Mücken sind gefährlicher als Wolf und Bär

  09.11.2018 Saanen, Landwirtschaft

Der oberste Veterinär des Landes, Hans Wyss, referierte am Landwirtschaftsanlass der Saanen Bank über Tierseuchen und Tierwohl. Das Interesse war sehr gross.

BLANCA BURRI
Der Bär und der Wolf sind nicht die gefährlichsten Tiere für einheimische Wild- und Nutztiere, führte Hans Wyss, Direktor Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, am vergangenen Mittwochabend in Saanen aus. Vielmehr seien dies auch in unseren Breitengraden Mücken, welche die Landesgrenzen nicht beachteten und ungehindert Krankheiten einschleppten. Noch vor wenigen Jahrzehnten habe man an eine sehr langsame Ausdehnung gewisser Infektionen geglaubt. Doch wie die Blauzungenkrankheit vor zehn Jahren gezeigt habe, sei durch die Klimaerwärmung alles anders geworden. Der Lebensraum vieler Insekten ist durch die wärmeren Temperaturen grösser geworden. Krankheiten breiten sich deshalb viel schneller und grossflächiger aus und können innerhalb weniger Wochen zu Seuchen mutieren. Hans Wyss zeigte anhand von Karten eindrücklich auf, wie wichtig in solchen Fällen das konsequente Handeln ist. 2008 und 2009 gab es in der Schweiz einen Impfzwang für Rinder. Während die Krankheit im übrigen Europa tausendfach nachgewiesen wurde, gab es in der Schweiz nur 40 Fälle. «Auf was war das wohl zurückzuführen?», fragte Wyss rhetorisch.

Afrikanische Schweinepest
Die afrikanische Schweinepest wurde nicht durch Mücken in Westeuropa eingeschleppt, wie man heute weiss. «Man nimmt an, dass Chauffeure aus dem Osten sie nach Belgien einschleppten», erklärte Wyss. Sie hätten kontaminierte Lebensmittel von zu Hause mitgenommen. Danach hätten sie sich auf einem Rastplatz in Belgien verpflegt, die Lebensmittelreste und Abfälle dort gelassen. Später seien Wildschweine auf der Nahrungssuche damit in Berührung gekommen und hätten sich angesteckt. «Die heutige Mobilität ist einer der Faktoren, weshalb sich Krankheiten schnell verbreiten können», hielt der Referent fest. Er gab auch konkrete Anleitungen, wie die weitere Ausbreitung der gefährlichen Schweinepest verhindert werden kann: «Keine Speiseresten verfüttern, keine Kontaktmöglichkeiten von Schweinen und Wildschweinen ermöglichen (Doppelzäune), Hygieneschleusen vor den Ställen einrichten und die ausländischen Mitarbeiter schulen.»

Er rief die anwesenden Landwirte auf, die Meldepflicht bei allen Krankheiten ernst zu nehmen. Nur so könne eine Seuche verhindert werden.

Antibiotikaresistenz bleibt herausfordernd
Die Schweizer Landwirtschaft müsse den Gebrauch von Antibiotika dringend senken, forderte er. Er verband das Thema mit der steigenden Antibiotikaresistenz von Erregern, was auch in der Humanmedizin zu einem grossen Debakel werden kann. «Wir wollen alle, dass die Medikamente wirken, wenn wir einmal ins Spital müssen!» Zwar sinke der Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft stetig, aber noch immer sei er zu hoch. Besonders beim Trockenstellen der Milchkühe werde es viel zu oft verwendet, die Schweiz brauche für diesen speziellen Fall europaweit am meisten Antibiotika. «Das braucht es nicht!», proklamierte er. Dagegen wehrte sich Nationalrat und Bergbauer Erich von Siebenthal, welcher durch den Abend führte. Er erklärte, dass man manchmal das Nachsehen habe, wenn man beim Trockenstellen kein Antibiotika verwende, weil die Kühe dann oft einen «Viertel» entwickelten.

Das Thema «Antibiotika» gab auch in der nachfolgenden angeregten Diskussionsrunde viel zu reden. Aufgrund einer Frage erklärte Hans Wyss, dass Antibiotika nach einer gewissen Frist weder in der Milch noch im Fleisch nachgewiesen werden könne. Das Problem sei aber, dass die Bakterien nie auslernten. Sie würden eine Resistenz gegen die Antibiotika entwickeln. Leider lernten die Erreger sogar voneinander, sodass es immer schwieriger werde, sie zu bekämpfen und somit Infektionen immer schwieriger zu behandeln seien.

Wie viel Tierschutz braucht es noch?
Hans Wyss zeigte anhand von Bildern auf, dass in den letzten Jahrzehnten bereits sehr viel zugunsten des Tierwohls erreicht wurde. Es gebe in der Schweiz keine Batterienhaltung für Hühner mehr, bei der jedes Huhn eine Fläche so gross wie ein A4-Blatt zur Verfügung hatte. Auch seien die Kälber in Freilaufställen gehalten und werden nicht mehr in Kleinstboxen angebunden. «Was kommt noch auf uns zu?», wollte Erich von Siebenthal wissen. Das erste Tierschutzgesetz sei 1979 erlassen worden, sagte Wyss. Die bisher einzige Revision habe 2008 stattgefunden. Eine neue Revision stehe nicht in Aussicht. «Es besteht ein Investitionsschutz von 25 Jahren», erklärte er. Trotzdem gebe es punktuelle Anpassungen. Zum Beispiel werde momentan geprüft, ob das Verkleben der Euter verboten werden solle.

Zwei Themen beschäftigen
Für viele Sömmerungsbetriebe ist die neulich eingeführte Acht-Stunden-Regelung eine grosse Herausforderung, wie aus der Diskussion zu entnehmen war. Wenn die Masse einer Alpscheune den heutigen Gesetzen nicht mehr entsprechen, kann eine Ausnahme gemacht werden. Sie darf unter dem Vorbehalt, dass sich die Tiere höchstens acht Stunden pro Tag dort aufhalten, weiterhin als Scheune benutzt werden. «Das geht mit dem Arbeitsrhythmus auf dem Berg aber nicht auf», erklärte Erich von Siebenthal auf Anfrage. Wenn die Kühe gegen sieben Uhr morgens zum Melken in den Stall getrieben werden, müssten sie bereits um drei Uhr nachmittags wiederum ins Freie. Gemolken wird jedoch erst gegen fünf Uhr. Eine Lösung konnte während der Diskussion nicht gefunden werden.

Weiter wurde Unmut über das Verbot von Kuhtrainern in neuen Ställen geäussert. «Damit die Kühe weiterhin sauber bleiben, muss ein neues System entwickelt werden», sagte Erich von Siebenthal gegenüber dieser Zeitung. Glücklicherweise hätten das Branchenverbände erkannt und für die Entwicklung ein Budget bereitgestellt, wie der Nationalrat sagt.

Tierärztliche Leistungen steigen
Tierarzt Felix Neff betonte, dass die tierärztlichen Leistungen aufgrund vieler Faktoren in Zukunft steigen werden. Vor allem der Notfalldienst im Berggebiet macht ihm zu schaffen, bei dem nur etwa 50 % der Kosten durch direkte Einnahmen gedeckt werden können. Den Rest musste seine Praxis in Saanen wie viele andere Praxen im ländlichen Gebiet bisher querfinanzieren. Hans Wyss stellte keine Unterstützung des Bundes in Aussicht. Er findet, das sei Kantonssache. Der Bund hingegen sei bemüht, den Nachwuchs für die Veterinäre sicherzustellen, das sei Bundesaufgabe. Er fordern die Veterinäre zudem auf, nicht nur Sachleistungen zu verrechnen, sondern auch den Beratungsaufwand.

Positives Fazit
Die vorwiegend bäuerliche Zuhörerschaft war am Anlass, der durch die Saanen Bank organisiert wurde, konzentrieret und respektvoll. Erich von Siebenthal fasste später zusammen: «Obwohl das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen uns Landwirten viele Vorschriften macht, sind wir sehr dankbar für ihre Arbeit.» Heute seien viele Probleme nur mit einer globalen Betrachtung lösbar. Ressourcen dafür hätten weder die einzelnen Landwirte noch die Bauernverbände. Deshalb sei eine konstruktive Zusammenarbeit aller wichtig.


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