machten. «Ich bewundere Familien, welche während der Chemo die Kraft aufbringen, Herzensbilder zu machen.»

Casey ist krebsfrei
Alle Operationen und die Therapien verliefen positiv. Drei Monate nach Abschluss aller Therapien folgte die erste Nachuntersuchung, wo Casey die frohe Botschaft erhielt, dass sie krebsfrei ist.

Danach erholte sie sich sehr schnell und glücklicherweise sind trotz des grossen Tumors alle Organe erhalten geblieben. Man wusste lange nicht, welche Folgeschäden die starken Chemotherapien, die Narkosen und die vielen Medikamente auf Casey hätten. Ihr ist heute, zwei Jahre nach der Diagnose, überhaupt nichts mehr anzumerken. Sie plappert wie ein Buch, sie spielt und geniesst das Leben. Noch immer muss sie regelmässig zur Kontrolle.

Der erste Geburtstag ist ein Sinnbild
Jetzt endlich fand Rahel Zbären die Kraft, den Verein anzurufen, denn der erste Geburtstag von Casey bekam für die Familie eine ähnliche Bedeutung wie ihre Geburt. Auch ihren Mann konnte sie von diesem lebensbejahenden Projekt überzeugen. Und dann ging alles sehr schnell. Kim Schönthal stellte sich zur Verfügung, die Familienfotos in ihrem Atelier in Thun zu machen. Was herauskam, ist eine Wucht. Wunderschöne Familienbilder, die von Liebe und Zuneigung zeugen, davon, wie wichtig die Familie ist und wie schön es ist, wieder voller Mut in die Zukunft schauen zu können. «Es hat mich zutiefst berührt, als die Fotografin einen wunderschön dekorierten Kuchen zum Geburtstag von Casey bereithielt und damit tolle Fotos machte.» Besonders weil Rahel Zbären selbst eine Kuchenkünstlerin ist und ihr Hobby leidenschaftlich lebt. «Wir wussten, dass wir die Fotos in irgendeiner Form erhalten werden. Als das wunderschön gestaltete Fotobuch in unseren Briefkasten lag, war ich zu Tränen gerührt», gesteht Rahel Zbären. Auch Matthias Zbären ist inzwischen sehr dankbar für die Fotos. «Ich bin hauptsächlich Rahel zuliebe ins Fotostudio mitgegangen», sagt er, «jetzt finde ich die Bilder aber wunderschön und wertvoll.»

Abschied oder Begrüssung?
Bei Familie Zbären strahlt das Glück aus den Fotos, es ist wie eine Begrüssung des Lebens. «Uns ist bewusst, dass unsere Geschichte sich zum Guten gewendet hat und dass es viele Schicksale gibt, die tragisch enden.» Oft sind Herzensbildereinsätze nämlich traurig. Viele Fotos werden von Sternenkindern gemacht. Stillgeborenen, Frühchen oder solchen, welche die ersten Tage nicht überlebten. Manchmal haben Kinder oder Elternteile jahrelang gegen Krebs gekämpft und erhalten den Bericht, dass leider nichts mehr unternommen werden kann. Dann ist der Wunsch da, noch einmal einen schönen Moment zusammen zu verbringen, schöne Bilder davon zu machen, welche von Liebe sprechen, um berührende Erinnerungsfotos zu erhalten. Erinnerungen für eine Zeit, wenn der Kampf endgültig verloren ist und der geliebte Mensch ins Licht geht. Für Rahel Zbären haben die Herzensbilder gezeigt, wie wichtig es ist, glückliche Momente festzuhalten. «Ich mache seither viel mehr Familienfotos als früher.»


HERZENSBILDER
Die Gründerin von Herzensbilder, Kerstin Birkeland Ackermann, wurde 2013 zur Heldin des Alltags gewählt. Auf der Homepage gibt es verschiedene Beiträge über die Gründerin und den Verein, welche im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Die meisten Arbeiten, auch die Einsätze der Fotografen/innen und Stylisten/innen sind ehrenamtlich. Die Spesen werden durch Spendengeldern finanziert.

www.herzensbilder.ch


KIM SCHÖNTHAL IM INTERVIEW

Pflegefachfrau und Fotografin

Kim Schönthal war erst Pflegefachfrau, bevor sie ihr Hobby, das Fotografieren, zum Beruf gemacht hat. Seit zwei Jahren arbeitet sie ehrenamtlich für Herzensbilder.ch.

BLANCA BURRI

Kim Schönthal, weshalb arbeiten Sie für Herzensbilder?
Weil ich in meinem angestammten Beruf oft Berührungspunkte mit solch schweren Situationen hatte, verfolge ich die Posts von Herzensbilder auf Facebook seit geraumer Zeit und finde die Beiträge herzberührend. Als mein Vater plötzlich und total unerwartet starb, wurde mir bewusst, wie wichtig Herzensbilder sind. Das hat den definitiven Ausschlag gegeben.

In welcher Abteilung haben Sie gearbeitet?
Als Pfegefachfrau arbeitete ich während meiner Ausbildung eine Zeit lang in der Frühgeborenenabteilung. Später wechselte ich auf eine medizinische Abteilung, wo ich Menschen unterschiedlichen Alters oft in palliativen Situationen begleitete. Auf beiden Stationen gab es immer wieder Herzensbilder-Momente.

Wie kam es dazu, dass Sie den Beruf wechselten?
Ich habe vor elf Jahren als Hobby begonnen zu fotografieren und habe mit den Jahren entsprechende Weiterbildungen besucht. Vor zwei Jahren, nach der Geburt meiner zweiten Tochter, habe ich mich selbständig gemacht und den alten Job an den Nagel gehängt.

Wenn Sie Herzensbilder machen, befinden sich ihre Kunden in einem Ausnahmezustand. Wie gehen Sie mit den Emotionen um?
Der ursprünglich gelernte Beruf hilft mir, professionell zu bleiben, Nähe und Distanz zu managen. Trotzdem gibt es natürlich Situationen, in denen ich mit den Angehörigen mitweine, ich finde das ist legitim. Natürlich begleiten mich die Herzensbildereinsäzte auch in den Alltag, indem ich an die eine oder andere Situation zurückdenke. Als belastend empfinde ich es nicht, ich erhalte so viel Dankbarkeit von den Familien und es ist ein gutes Gefühl, wenn ich ihnen mit den Bildern wenigstens ein «kleines Licht in Sturmzeiten» schenken darf.

Bleibt der Kontakt mit den Kunden aufrechterhalten?
Das ist sehr unterschiedlich. Mit einigen Familien schreiben wir uns auch später noch und halten einen losen Kontakt. Das finde ich schön.

Wie oft werden Sie zu Einsätzen gerufen?
Manchmal monatelang nicht, dann plötzlich dreimal in der Woche. Das ist ganz unterschiedlich. In zwei Jahren habe ich zehn Einsätze gehabt. www.herzensbilder.ch


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